Kino_Operation Walküre - Das Stauffenberg-Attentat

Der gute Deutsche

Bryan Singer bleibt sich und seinem bevorzugten Genre treu. Seine Version vom Hitler-Attentat ist ein temporeicher, spannender Superhelden-Film vor historischer Kulisse. Da stört selbst Tom Cruise nicht weiter.    20.01.2009

Darf ein bekennender Scientologe wie Tom Cruise einen der prominentesten Vertreter des deutschen Widerstands verkörpern? Diese Frage heizte bereits während der Dreharbeiten die Gemüter von Befürwortern wie Gegnern des Cruiseschen Filmprojekts an. Ebenso kontrovers wurde darüber diskutiert, ob Regisseur Bryan Singer die Möglichkeit bekommen sollte, die Geschichte des Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg an Originalschauplätzen - unter anderem im Berliner Bendlerblock - zu erzählen. Rückblickend scheint die ganze Aufregung reichlich übertrieben, schließlich verhandelt "Operation Walküre" weder die Agenda des L. Ron Hubbard noch Cruises verqueres Weltbild.

Stauffenberg war nicht nur einer der wichtigsten Organisatoren des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944, er ist auch bis heute der Inbegriff des deutschen Widerstands, der sich aus den alten Eliten von Bürgertum, Adel und Militär rekrutierte. In Singers Film ist er zudem so eine Art Superheld und uneingeschränkte Identifikationsfigur. Obwohl er lange Zeit als überzeugter Patriot Hitlers Kriegsführung befürwortete und sich seinem Treueeid verpflichtet fühlte, basteln die Drehbuch-Autoren Christopher McQuarrie und Nathan Alexander unablässig an seinem Heiligenschein. Das ist historisch zwar nicht wirklich korrekt, erscheint in diesem Fall aber durchaus legitim. Schließlich würde der amerikanische Zuschauer ansonsten sehr wahrscheinlich auf Distanz zu Stauffenberg gehen, und die Dramaturgie der zumindest in ihrem Ausgang bekannten Geschichte würde nicht funktionieren.

McQuarrie und Alexander blenden die Zeit vor 1943 einfach aus und beginnen ihre Rekonstruktion der Ereignisse mit einer kurzen, für Stauffenbergs späteren Werdegang aber äußerst bedeutsamen Episode. Als er mit der 10. Panzerdivision den Rückzug des deutschen Afrika-Korps absichern soll, wird er bei einem Fliegerangriff schwer verletzt. Stauffenberg verliert sein linkes Auge und die rechte Hand. Dennoch wird er nur wenige Monate später zum Stabschef des Allgemeinen Heeresamtes in Berlin ernannt. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich bereits dem militärischen Widerstand angeschlossen. Zum engsten Zirkel der am Ende mehrere hundert Mann starken Gruppe gehörten auch Stauffenbergs Vorgesetzter General Friedrich Olbricht (Bill Nighy), der Leiter des Allgemeinen Heeresamtes, Generalmajor Henning von Tresckow (Kenneth Branagh), Oberst Mertz von Quirnheim (Christian Berkel) sowie die erklärten Regimegegner Ludwig Beck (Terence Stamp), bis 1938 Hitlers Generalstabschef, und der nationalkonservative Politiker und frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler (Kevin McNally).

 

Sieht man einmal davon ab, daß Stauffenberg hier zum Superhelden mit blütenweißer Weste mutiert, kann man "Operation Walküre" keine gravierenden Ungenauigkeiten im Umgang mit den Fakten vorwerfen. Daß McQuarrie und Alexander die Handlung auf einen kleinen Kreis eingeweihter Widerständler verdichten, ist das Resultat einer möglichst ökonomischen Narration und dient letztlich vor allem der Übersichtlichkeit. Da sich ihr Film ausschließlich mit der Person Stauffenbergs sowie der von ihm maßgeblich vorangetriebenen Planung und Umsetzung des Attentats beschäftigt, finden die nationalsozialistischen Greueltaten nur im Off statt. So wird der Genozid an den europäischen Juden in den Gesprächen der Militärs lediglich vage angedeutet. Stauffenberg und die seinen empfinden die Verbrechen der SS und Gestapo zwar als Schande für die Wehrmacht, in erster Linie handeln sie jedoch weniger aus Mitleid denn aus einem patriotischen Pflichtgefühl.

Gestorben wird in "Operation Walküre" ohnehin nur während der ersten und letzten Minuten, wobei in beiden Fällen ausschließlich Deutsche zu Tode kommen. Für eine Hollywood-Produktion über die Nazizeit mag dies ein Novum sein; zum Aufreger reicht es vier Jahre nach Bernd Eichingers "Der Untergang", der den GröFaZ als verweichlichten Vegetarier zeigte, jedoch nicht mehr.

Für Singer stellte sich überdies eine ganz andere Frage: Wie schafft man es, daß eine Geschichte spannend bleibt, deren Ausgang doch hinlänglich bekannt ist? Die Antwort, die "Operation Walküre" hierauf gibt, ist so einleuchtend wie effektiv: Das Drehbuch spielt in minutiöser Abfolge mit den Eventualitäten und Details, die das Attentat und den Staatsstreich doch noch erfolgreich machen hätten können. Was, wenn die Besprechung kurzfristig nicht um eine halbe Stunde vorverlegt worden wäre und Stauffenberg genug Zeit gehabt hätte, auch den zweiten Sprengsatz zu aktivieren? Was, wenn das Treffen wie sonst auch im Bunker stattgefunden hätte, wo die Wucht der Detonation nicht von den leichten Wänden der Baracke abgeschwächt worden wäre? Was, wenn Olbricht in Berlin nicht gezögert hätte, den Notfallplan "Walküre" auszurufen? Ein Dutzend solcher "Was wäre, wenn"-Momente lassen einen fortwährend die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Man will nicht glauben, was man da sieht.

So schneidig die Hackenschläge hier ertönen, so rasant und auf Zug präsentiert Singer auch den Ablauf der Ereignisse als weitgehend chronologisches Pingpongspiel zwischen Berlin, Stauffenbergs Heimatstadt Bamberg und dem Führerhauptquartier Wolfsschanze. Die Geschichte entwickelt dabei spätestens mit Stauffenbergs Ankunft im Führerhauptquartier am Mittag des 20. Juli eine faszinierende Eigendynamik. Die Suspense, die aus der detailgetreuen Rekonstruktion des Ablaufplans und seiner Ausführung resultiert, legt zugleich Singers wahre Motivation offen. Ihm war augenscheinlich weniger daran gelegen, die Geschichte des deutschen Widerstands zu erzählen, als vielmehr einen spannenden Verschwörungs-Thriller vor großer, historischer Kulisse zu inszenieren.

Der Regisseur von "Superman Returns" und "X-Men" nutzt das Datum des 20. Juli 1944 für einen packenden Showdown zwischen Gut und Böse. Insofern paßt die mitunter recht dick aufgetragene Helden-Imitation des Tom Cruise perfekt in diese Umgebung. "Operation Walküre" ist ein Film über das Dritte Reich, der einmal nicht belehren, sondern vornehmlich unterhalten will. Ob das legitim ist, darüber sollen sich Moralisten wie Michel Friedman den Kopf zerbrechen.

Marcus Wessel

Operation Walküre - Das Stauffenberg-Attentat

ØØØØ

(Valkyrie)

Leserbewertung: (bewerten)

USA/D 2008

120 Min.

Regie: Bryan Singer

Darsteller: Tom Cruise, Bill Nighy, Tom Wilkinson u. a.

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