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Letzte Runde

Ein ehemaliger Boxchampion erkrankt an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS. Jungregisseur Thomas Stuber legt seinen "Herbert" als melancholisches Gossendrama an und kann sich dabei auf Peter Kurth verlassen, der sich die wuchtige Hauptfigur mit Haut und Haaren einverleibt.    21.09.2016

In den frühen 80ern errang der ostdeutsche Boxer Herbert Stamm (Peter Kurth) respektable Erfolge auf Bezirksebene. Doch "Der Stolz von Leipzig" geriet auf die schiefe Bahn und letztlich ins Gefängnis. Mit mehr als fünfzig Jahren verdingt er sich als Geldeintreiber für den regionalen Unterweltboß Bodo (Udo Kroschwald). Der von Tattoos übersäte, wortkarge Herbert ist ein Berg von einem Mann - und eine Autorität gebietende Bedrohung für jeden von Bodos Schuldnern: Wenn der massige "Big Herbert" eine Kneipe nach säumiger Klientel abtastet, erstarrt seine unmittelbare Umwelt, während jäh klar wird, daß es für den Gesuchten kein Entrinnen gibt.

Nebenher bereitet der frühere Regionalmeister Boxtalent Eddy (Edin Hasanovic) auf dessen ersten großen Fight vor. Während der Koloß Freundin Marlene (Lina Wendel) souverän auf Distanz hält, genießt er den Respekt unter seinen Kumpels im Box-Gym und pflegt eine archaische Männerfreundschaft mit dem Tätowierer und Harley-Liebhaber Specht (Reiner Schöne). Längst schon haben die Freunde einen Motorradtrip durch die amerikanischen Südstaaten geplant. Doch der asphaltfarbene Traum wird für den lakonischen Hünen nicht mehr in Erfüllung gehen. Nach einem ärztlichen Untersuchungsmarathon wird die Existenz des seit Monaten von sporadisch auftretenden Muskelkrämpfen erschütterten Herbert schließlich in einer finalen Diagnose auf drei Buchstaben reduziert: ALS.

Nach und nach bricht das Leben des alten Faustkämpfers in sich zusammen: Bodo verzichtet auf die Dienste des neuerdings mit schwerer Zunge sprechenden Manns mit Krückstock; Nachwuchshoffnung Eddy kämpft unter neuer Führung; die Harley-Tour mit Freund Specht wird nicht stattfinden. Nur Marlene hält eisern zu ihrem Herbert, stützt den gebrechlichen Riesen nun mit aller Kraft. "Du mußt weg von der Straße", beschwört Bodo seinen einstmals schlagkräftigsten Mitarbeiter. Denn dort, wo sich Herbert bislang in einem dunklen Mikrokosmos aus Gewalt und urtümlichen Männerriten routiniert bewegte, ist kein Platz mehr für den nunmehr Hinfälligen.

 

 

Schwergewichtslegende "Big" George Foreman ist Herberts Held. Der einstigen Ali-Nemesis gelang in den späten 80ern eine erstaunliche Ring-Rückkehr im fortgeschrittenen Boxalter. Doch für Herbert wird es kein Comeback geben. Die Krankheit läutet seine letzte und härteste Runde ein. Angezählt, aber noch nicht vollends besiegt, wendet sich Herbert an seine entfremdete Tochter Sandra (Lena Lauzemis), lernt dabei eine ihm bislang unbekannte Enkelin kennen und findet im Versuch der späten Wiedergutmachung eine letzte Aufgabe.

Regisseur Thomas Stuber inszeniert Herberts Niedergang recht schonungslos und zumeist in extremer Nahaufnahme, wenngleich er sich phasenweise hart an der Grenze zur Larmoyanz bewegt. Die Montage von Herberts diversen Krankheitsstadien wirkt zuweilen holprig und in ihrer zeitlichen Abfolge nicht immer stringent. Doch insbesondere gelingt es Stuber, den Verlust der bislang alles dominierenden Körperlichkeit darzustellen, weil er ja auch auf seinen Hauptdarsteller Kurth und dessen enorme Wirkungskraft als eine in physischer Auflösung begriffene Kämpfernatur bauen kann. Und auch wenn Lina Wendel in der Rolle der goldherzigen Marlene oder Reiner Schöne als ruppiger Biker Specht wertvolle Akzente setzen, bleibt "Herbert" eine One-Man-Show, die sich ins Gedächtnis eingräbt.

Dietmar Wohlfart

Herbert

ØØØ 1/2

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Wild Bunch Germany

 

105 Min. dt. Fassung oder engl. OF

Regie: Thomas Stuber

Darsteller: Peter Kurth, Lina Wendel, Edin Hasanovic u. a.

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