Kino_The Wrestler

Herr des Ringes

Welch ein Comeback: Mickey Rourkes großartiger Auftritt als alternder Wrestler veredelt Darren Aronofskys vielfach preisgekrönte White-Trash-Milieustudie.    09.02.2009

Früher war alles besser - eine Platitüde, die viele unterschreiben würden. Zu denen zählt garantiert auch Randy (Mickey Rourke). Unter seinem Ringnamen "The Ram" verdiente er in den Achtzigern als professioneller Wrestler sein Geld. Randy hatte Fans, Neider und eine richtig gute Zeit. Um sein Liebesleben brauchte er sich ebenfalls keine Sorgen zu machen; schließlich verfehlt ein durchtrainierter Männerkörper beim anderen Geschlecht nur sehr selten seine Wirkung. Sogar Kinder spielten mit Action-Figuren, die ihm nachempfunden waren. Kurzum: Randy war jemand.

Weil sich glückliche Momente nur schwer konservieren lassen und die Zeit unaufhörlich - und in Randys Fall unbarmherzig - voranschreitet, ist der Glanz jener Tage längst nicht mehr als eine sentimentale Erinnerung. Heute schuftet der einst gefeierte Wrestler als Aushilfskraft in einem Supermarkt. Das Salär ist bescheiden und reicht gerade so, um die Miete für seinen Wohnwagen zu begleichen. Gelegentlich tritt Randy noch in billigen Amateur-Shows auf. Mit den perfekt choreographierten Kämpfen aus früheren Zeiten haben diese Sammelstellen des White-Trash-Entertainments jedoch kaum noch etwas gemein. Doch das ist Randy egal. Es ist die vage Sehnsucht nach einem Comeback, die ihn antreibt und fast das Leben kostet. Erst ein Herzinfarkt und der eindringliche Appell der Ärzte, den Wrestling-Sport aufzugeben, machen sämtliche Comeback-Pläne (vorerst) zunichte.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Regisseur Darren Aronofsky die Rolle des alternden, unbeugsamen Kämpfers ausgerechnet mit Mickey Rourke besetzte - natürlich im Wissen, daß Rourkes eigene Biographie jener Randys nicht ganz unähnlich ist. Wie bei der Filmfigur liegen auch Rourkes größte Erfolge schon eine Weile zurück, sieht man einmal von seinem Auftritt in Frank Millers Film-Noir-Comic "Sin City" ab. Und wie Randy ist auch Rourke ein Kind der Achtziger. Das Gesicht des heute 52jährigen ist nach zahlreichen "Schönheitsoperationen" derart entstellt, daß es Rourke merklich schwer fällt, seine fast schon erstarrte Mimik wie ein normaler Schauspieler einzusetzen.

Was für nahezu jede Rolle ein kaum überwindbares Handicap wäre, kann Rourke hier zu seinem Vorteil und zum Vorteil des Films nutzen. Randy ist ein Wrack. Sein vernarbter, von Aufputschmitteln und Steroiden schwer gezeichneter Körper, seine ausdruckslosen Gesichtszüge und die langen, blondierten Haare - all das präsentiert Rourke zu jedem Zeitpunkt mit einer schonungslosen Offenheit und Ehrlichkeit, sehr wohl ahnend, daß manch ein Zuschauer versucht sein wird, nach Parallelen zwischen ihm und seiner Rolle zu suchen. Doch Rourkes überzeugender Auftritt reduziert sich nicht auf seine imposante Erscheinung. Ohne in die Falle des Overacting zu tappen, läßt er keine Zweifel daran, was sein Alter ego gerade will, denkt und fühlt. Wenn Randy in einer Szene sehnsuchtsvoll auf seine Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood) wartet oder der Stripperin Cassidy (Marisa Tomei) seine Liebe gesteht, zeigt sich die ganze Tragik dieser Figur. Randy lebt in der Vergangenheit und vergißt über dieser das Hier und Jetzt.

 

Nach seinem experimentellen, esoterischen und überfrachteten Liebesdrama "The Fountain" vollzog Independent-Filmer Aronofsky eine 180-Grad-Wendung. In "The Wrestler", der am Rande auch eine Liebesgeschichte behandelt, erscheint nichts unnötig ambitioniert oder erzwungen. Selbst das Ende ist intrinsisch motiviert und daher nur konsequent. Die sphärischen Klänge aus der Feder von Aronofskys Stammkomponisten Clint Mansell wurden gegen einen für das Wrestling-Milieu authentischen Rock-Soundtrack ausgetauscht, gleichzeitig mußten die extrem stilisierten Bilder einer realistischen und nüchternen Optik Platz machen. Aronofsky setzt dieses Mal zur Gänze auf eine bewegliche Handkamera, die den Schauspielern nicht von der Seite weicht. Insbesondere während der zum Teil recht blutigen Wrestling-Matches erweist sich diese Herangehensweise als eine kluge Wahl, weil der Film dadurch erst recht eine starke Sogwirkung entwickelt. Selbst wenn man weiß, daß eine solche Form des Show-Wrestling per Definition unecht ist, kann einem die ausgestellte Gewalt beinahe körperliche Schmerzen bereiten.

Wenngleich "The Wrestler" ohne Mickey Rourke kaum vorstellbar erscheint und der Film ganz auf ihn zugeschnitten wurde, tragen auch Marisa Tomei und Evan Rachel Wood ihren Teil zum Gelingen dieses kleinen, präzise beobachteten Dramas bei. Tomei holt aus einer zugegeben nicht ganz klischeefreien Rolle - der Stripperin/alleinerziehenden Mutter mit dem goldenen Herzen - das Maximum an Präsenz und Glaubwürdigkeit heraus. Wood wiederum durfte zusammen mit Rourke die vielleicht emotionalste Szene des Films drehen. Als sich Vater und Tochter nach Jahren der Entfremdung erstmals wieder näherkommen, bleiben Tränen nicht aus.

Aronofsky schildert ein im Grunde deprimierendes Schicksal. Randy sucht Liebe, Erfolg und Anerkennung, aber letztlich vergebens. Am Ende findet er sich stattdessen wie ein Stück Fleisch unter den Sonderangeboten wieder. Trotz einer solch wenig erbaulichen Konklusion ist "The Wrestler" meilenweit von gängigem Betroffenheitskino entfernt. Der liebevoll-ironische Blick auf die Wrestling-Szene und Randys Arbeit im Supermarkt, aus dem sich so manche Parallele ziehen läßt, sorgt für eine tragikomische Balance. Das ist vermutlich der größte Gegensatz zu Aronofskys früheren Arbeiten, die bei aller Brillanz bisweilen an ihrer Ambitioniertheit zu ersticken drohten.

Marcus Wessel

The Wrestler

ØØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2008

105 Min.

Regie: Darren Aronofsky

Darsteller: Mickey Rourke, Marisa Tomei, Evan Rachel Wood u. a.

Links:

Kommentare_

eridorf - 15.02.2009 : 18.11
Mickey Rourke wirkt auch wieder in seinem neuen Film "the wrestler" ungemein faszinierend. Eigentlich abstoßend wirkend,
zieht er die Betrachter unentrinnbar in seinen Bann.

Kino
Maria, ihm schmeckt´s nicht!

Italienische Verhältnisse

In der süditalienischen Provinz begegnet Christian Ulmens verweichlichter Bräutigam mediterraner Gastfreundschaft und einer Familie im permanenten Ausnahmezustand. Die Verfilmung von Jan Weilers Bestseller ist leichtes Sommerkino und Culture-Clash-Komödie zugleich.  

Kino
Hangover

Kater-Bestimmung

Wer zuletzt die öde Beziehungskomödie "Love Vegas" durchlitten hat, mag kaum glauben, daß ein Filmriß in der Glücksspielmetropole auch eine ungemein unterhaltsame Sache ergeben kann. Hier werden selbst hartgesottene Skeptiker eines Besseren belehrt.  

Kino
Filmvorschau Juli

Hot time, summer in the city

Obwohl das derzeitige Wetter eher zu "Singin´ in the Rain" animiert, steht der Hochsommer vor der Terrassentür. Marcus Wessel verrät, ob es im kommenden Monat eine sinnvolle Alternative zum Strandbesuch gibt. Eines vorab: Der Zauberlehrling ist´s bestimmt nicht.  

Kino
The Limits Of Control

Kontrollverlust

Jim Jarmusch gilt als einer der letzten großen Independent-Filmer des amerikanischen Kinos. Doch dieser Status ist jetzt in Gefahr. Mit seinem neuen, kryptischen Road-Movie-Thriller liefert der Wahl-New-Yorker enttäuschendes Kunstkino zum Abgewöhnen.  

Kino
Illuminati

Langdon, übernehmen Sie!

Nach seinem zumindest kommerziell überaus erfolgreichen ersten Kinoausflug in "Der Da Vinci Code" darf der von Tom Hanks verkörperte Experte für religiöse Symbolik erneut einen sakralen Hindernis-Parcours bewältigen. Ron Howards Film liefert mit maximalem Aufwand minimale Unterhaltung.  

Kino
X-Men Origins: Wolverine

Backenbart im Setzkastenkino

Hugh Jackman schlüpft ein viertes Mal in die Rolle, die ihm seinerzeit den internationalen Durchbruch einbrachte. Das vom Südafrikaner Gavin Hood ("Tsotsi") inszenierte Mutanten-Spektakel erkundet den Ursprung des Wolverine-Mythos. Doch nach einem forschen Auftakt wird´s leider bald zu einer zähen Geisterfahrt.