Video_Robinson Crusoe - 50th Anniversary Edition

Der diskrete Charme der Wildnis

Was haben "Ein andalusischer Hund" und die Verfilmung des Defoe-Abenteuerromans gemeinsam? Die Antwort: Regisseur Louis Buñuel - jetzt erstmals nachzuprüfen.    21.10.2004

Beim Namen Luis Buñuel denkt man wohl zuallererst an die berühmte Parallelmontage aus "Un chien andalou", wenn das Auge von der Rasierklinge und der Mond gleichzeitig von den Wolken zerschnitten wird. Danach fallen einem diverse andere Filmklassiker wie "Belle de jour", "Tristana", ""La Voie lactée" oder der köstliche "L´age d´or" ein. Man denkt an Buñuels Zusammenarbeit mit Salvadore Dali, daran, daß er den lieben Gott nicht gerade zu seinen Freunden zählte, und legt den gebürtigen Spanier dann wieder irgendwo unter der Rubrik "wichtiger Filmemacher" im körpereigenen Datenspeicher ab.

Daniel Defoe wiederum wird den meisten nicht so geläufig sein - seine berühmteste Kreation, die Figur des gestrandeten Robinson Crusoe (und natürlich dessen insulanischer Kumpel Freitag) hingegen schon. Der Roman um den Einsiedler wurde bereits unzählige Male verfilmt - und einmal überraschenderweise auch von Louis Buñuel.

Das US-Label VCI Entertainment, bei DVD-Aficionados für sein teils obskures, teils liebenswertes und teils kultiges Programm bekannt, grub das bisher nicht auf einem Kaufmedium veröffentlichte und teilweise sogar bereits verschollen geglaubte Werk aus und restaurierte es anläßlich seines fünfzigsten Geburtstags auch gleich ordentlich.

Falls jemand die Geschichte wirklich nicht kennen sollte: Der Edelmann Robinson (Dan O´Herlihy) erleidet Schiffbruch und strandet auf einer einsamen Insel. Mutterseelenallein - nur mit Hund und Katze - verbringt er dort viele Jahre, nachdem er einige seiner Habseligkeiten aus dem Schiffswrack bergen konnte. Mit der Zeit lernt der verwöhnte Pinkel seine Umwelt zu meistern und richtet sich behaglich ein. Lediglich ein Kannibalenstamm von der Insel gegenüber stattet Robinsons Eiland zuweil einen Besuch ab - Grund genug für ihn, sein Heim zu befestigen. Schließlich verwildert die Katze, der treue Hund Rex stirbt an Alterschwäche, und Crusoe ist mit der absoluten Einsamkeit konfrontiert. Gerade als er den Verstand zu verlieren droht, beobachtet er die Kannibalen bei der Jagd auf eines ihrer Stammesmitglieder (Jaime Fernandez). Er streckt die Verfolger nieder und nimmt sich des scheinbaren Delinquenten an, den er fortan Freitag nennt. Aus einer anfänglichen Meister/Sklave-Beziehung wächst über die Jahre Vertrauen, bis eine echte Freundschaft entsteht. Mit fortschreitendem Alter ist es Robinsons einziger Wunsch, nicht auf der Insel zu sterben, doch nach beinahe 30 Jahren stehen die Chancen dafür schlecht.

 

Die Verfilmung des 1719 geschriebenen Werks, das übrigens auf den Erlebnissen des schottischen Seemanns Alexander Selkirk basiert, stellt die einzige Regiearbeit Buñuels dar, die von amerikanischen Geldgebern finanziert wurde.

Crusoe-Darsteller O´Herlihy wurde seinerzeit für den Oscar als bester Darsteller nominiert. Auch wenn sich die Adaption des Klassikers weitgehend an die Vorlage hält, ist Buñuels Handschrift unverkennbar in die Geschichte verwoben. So stellt der - auch in der Vorlage essentielle - katholische Glaube ein immer wiederkehrendes Element dar, sei es als kreuzförmige Halterung für eine Vogelscheuche, als Bibel zur einzigen Insellektüre oder als Echo der in die Weiten der Insel geschrienen Glaubenskrise Crusoes. Als diesbezüglicher Höhepunkt kann wohl eine Unterhaltung zwischen Crusoe und den von ihm in Religion unterwiesenen Freitag gewertet werden, wenn Crusoe einfachste Fragen, die die argumentative Logik der katholischen Lehre anzweifeln, nicht beantworten kann und sich stattdessen kopfschüttelnd seinem Papagei zuwendet.

Auch filmsprachlich besteht kein Zweifel an der Identität des Regisseurs: Wenn der berühmteste Schiffsbrüchige aller Zeiten (nein - Tom Hanks ist´s definitiv nicht) seine fieberbedingten Phantasien durchlebt, sind es einwandfreie Buñuel-Visionen, die der Vereinsamte mitansieht.

Neben der für den Regisseur so typischen Religionsskepsis findet sich auch eine Dosis Gesellschaftskritik in dem - dank der Restauration in neuen Pathecolor-Farben erstrahlenden - Streifen. So steht der Gestrandete, einst Herr über etliche Untertanen, plötzlich vor der Schwierigkeit des Feuermachens, obwohl er seinen Dienern nach eigenen Angaben bereits unzählige Male dabei zugesehen hat. Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, daß es statt des berühmten "Ich Tarzan - du Jane"-Dialogs hier "Master/Friday" heißt und der Eremit wider Willen seinen Gefährten von Beginn an als Sklaven behandelt - eine Beziehung, die sich zwar über die Jahre hinweg zum Positiven verändert, Freitag jedoch auch am Schluß bestenfalls als "Boy" dastehen läßt (Lesen Sie diesbezüglich die interessante "Bright Lights Film Journal"-Ausführung; siehe Links).

Das Veröffentlichungsdatum der ursprünglich für Ende August angekündigten DVD wurde dank eines "in letzter Minute" eintrudelndes Special-Features etwas nach hinten verschoben; dafür findet sich nun ein knapp einstündiges Audiointerview mit Hauptdarsteller Dan O´Herlihy auf der Jubiläumsedition, die gleichzeitig auch die Erstveröffentlichung des Buñuel-Films darstellt. Darüber hinaus gibt es das liebevoll reproduzierte Original-Presseheft als Booklet sowie diverse Hintergrundinformationen. Die Featurette "Restoration - before & after clips" bietet den Vergleich zwischen den mittels "DaVinci" restaurierten Bildern und der ursprünglichen Version, die neben deutlichen altersbedingten Mängeln mit zahlreichen Kratzern daherkam.

Mit der "Robinson Crusoe - 50th Anniversary Edition" hat das US-Liebhaber-Label nicht nur ein Must-Buy für Buñuel-Anhänger herausgebracht, sondern auch ein wertvolles Stück Filmgeschichte sowie eine würdige Adaption des Klassikers. Glasklare Empfehlung.

 

Jürgen Fichtinger

Robinson Crusoe - 50th Anniversary Edition

ØØØØØ

(Las Aventuras de Robinson Crusoe)


VCI Entertainment (Mexiko 1954)

DVD Region 0

ca 90 Min. + ca. 70 Min. Zusatzmaterial, engl. Fassung oder span. OF. mit einblendbaren engl. UT (DD 2.0)

Features: Audiointerview mit Dan O´Herlihy, "Restoration - before & after clips", Collectible Press Book Insert, Bio-Filmographien, Photo- & Poster-Galerie, Trailershow

Regie: Luis Buñuel

Darsteller: Dan O´Herlihy, Felipe De Alba, Jaime Fernandez u. a.

 

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