Kino_Cosmopolis

Who the fuck is Babich?

In seinem neuen Film "Cosmopolis" schickt Regisseur David Cronenberg die New Economy auf eine Reise in die Nacht.    25.06.2012

Es ist eine Geschichte, die sich so nicht ereignen wird und die auf ihre Weise, obwohl in der Vergangenheit angesiedelt, vom zukünftigen Zusammenbruch handelt. Eine schwarze Limousine quält sich durch die 47. Straße - und wer schon einmal in New York war, der weiß: Das kann länger dauern. An diesem Apriltag im Jahr 2000 dauert es besonders lange, weil nämlich der US-Präsident in der Stadt weilt, gleichzeitig der Sufi-Rapper Brutha Fez beerdigt wird und Globalisierungsgegner in den Straßen demonstrieren. Im Wagen sitzt Eric Packer, ein archetypischer Vertreter der New Economy, auf dem Weg zu einem Friseurtermin am anderen Ende der Stadt, begleitet von seinen Leibwächtern und Sicherheitsbeamten, seiner Frau, seiner Liebhaberin und seinem Leibarzt. Das ist der Ausgangspunkt von David Cronenbergs neuem Film "Cosmopolis", der nicht nur auf dem gleichnamigen Buch von Don DeLillo basiert, sondern praktisch alle Dialoge daraus wortwörtlich übernimmt. Protagonist Packer, gespielt von "Twilight"-Schönling Robert Pattinson, sitzt in seinem High-tech-Auto, das zugleich rollendes Büro ist, verliert auf dem Weg zum Friseur ein Vermögen und durchquert ein bizarres Endzeitszenario.

 

"Während wir den Film drehten, geschahen in der realen Welt Dinge, die im 2003 erschienenen Roman beschrieben wurden", sagt David Cronenberg. "Rupert Murdoch bekam eine Torte ins Gesicht, und es gab eine 'Besetzt die Wall Street'-Bewegung, nachdem wir mit dem Dreh fertig waren. Ich mußte nur sehr wenige Dinge ändern, um die Geschichte zeitgenössisch zu machen. Der einzige Unterschied ist, daß wir den Yuan statt dem Yen verwendeten."

Packer ist so etwas wie ein Zentralgestirn, um das die anderen Figuren des Filmes kreisen. In seinem schalldichten Wagen hermetisch von den Geschehnissen auf den Straßen abgeschirmt, läßt er die Protagonisten antreten und ihn ein kurzes Stück begleiten. Je weiter die Reise in die Nacht voranschreitet, desto desolater wird der Zustand des Wagens - und auch Packer verliert im Laufe der vielen Begegnungen zunehmend an Substanz.

"Das Drehbuch von 'Cosmopolis' entstand innerhalb von sechs Tagen", sagt David Cronenberg. "Ich habe alle Dialoge aus dem Buch in meinen Computer getippt, ohne etwas zu ändern oder hinzuzufügen. Dazu brauchte ich drei Tage. Während der nächsten drei Tage füllte ich die Lücken zwischen den Dialogen, und schon war das Drehbuch fertig. DeLillo ist berühmt für seine Dialoge, aber die Dialoge in 'Cosmopolis' sind besonders hervorragend."

In der Werbung wird "Cosmopolis" gern als erster Film über das "neue Millennium" bezeichnet - was Autor DeLillo so nicht gelten lassen will. Es sei niemals seine Absicht gewesen, ein Buch über das dritte Jahrtausend zu schreiben, sagte er im Rahmen einer Pressekonferenz bei den Filmfestspielen in Cannes. "Um die Jahrtausendwende und davor war Manhattan voll von riesigen Limousinen", erinnert sich Don DeLillo. "Die Straßen von Manhattan sind aber der letzte Platz auf der Welt, an dem man mit so großen Fahrzeugen einigermaßen vorankommt. Das begann mich zu interessieren - und ich beschloß, eine Geschichte über einen Mann in in einem viel zu großen Wagen zu schreiben, der auf dem Weg zum Friseur ist. So begann ich mit der Arbeit an 'Cosmopolis'. Ich dachte nicht an das Millennium oder ähnliches."

 

Robert Pattinson ist leider ein wenig von seiner Rolle überfordert - weshalb sich sein Mienenspiel auch auf das Notwendigste beschränkt. Den Switch vom Vampir zum blutsaugenden Kapitalisten glaubt man ihm hauptsächlich wegen der archetypischen Rolle des Eric Packer, der sein ganzes Leben sozusagen an einem Tag verbrennt. Es ist schon dunkel, als er sich in einem Park die High-tech-Waffe seines Sicherheitsbeamten zeigen läßt, die durch einen gesprochenen Code scharf gemacht wird. Der lautet "Nancy Babich", und der Name der Unbekannten gerinnt auch gleich zur Metapher, als Eric den Mann daraufhin erschießt.

"Der ganze Tag ist für Eric so etwas wie eine Suche nach Befreiung", sagt David Cronenberg. "Der Sicherheitsbeamte schützt ihn zwar, sperrt ihn aber auch ein - genauso, wie auch die Limousine eigentlich ein Gefängnis ist. Eric versucht sich zu befreien und geht gleichzeitig auch in seine Vergangenheit zurück. Der Haarschnitt, wegen dem er unterwegs ist, ist der gleiche wie der seines Vaters." Während der Roman die Geschichte aus der Perspektive von Bruno Levins erzählt, einem ehemaligen Angestellten von Packer, tritt die Figur im Film erst gegen Ende auf, wenn die Geschichte in den letzten 20 Minuten auf ein voraussehbares, aber dennoch unausweichliches Ende hinausläuft. Wer das Buch gelesen hat, kennt den Schluß; im Film ahnt man ihn nach wenigen Minuten, was aber nicht stört, weil in "Cosmopolis" der Weg das Ziel ist.

Leider ohne die Dichte von "A History of Violence" oder "Eastern Promises" zu erreichen, erinnert "Cosmopolis" im Ton ein bißchen an frühere Cronenberg-Filme wie "Videodrome“, "eXistenZ" oder "Naked Lunch" – obwohl der Regisseur jegliche Zusammenhänge abstreitet. Jeder Film habe seine eigenen Ansprüche und Erfordernisse: "Wenn ich einen Film mache, denke ich nicht an die anderen davor", sagt David Cronenberg. "Kritiker sehen oft Verbindungen zwischen meinen Filmen, aber darüber denke ich nicht nach, weil es für das Drehen und den aktuellen Film nichts bringt."

 

Ein gewisses Faible fürs Eklige kann David Cronenberg nicht verleugnen. Seine frühen Filme waren durchaus im Blut- und Beuschelland angesiedelt, unterschieden sich vom üblichen Eingeweidematsch allerdings durch perfektes Handwerk und der Intensität der Erzählung. Nach plakativen Effekten kommt noch etwas mehr, und es ist eine Art von Organismus, die in Cronenbergs Versatzstücken immer wieder auftaucht: atmende, lebendige Geräte, die mit ihren Besitzern verschmelzen und die Realität umkippen. Auf der einen Seite. Auf der anderen steht die Abstraktion, von der die Ballard-Verfilmung "Crash" lebt und die im konstruierten Dekor der Limousine in "Cosmopolis" aufersteht.

Letztlich gibt es dann doch eine Verbindung zwischen seinen Filmen, auch wenn Regisseur Cronenberg nicht öffentlich darüber nachdenken möchte. In "Cosmopolis" ist es Nancy Babich, der Name einer unbekannten Frau, der aus einem Stück Metall eine Waffe macht. Die gehört zu praktisch allen Cronenberg-Filmen und verbindet James Woods, der in "Videodrome" mit ihr verschmilzt, mit Robert Pattinson.

Es sei sehr schwer, einen Film wie "Cosmopolis" zu machen und ihn zu finanzieren, sagte David Cronenberg auf der Premierenpressekonferenz in Cannes. "Es gibt viele Filme mit großen Budgets, die deshalb extrem konserativ sind, nicht provozieren, sondern nur für eine breite Masse bestimmt sind. Darum glaube ich, daß die Hoffnung in der Kunst liegt, daß wir mit viel Hingabe einen solchen Film gemacht haben und nach Herausforderungen suchen. Würde ich mich hoffnungslos fühlen, hätte ich diesen Film nicht gemacht."

 

Chris Haderer

Cosmopolis

ØØØØ 1/2

Thriller

Leserbewertung: (bewerten)

F/Kan. 2011

108 Min.

 

Regie: David Cronenberg

Nach dem gleichnamigen Buch von Don DeLillo

Darsteller: Robert Pattinson, Paul Giamatti, Juliette Binoche, Sarah Gordon u. a.

 

Kinostart in Österreich: 6. Juli 2012

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