Kino_Veronika beschließt zu sterben

Keiner fliegt übers Kuckucksnest

Emily Youngs Verfilmung des Coelho-Bestsellers ist zwar bemüht - aber leider viel, viel zu lang. Und noch vorhersehbarer als die banale literarische Vorlage ...
   29.09.2010

Veronika beschließt, zu sterben … und wird geheilt. Leider. So legt sich nämlich die in den ersten Minuten des Films aufgebaute Spannung nach dem Vorspann recht schnell wieder. Aus dem Monolog einer Frau, die angesichts ihrer von Tristesse und Gleichförmigkeit bestimmten Zukunftsaussichten die Konsequenzen zieht und einen Selbstmordversuch begeht, wird ein zwar bemühtes, aber letztlich konstruiertes Sanatoriumsdrama.

"Grün ist das neue Schwarz", liest die depressive Veronika auf dem Cover eines Lifestyle-Blättchens und tippt, bevor sie von Tabletten und Alkohol bewußtlos wird, noch einen letzten Leserbrief in ihren Computer: "Seid ihr alle wahnsinnig geworden?" Sie will kein vorprogrammiertes Leben, keinen Mann, der sie in den Haushalt verbannen wird, kein Kind, um ihre Beziehung zu retten; sie will in zehn Jahren nicht betrogen werden und beim zweiten Mal nicht still darüber hinwegsehen, weil sie schon zu müde geworden ist.

Und so schwimmt sie von ihrem Edel-Apartment über den Grund eines immer dunkler werdenden Meeres direkt in die psychiatrische Anstalt Villete - wo sie erfährt, daß ihr Selbstmord zumindest teilweise gelungen ist. Der Medikamenten-Cocktail hat nämlich einen Herzinfarkt ausgelöst und der wiederum ein Aneurysma, das Veronika töten wird.


Nach dem Bestseller von Paulo Coelho, der in seinem Roman eigene Psychiatrie-Erlebnisse verarbeitete, versucht Regisseurin Emily Young eine "Liebeserklärung an das Leben" vorzutragen, wie es der Verleih formuliert.

Das gelingt ihr, trotz aller Vereinfachungen gegenüber der komplexen Vorlage, leider nicht konsequent. Möglicherweise liegt´s daran, daß es eigentlich nicht viel zu erzählen gibt - wofür sich Young allerdings 103 Minuten Zeit nimmt. Veronika fliegt nicht über das Kuckucksnest, stattdessen bewegt sie sich in Zeitlupe durch eine wohlgesinnte Märchenwelt der Selbstfindung. Die anfangs gestellte Frage, wer hier die Verrückten sind, verliert an Bedeutung. Stattdessen lernt Veronika angesichts des erneut bevorstehenden Todes die kleinen Momente zu schätzen und sich dem Leben wieder zu öffnen. Letztlich verliebt sie sich in den Mitpatienten Edward (Jonathan Tucker) und verläßt mit ihm Villete.

Den hier zwangsläufig folgenden Plotpoint – das Herzaneurysma – sieht man leider schon eineinhalb Stunden im voraus bei Gegenlicht. Die aufgesetzte Pointe am Ende spricht genausowenig für die Erzählkunst von Regisseurin Young wie die plakative Umkehrung von Coelhos Romanmotiv: Dort geht es darum, den Augenblick und sich selbst zu lieben, aber nicht, an der Schulter eines anderen Erleichterung zu finden.

Daß hingegen die Romanhandlung von Slowenien nach New York verlegt wurde, liegt vermutlich daran, daß kaum ein Amerikaner weiß, ob sich die USA noch im Krieg mit diesem Teil Ex-Jugoslawiens befinden. Coelho macht in seinem Buch eine Reihe von Ortsangaben (so spielt ein Teil der originalen Handlung in Lublijana), und Veronika ärgert sich in ihrem finalen Leserbrief auch nicht über eine Modefarbe, sondern darüber, daß niemand weiß, wo Slowenien liegt ...


Überraschend ist Sarah Michelle Gellar, die in der Entertainment-Welt bisher vorwiegend als Vampirjägerin Buffy unterwegs war. Mit ihrer gefühlvollen und kaum rührseligen Darstellung beweist sie Potential für vielschichtigere Charaktere, kann aber die Längen des Films auch nicht verkürzen. Eine adäquate Umsetzung des Coelho-Bestsellers ist Emily Young mit "Veronika beschließt zu sterben" nicht gelungen – eher richtig schweres Kino.

Nehmen Sie sich was zu lesen mit.

Chris Haderer

Veronika beschließt zu sterben

ØØ 1/2

Veronika Decides to Die

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2009

103 Min.

 

Regie: Emily Young

Darsteller: Sarah Michelle Gellar, Jonathan Tucker, David Thewlis u. a.

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