Kino_Up in the Air

Jäger und Sammler

Nach dem erfolgreichen "Juno" meldet sich Jason Reitman mit einem weiteren Kritikerliebling zurück und hat damit gute Oscar-Chancen. Nur das Drehbuch läßt diesmal zu wünschen übrig - meint Stefan Rybkowski.    03.02.2010

Familie ist wichtig. Familie ist die Basis. Familie ist Alles.

Ein Credo, wie es auch das US-Kino unbeirrt repetiert; etwa in Jason Reitmans letztem Film "Juno", der uns lehrte, daß man mit einer starken Familie im Rücken Alles durchstehen kann, sogar eine Teenager-Schwangerschaft.

Ryan Bingham (George Clooney) sieht das zwangsläufig etwas anders: Er benötigt keine Familie, denn er hat seinen Job. Bingham ist nämlich bei einer Firma beschäftigt, deren Aufgabe darin besteht, Angestellte ihrer Kunden "professionell" zu feuern. Diese Profession erfordert allerdings gewisses Fingerspitzengefühl, reagieren die soeben Gekündigten doch meist alles andere als erfreut: da kann dann durchaus einmal ein Sessel durchs Büro fliegen, oder der Betreffende bricht in Tränen aus ...

Gut, vielleicht braucht man hierfür einfach nur emotionale Kälte. Davon hat Ryan reichlich zu bieten. Schließlich befindet er sich an über 300 Tagen im Jahr im Flieger und hat nur Wenige, die ihm nahestehen. Hier eine Bekanntschaft, dort eine freundliche Nachbarin, that´s it. Was Ryan hingegen hat und liebt, sind seine Bonus- und V.I.P.-Karten, die ihm überall Tür und Tor öffnen - und das genießt er jede Sekunde. Oder ist es etwa gar nur die Routine, die ihn fest im Griff hält?

Als man ihm eine Partnerin (Anna Kendrick) zur Seite stellt, gerät sein Leben kurzfristig aus der Bahn: die Dame stört in seiner One-Man-Show. Schnell stellt er also die Rollenverteilung klar und behandelt Natalie fortan mehr als Epigonin denn als Ablösung. Auch in der Bekanntschaft Alex (Vera Farmiga) findet sich kein Gegenpol zu Ryan, eher ein weibliches Pendant; wo er auch hinschaut, der Narziß begegnet ihm nicht nur im Spiegel.

Natürlich verliebt er sich im Verlaufe des Films in Alex und beginnt sein Leben und seinen Beruf zu hinterfragen - wer hätte das geahnt.

In Zeiten der Wirtschaftskrise ist die Thematik angemessen brandaktuell und geht auch wohlgezielt ans Herz. Da scheint es weiter keine allzugroße Rolle zu spielen, daß Reitmans diesbezügliche Anspielungen auf Verantwortliche und Opfer meist mehr mit dem Holzhammer als subtil daherkommen. Hauptsache, es paßt in einen abendfüllenden, unterhaltsamen Hollywoodfilm ...

 

Daß der Streifen bei den Golden Globes die Trophäe für das beste Drehbuch abstauben konnte, kam nicht wirklich überraschend; schließlich ist so etwas wie Michael Moores "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" wohl doch zu wenig erbaulich.

"Up in the Air" kann trotzdem in vielerlei Hinsicht begeistern, was nicht zuletzt den hervorragenden Darstellern zu verdanken ist. Warum gerade das eher triviale Drehbuch gefeiert wird, bleibt zwar unverständlich, bietet es doch hauptsächlich abgestandene Klischees; Reitmans Regie jedoch kaschiert immerhin manchen Durchhänger, sodaß am Ende ein kurzweiliger - wenngleich überschätzter - Film übrigbleibt.

 

I'm like my mother, I stereotype. It's faster.

(Ryan)

Stefan Rybkowski

Up in the Air

ØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2009

109 Min.

Regie: Jason Reitman

Darsteller: George Clooney, Vera Farmiga, Anna Kendrick u. a.

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Kommentare_

Walter - 13.02.2010 : 11.11
Mir geht es da wie den Golden Globe Überreichern: Mir erschließt sich nicht, warum das Drehbuch schwach sein soll, tatsächlich ist es das aus meiner Sicht genau nicht. Weil warum ist es das? Weil es den Autor an Michael Moore erinnert? Weil er vor lauter Holzhämmer die Werkstatt nimmer sieht? Wie auch immer: schwacher Abgang.
Stefan Rybkowski - 14.02.2010 : 12.41
Für mich ist das Drehbuch samt seines Plots absolut nichts Weltbewegendes. Die Themen, die es anspricht, sind doch die ewige Leider vom hollywood'schen Gefühlskino (ein Mann, eine Frau, nein, Freundschaft kann das nicht nur bleiben). Und die Idee mit den Bonusmeilen, dem vielen Fliegen und dem Job ist nett, ja, aber wie Reitman den Kommentar zur aktuellen Wirtschaftslage "handelt", ist alles andere als subtil.

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