Video_The Eyes Of My Mother

Augenauswischerei

Nicolas Pesces karges Horror-Kleinod "The Eyes Of My Mother" widmet sich voll und ganz den verstörenden Anwandlungen seiner traumatisierten Hauptfigur, hat dabei aber außer stilvoller Schwarzweißoptik wenig zu bieten.    27.10.2017

Die junge Francisca (Oliver Bond) lebt zusammen mit ihren Eltern (Diana Agostini, Paul Nazak) zurückgezogen auf einer abgelegenen Farm. Von Kindesbeinen an wird das Mädchen durch seine Mutter, eine ausgebildete Augenchirurgin, an die Anatomie des Lebens herangeführt. Als sich der Fremde Charlie (Will Britt) Zutritt zur Farm verschafft, Franciscas Mutter überwältigt und aus purem Vergnügen an der Gewalt brutal ermordet, läßt dies die Tochter schwer traumatisiert zurück. Der verletzte Charlie wird daraufhin von dem Mädchen schwer verstümmelt, auf dem Dachboden angekettet und fortan wie ein Tier gehalten.

Mit dem Tod der abgöttisch geliebten Mutter bricht für Francisca nicht nur eine Welt zusammen – das seelisch zerrüttete Mädchen zieht sich an einen finsteren, von Verlustschmerz geprägten Ort zurück. Nach dem Ableben des Vaters, das von Francisca ebenfalls auf groteske Art und Weise verarbeitet wird, verbleibt die Vollwaise einzig in Gesellschaft des bewegungsunfähigen, entstellten Muttermörders Charlie auf der Farm der nunmehr toten Eltern. Als ihr Langzeitgefangener den Fluchtversuch wagt, begibt sich die mittlerweile zur Frau gereifte Francisca (Kika Magalhães) auf die Suche nach Ersatz.

Ein vermeintlicher Schock als Auslöser bizarrer Besitz- und Mordphantasien: Wie sich die Farmerstochter vor dem Hintergrund des gewaltsam herbeigeführten Verlusts der Mutter zur in sich gekehrten Psychopathin entwickelt, ist freilich unheimlich und befremdlich. In messerscharfem Schwarzweiß werden die zwischen Apathie und Sadismus changierenden Gemütszustände der Protagonistin, deren Gebaren nebenher Erinnerungen an Eihi Shiina in Takashi Miikes "Audition" weckt, durchaus wirkungsvoll eingefangen. Dabei achtet Spielfilmdebütant Nicolas Pesce darauf, die Kargheit von Franciscas abseitiger Lebenswelt zu betonen und den Blutzoll gleichsam niedrig zu halten. Die Farm bildet den isolierten Schauplatz und die perverse Spielwiese des Mädchens, dessen abnorme Fixierung auf ihre verblichenen Eltern und die Unfähigkeit, ihren alptraumhaften Kindheitserlebnissen zu entwachsen, einen Kreislauf des Grauens in Gang setzt.

All die schaurig-schönen Bilder können aber nicht über eine gewisse erzählerische Leere hinwegtäuschen. Ein narrativer Fluß wird nie etabliert - "The Eyes Of My Mother" ähnelt eher einer Aneinanderreihung bruchstückhafter, dunkler Momentaufnahmen. Dieser Mangel übertüncht das vermeintlich bewußte Zugeständnis des Regisseurs an den desolaten Geisteszustand der gemeingefährlichen Francisca, deren Leben ebenfalls fern jeglicher geordneter Konventionen verläuft. Jedenfalls muß sich Pesces Erstlingswerk den Vorwurf des fehlenden erzählerischen Unterbodens, der mangelnden Stringenz und logischen Geschlossenheit gefallen lassen.

An der darstellerischen Front agiert Kika Magalhães in der Rolle der erwachsenen Francisca als einzig zu beurteilende Personalie. Die oberflächlich zart wirkende Frau verschmilzt als lethargische Dämonin immerhin adäquat mit der leergefegten Hochglanztristesse. 

"The Eyes Of My Mother" vermag einen gewissen diabolischen Reiz auszuüben, bleibt insgesamt aber zu versatzstückhaft und unausgegoren, um als vollends gelungenes Debüt akzeptiert werden zu können.

 

Dietmar Wohlfart

The Eyes Of My Mother

ØØØ

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AL!VE AG (USA 2016)

DVD Region 2
73 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Regie: Nicolas Pesce

Darsteller: Kika Magalhães, Olivia Bond, Will Brill u. a.

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