Editorial_30. 4. 2009

Mittelschmerz

Alle reden von Demokratie - doch wenn die Herrschaft des Volkes wirklich drohend ihr Haupt erhebt, sind die Mächtigen schnell mit Boykotten, Angriffskriegen und Propaganda zur Hand. Also lassen wir uns lieber weiter gängeln und glauben daran, daß "die Wirtschaft" so sein muß, wie sie ist. Nämlich verbrecherisch.    06.05.2009

Es mag Ihnen aufgefallen sein, daß man sich sehr schnell Zustimmung einhandelt, wenn man sozialistische Diktaturen - nationalistische wie kommunistische - verteufelt. Faschisten und Kommunisten stellen im Verständnis des Bürgers nämlich die äußersten Ränder eines aus der menschlichen Befindlichkeit entstandenen politischen Spektrums dar. In selbigem sind die Vertreter der Außenränder strotzdumm und menschenverachtend böse; je weiter man in die Mitte rückt, desto weniger blöd und ungut wird´s, bis schließlich im - hypothetischen, weil praktisch vertreterlosen - Zentrum selbstlose, unkorrumpierbare Demokraten erscheinen.

Nun, hier die aufregende Neuigkeit dieses Editorials: Die real existierende Demokratie ist strotzdumm und böse. Sie ist eine Diktatur der kapitalistischen Korruption. Der einzige Unterschied zu den "bösen Außenrändern" ist der, daß alles, was Interessen der herrschenden Elite korrumpieren könnte, nicht zur Massenvernichtung in KZs oder Gulags abtransportiert wird, sondern in eine für die Elite gewinnbringende Form gepreßt wird - mit Hilfe von Marketing und Propaganda, Produktdiversifikation und, wenn´s gar nicht anders geht, aggressiven Leerkäufen und schließlich hierarchisch-zentralistisch konzertiertem Massenmord.

Zugegeben, Demokratie mag eine Spur weniger menschenverachtend sein als Diktatur, aber wenn man sich die außenpolitische Gebarung der Mutter aller Demokratien USA ansieht, ist der Unterschied marginal. Und sie ist auch nur ein klitzekleines Spürchen smarter als das, was die Außenrändler bisher zusammengebracht haben. Ausbeutung und Sklaverei bis zum Tod; das ist die Methode, mit der auch die demokratische Elite in ihrem kapitalistischen System über die Massen herrscht, und dem wachen Bürger wird mit als Entertainment getarnter Propaganda über Massenmedien ins Gehirn gespült, daß das nur natürlich ist.

Eine Übertreibung? Reden wir in einem Jahr noch einmal über Medikamente gegen die Schweinegrippe. Oder anders: Wie sonst können Millionen um ihr Erspartes gebracht werden, während der Raffzahn, der die Güter zur Seite schafft, obwohl er sie nicht braucht, damit er sie für HurInnen (um auf jeden Fall genderneutral zu bleiben ...), Juwelen, Luxusfuhrparks, Yachtflotten und unbenötigte Wohngebiete verprassen kann, immer noch bei fast jedem Gesprächspartner das Negativbeispiel in einem an sich natürlichen, menschheitsimmanenten System namens Kapitalismus darstellt? Das ist so verdammt strotzdumm und böse, dass es faschistisch-kommunistisch wäre, eine böse Absicht dahinter zu vermuten.

Deshalb: Es handelt sich um Gehirnwäsche. Und es gibt drei Wege, damit umzugehen:

 

1. weiterhin die Gehirnwäsche willkommen heißen und ein Leben auf Knien leben. Solange es warm ist und man zu essen hat, ist es ja erträglich.

2. sich zur Gegenwehr entscheiden, aufrecht stehend und erhobenen Hauptes mit aller Gewalt auf alles einschlagen, was dieses Elitensystem ausmacht, und entweder durch Polizeigewalt oder in einem Kerker verenden.

3. diese ganze langweilige Scheiße einfach ignorieren und stattdessen EVOLVER lesen. Hier bemühen sich Menschen aus Idealismus redlich, gezielt keine gehirnwaschende Propaganda zu vertreiben.

Klaus Hübner

EVOLVER-Newsletter


Sollten Sie unser Editorial gleich bei Erscheinen lesen wollen, empfehlen wir das Abonnieren unseres Newsletters.

Links:

Kommentare_

Print
Edward Anres - Nelly und Pan

Der Gott des Irrsinns

Der Debütroman des Deutschen Edward Anres, Neuentdeckung des österreichischen bildmanufaktur-Verlags, ist eine literarische Apotheose in jeder Deutungsvariante: Der Roman erzählt die Geschichte zweier Verrückter, die sich in der Psychiatrie treffen und genau das Verkehrte tun - aber mit der sexuellen Kraft von Donnergöttern und einer Intensität, die beim Lesen schwindelig macht.  

Print
Robert Hübner – kunst werk bild

Wovon man redet, wenn man "Kunst" sagt

Der Maler und Digitalkünstler Robert Hübner, langjähriger Mitarbeiter der Linzer Kunsthochschule, legt mit seiner ersten Wissenschaftspublikation einen Meilenstein der kontemporären Kunsttheorie vor: eine lange überfällige akademische Neustrukturierung des Kunstbegriffs, quasi als Anpassung an die zeitgenössische Realität.  

Video
The Strain

Saugschwengel-Apokalypse

Gegen "The Strain", die Vampir-TV-Serie unter der Schirmherrschaft von Guillermo del Toro, sieht "The Walking Dead" blaß aus. Das Team des Mexikaners schafft einen neuen Rekord beim Qualitätsniveau im Genrefernsehen, wie Klaus Hübner findet.  

Stories
Reisebericht Zypern, Nachwort

Are you talking to me?

Klaus Hübners Reisebericht über seine Abenteuer auf Zypern hat uns einige unzufriedene Kommentare beschert. Jetzt nimmt er dazu Stellung.  

Stories
Reisebericht Zypern, Teil III

Dünen, Wildesel und Polyesterschnitzel

Weitab vom verblassenden Trubel des Massentourismus gibt es in Zypern ein Stück dessen zu entdecken, was vom Paradies übrig ist: einen Traumstrand, wo die Riesenschildkröten ihre Eier ablegen - zwischen Tonnen von Plastikmüll. Dritter und letzter Teil des Zypern-Reiseberichts.  

Stories
Reisebericht Zypern, Teil II

Die Einheimischen und die Krise

Im zweiten Teil des Zypern-Reiseberichts unterhält sich Klaus Hübner mit den Besitzern einer Taverne in Protaras und mit seinen AirBnB-Vermietern - allesamt direkte Leidtragende des Zusammenbruchs des hiesigen Kreditwesens.