Kino_When You’re Strange

Doors für Fortgeschrittene

Die neue Doku über Jim Morrison und seine Band entdeckt die Sixties-Legenden zwar nicht neu, beeindruckt aber mit bislang unveröffentlichten Originalaufnahmen.    31.08.2010

Die Dröhnung kostete Robby Krieger, John Densmore und Ray Manzarek auf einen Schlag satte 75.000 Dollar. So viel hatte eine US-Autofirma geboten, um einen Song der Doors für ein TV-Commercial verwenden zu dürfen. Weil Jim Morrison gerade irgendwo im Koma lag, brachten die übrigen drei Band-Mitglieder den Deal im Alleingang unter Dach und Fach. Als der Begnadete Tage später wieder auf die Erde zurückkehrte, begann er zu toben, weil er die "Einzigartigkeit" seiner Musik nicht verkaufen wollte. Morrison drohte mit dem Ausstieg aus der Band, das Werbegeschäft mit der Autofirma platzte, und "Break On Through" wurde trotzdem ein Hit - einer der ersten der Doors.

 

Diese Geschichte ist eine der vielen, die Tom DiCillo in seiner neuen Doors-Dokumentation "When You’re strange" erzählt. Daß sich die von Jim Morrison und und Ray Manzarek am Strand von Venice Beach gegründete Gruppe nach einem Zitat aus einem Essay des britischen Autors Aldous Huxley benannt hat ("If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite") erfahren alle, deren Wahrnehmung es bisher entgangen ist, gleich am Anfang. Bis zum Ende nicht erfährt man jedoch, weshalb - abgesehen von der Musik - bis heute psychedelische Unendlichkeit über der Erinnerung an die Band schwebt. DiCillos Montage setzt voraus, daß man die Doors bereits kennt und abseits von schöngefärbten Biographien und Konzertmitschnitten mehr über den musikalischen Kernreaktor der Endsechziger wissen will. Daß auch Material aus Morrisons 1969 entstandenem Experimentalfilm "HWY: An American Pastoral" verwendet wurde, bekommt ohnehin nur mit, wer alle Doors-Platten nebst Bootlegs zu Hause oder zumindest das Filmprogramm gelesen hat.

Tom DiCillo, bislang als Kameramann für Jim Jarmusch ("Coffee and Cigarettes") und Regisseur einzelner Episoden der Fernsehserie "Criminal Intent" tätig, hat in seiner Doors-Dokumentation auf plakative Elemente verzichtet und sich am historischen Ablauf des Geschehens orientiert. Er bringt keine bislang verborgenen Details oder Skandalgeschichten ans Licht, sondern folgt der Band anhand unveröffentlichter Originalaufnahmen von ihrer Gründung im Jahr 1965 über die ersten Auftritte im Whisky a Go-Go bis zu Jim Morrisons Tod im Jahr 1971 in Paris. DiCillo thematisiert die Ereignisse nicht, er beobachtet sie: den sensationellen Aufstieg der Formation in Rekordzeit, die Konfrontationen mit der Polizei und dem erzkonservativen Amerika, Morrisons Drogenexzesse und die Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe. Stand beispielsweise unter einem Song nicht der Band-Name, sondern der einer Einzelperson als Credit, dann hing der Haussegen ziemlich schief.


Die Geschichte der Doors wird von Johnny Depp erzählt, dessen Kommentar sich aufs Notwendigste beschränkt. Wer bis heute nichts von den Doors gewußt hat, wird sich nach dem Film vermutlich auch noch kein Bild von ihnen machen können – außer, daß es da Ende der 60er wohl eine Band gab, deren Leadsänger entrückter schauen konnte als jeder Dackel. Der eigentliche Reiz von "When You’re Strange" liegt nicht darin, die Doors zu entdecken, sondern in den verwendeten Originalaufnahmen, die vor allem für Fans interessant sein werden. Denen bringt der Streifen aber außer nostalgischer Ironie nicht viel Neues in ihr Doors-Universum. Zum Glück ist er aber auch nicht so eklig esoterisch wie die viel schlechter recherchierte Morrison-Verklärung "The Doors" (1991) von Oliver Stone. Daß er im Kino nicht mit dem grellen Pop-Kitsch eines Robbie Williams konkurrieren kann, steht von vornherein fest, dem kommenden DVD-Realease gehört aber ein angemessener Platz in der Sammlung reserviert.

Was bleibt nun unterm Strich? Drei Dinge. Erstens: Jim Morrison war während seiner 54 Monate als Türe vielleicht einen halben Tag nüchtern. Zweitens: Jim Morrison hatte mehr Hosen als nur eine lederne Schwarze. Und, ganz wichtig: Keine Doors-Nummer wurde je für eine Autowerbung verwendet. Meint wenigstens Tom DiCillo.

Chris Haderer

When You’re Strange

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2010
86 Min. (90 Min. in der Sundance-Version)

Regie & Buch: Tom DiCillo

Erzähler: Johnny Depp
Darsteller: John Densmore, Robby Krieger, Ray Manzarek und Jim Morrison (Archivmaterial)

 

Filmstart in Österreich: Freitag, 3. September 2010

Links:

Kommentare_

Martin Compart - 04.09.2010 : 10.15
Eines sollte man zur Automobilspot-Geschichte vielleicht noch erwähnen. Da die Verträge bereits gemacht waren, waren sie also auch rechtskräftig. Und wie hat Jim den Song da raus geholt? Indem er den Managern drohte: Wenn sie den Song für ihren Spot verwenden würden, würde auch Jim Morrison, der über die ausreichende Finanzkraft verfügte, einen Spot drehen, der wöchentlich ausgestrahlt würde. In diesem Spot würde er, Jim Morrison, zu den Klängen wohlfeiler Doors-Musik ein Auto des Konzerns zersägen. Damals konnte man sich diese kostenlose zusätzliche Webung noch nicht leisten. Heute fänden das alle Dumpfbeutel "cool, ehhh" und Morrison würde ein Angebot als PR-Chef bekommen.
Chmul - 04.09.2010 : 16.06
have saw, will travel ...
Fabi - 12.08.2014 : 06.39
...Tom DiCillo indeed was wrong. Volkswagen did a commercial with the Riders On The Storm track.
Soweit ich mich erinnere wars für eine Golf Baureihe in den 90ern.

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