Kolumnen_Ausweiskontrolle: Biometrische Alibi-Gesellschaft

Die biometrische Alibi-Gesellschaft

Ein Wiener Reinigungsunternehmen setzt auf biometrische Zugangskontrollen - und auf pauschale Diskriminierung.    28.10.2005

Mit der Europäischen Union ist das so eine Sache. Einerseits will die EU ihre Mitgliedsländer zu einem mächtigen Wirtschaftsbündnis einen, um der industriellen Invasion aus Asien die Stirn zu bieten, andererseits sind unter den neuen Mitgliedsländern auch einige "Schurkenstaaten", denen man nicht so einfach über den Weg trauen darf. Dabei sind weniger die dunklen Flecken im Gesicht diverser Regierungen gemeint (wie beispielsweise der Auftritt der unter anhaltenden Menschenrechtsverfehlungen leidenden Slowakei als liberales Gastgeberland des Bush-Putin-Treffens) als vielmehr der ausländische Bürger selbst, der sich als preiswerte Arbeitskraft in Österreich verdingt. Um weiterhin Herr im eigenen Haus zu bleiben und den organisierten Umtrieben ausländischer Diebesbanden Einhalt zu gebieten, hat das Reinigungs- und Schädlingsbekämpfungsunternehmen ASSA Objektservice GmbH gemeinsam mit Wolfgang Bachler, dem ehemaligen Leiter der Cobra, eine Lösung präsentiert, die auch eine extrem paranoide Klientel befriedigen dürfte.

 

Potentielle Kriminelle aus dem Osten. "Das Reinigungspersonal, das nahezu ausschließlich aus den östlichen Nachbarräumen stammt und tendenziell zu den potentiell zu überwachenden Religions- und Glaubensgruppen zählt, wird von ASSA einem besonders strengen und selektiven Auswahlverfahren unterzogen", heißt es auf der Homepage der Firma. "Ein mehrjähriger Aufenthalt in Österreich sowie die einwandfreie wirtschaftliche und private Situation sind nur einige Kriterien, die erfüllt sein müssen, um den hohen Anforderungen, die ASSA an sein Reinigungspersonal stellt, zu entsprechen."

In der Praxis bedeutet das: Alle ASSA-Reinigungsmitarbeiter müssen einen gescannten Fingerabdruck abgeben, der über ein elektronisches Zugangssystem nicht nur die Anwesenheit in sensiblen Bereichen regelt, sondern im Fall eines Verbrechens auch gleich ent- oder belastendes Material für die Behörde liefert. In einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" vom 1. Oktober 2005 denkt ASSA-Eigentümer Roland Singer sogar darüber nach, "auf freiwilliger Basis" DNS-Samples aller 500 Reinigungsmitarbeiter (von denen 95 Prozent aus dem Ausland stammen) zu nehmen - ebenfalls präventiv, falls es doch einmal zu einem kriminellen Vorfall kommen sollte.

Für Singer stehen dabei weniger Mord und Totschlag im Vordergrund, sondern vielmehr Diebstahl, Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsspionage. Zwar lägen keine offiziellen Zahlen und Untersuchungen vor, wie viele Straftaten von Reinigungskräften während der Ausübung ihrer Tätigkeit begangen würden, trotzdem könne man nicht vorsichtig genug sein. Österreich gehöre zwar "nicht zu den direkt vom Terrorismus bedrohten Ländern und die Gefährdung von ideologisch, religiös motivierten Anschlägen ist als gering einzustufen", erläutert die ASSA-Homepage ein wenig losgelöst die Intentionen des Unternehmens, ihre Mitarbeiter als potentielle Verbrecher zu behandeln. "Mangelndes Sicherheitsbewußtsein der Unternehmen, die regelmäßig Reinigungsleistungen von Fremdfirmen in Anspruch nehmen und nicht vorhandene Zugangskontrollen für das Reinigungspersonal haben zu argen Mißständen geführt." Diese "argen Mißstände" werden zwar nirgendwo näher erläutert, und Roland Singer kann sich auch nicht wirklich entscheiden, ob sein Zugangskontrollsystem nur das Abphotographieren von Akten oder gleich fundamentalistisch motivierten Meister-Proper-Terror verhindern soll - problematisch ist der Zwang zum Fingerabdruck in mehrfacher Hinsicht. Zugangs- und Zeiterfassungssysteme auf Fingerabdruckbasis greifen nach menschlichen Grundrechten und müssen in Unternehmen, die sich einen Betriebsrat leisten, von diesem genehmigt werden. Selbst dann muß sichergestellt sein, daß die Daten nicht über die bloße Zeiterfassung hinausgehen und auch nicht an Drittpersonen weitervermittelt werden.

Die Pauschalfeststellung, Menschen aus ehemaligen Ostregionen zählen "tendenziell zu den potentiell zu überwachenden Religions- und Glaubensgruppen" torpediert außerdem Aussagen des Obersten Gerichtshofes, der in verschiedenen Urteilen (beispielsweise 80ObA288/01p oder 7Ob89/97g) festgestellt hat, daß ein Eingriff in die Privatsphäre „schon dann vorliegt, wenn mit technischen Mitteln, die zur Überwachung geeignet sind, das Gefühl der Überwachung erzeugt wird, auch wenn die Überwachung noch gar nicht durchgeführt wurde", wie es Hans G. Zeger, Vorstand der ARGE Daten, formuliert. Daß Österreich ein Land der Metternichs ist, wird durch eine Hitachi-Studie aus dem Jahr 2004 verdeutlicht, nach der etwa 50 Prozent der österreichischen Großunternehmen ihre Mitarbeiter überwachen. "Tatsächlich dürfte das Überwachungspotential, zieht man den strengen Maßstab des OGH heran, wesentlich höher liegen", meint Zeger. "Wesentliches Problem ist dabei, daß die neue Überwachung unter neuen Bezeichnungen, wie Betriebs-Audit, Fernwartung, Protokollierungspflicht oder Kostenstellenrechnung auftritt. Dadurch wird sie von Betroffenen und Betriebsräten oft nicht mehr als Überwachung wahrgenommen."

 

Fingerprint und Fälschung. Der Zynismus, mit dem ASSA die Demontage von Grundrechten als Innovation darstellt, hat dem Unternehmen einen Hauptpreis bei den heurigen "Big Brother Awards" in der Kategorie "Business und Finanzen" eingebracht - und wirft auch ein deutliches Licht auf den Populismus, mit dem biometrische Überwachungssysteme in den Alltag transferiert werden.

Fingerabdrucksysteme werden zwar als optimale Lösung zur Personenidentifikation und Zugangskontrolle dargestellt (nicht zuletzt durch die neuen EU-Reisepässe, die ab dem Jahr 2006 ebenfalls digital gespeicherte Biometriedaten enthalten werden), sind aber alles andere als sicher. "Meist bleibt unberücksichtigt, daß diese Systeme relativ störungsanfällig und etwa in Produktionsbetrieben oft schon deswegen nicht einsetzbar sind, weil die Finger verschmutzt sind oder Verletzungen (Schnitte und Risse) in der Fingerkuppe keine zweifelsfreie Identifizierung ermöglichen", erklärt Hans Zeger. Je nachdem, wie genau ein System arbeitet, weist es entweder zu viele Personen als nicht autorisiert zurück - oder es erlaubt Personen ohne Privilegien den Eintritt, weil zufälligerweise ein Detail eines "falschen" Fingerabdrucks mit einem richtigen Detail übereinstimmt.

Dieses für Laien oft recht überraschende Phänomen ergebe sich aus dem technischen Ablauf einer Kontrolle: "Tatsächlich sind Fingerabdrücke - wie praktisch alle biometrischen Informationen - nicht eindeutig, sondern übereindeutig. Das heißt, es gibt auch bei derselben Person nicht zwei völlig identische Fingerabdrücke." Das bedeutet: Der Komplettabdruck wird auf etwa 20 Meßpunkte reduziert; ein Erkennungssystem arbeitet also mit bewußt "unscharf" gehaltenen Daten, um eine einigermaßen realistische Auswertung durchführen zu können. Fingerabdruck-Sicherheitssysteme können außerdem mit relativ geringem Aufwand überlistet werden - das älteste Verfahren, das (für die Neuzeit modifiziert) sogar Kopien von Fingerabdrücken mittels Gelatinefolien und Laserdruckern erlaubt, wurde bereits 1907 im Roman "The Red Thumb Mark" von R. Austin Freeman beschrieben: Von einem Fingerabdruck (der auch ein auf einem Gegenstand hinterlassener "Latenzabdruck" sein kann) wird ein Dia hergestellt und eine Chromatgelatinplatte damit belichtet. Die nicht durch das Licht ausgehärteten Stellen werden entfernt, wodurch ein Fingerlinienrelief entsteht, mit dem der Sensor eines Erkennungssystems hinters Licht geführt werden kann. Während die Hersteller von Fingerprint-Identifikationssystemen die Technologie einerseits als neues Weltwunder präsentieren, werden die Schwächen der Systeme eher en passant, wie im Beipacktext eines Medikaments, abgehandelt. So weist beispielsweise das Unternehmen Biometrix International (das für die Ausstattung des auf 5000 Anwender und 250 Fingerprint-Terminals ausgelegten "Vienna International Airport Security Services VIAS" verantwortlich ist) ausdrücklich darauf hin, daß "aufgrund physiologischer und technischer Gegebenheiten die einwandfreie Funktion der Systeme nicht unter allen Einsatzbedingungen garantiert" werden könne. Ebenso sei "in gewissen Situationen eine unberechtigte Abweisung und in seltenen Fällen auch eine falsche Akzeptanz möglich. So können z. B. Verletzungen, trockene Haut, Schmutz, Feuchtigkeit oder unterschiedliches Auflegen des Fingers eine Erkennung verhindern und schlecht registrierte Finger, Finger mit wenigen auswertbaren Merkmalen und sehr ähnliche Finger in seltenen Fällen zu einer falschen Erkennung führen."

 

Ehtnische Biometrie. Biometrische Identifikationsverfahren sind - so bequem sie dem Anwender auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, weil sie Schlüssel und Paßwörter überflüssig machen - Methoden aus dem Hochsicherheitstrakt. "Die digitale Biometrie zeigt eine ganz offen zur Schau getragene Verquickung von Politk und wirtschaftlichem Lobbyismus, die den Politikern Aktionismus erlaubt und den Biometrieinvestoren sicheren, staatlich garantierten Profit für Produkte gewährleistet, die ansonsten nur einen winzigen Anwendungsbereich hätten", meint Datenschützer Zeger.

Genau in dieser populistischen Ecke ist auch die Firma ASSA zu Hause, durch deren ethnische Pauschalverdächtigungen die Technologie deutlich als das dargestellt wird, was sie im Wesen auch ist: ein Druckmittel. "Flächendeckende biometrische Kontrolle, die zur Kriminalitätsbekämpfung erforderlich wäre, ist mit den derzeitigen rechtsstaatlichen Instrumentarien unmöglich; es geht derzeit nur um psychologische Einschüchterung und das Erzeugen einer permanenten Alarmierung der Gesellschaft und einer Un-Sicherheitsstimmung bei der eigenen Bevölkerung", bringt es Hans Zeger von der ARGE Daten auf den Punkt.

"Biometrische Merkmale sind, da sie unfreiwillig hinterlassen werden, ideale Instrumente zur Stöberfahndung. Werden sie massenhaft gespeichert, erlauben sie das Erstellen von idealen Bewegungsprofilen. Die Eingriffe in die Privatsphäre sind dabei völlig unabhängig vom tatsächlichen Funktionieren der biometrischen Systeme. Auch Systeme mit sehr hohen Fehlerraten führen zu massiven Grundrechtseingriffen, da dann noch mehr Menschen identifiziert werden, in den Verdacht unzulässiger Handlungen kommen und ins Visier polizeilicher Ermittlungen geraten. Dies wird zu einem enormen Rechtfertigungsdruck führen, warum sich Personen an bestimmten Plätzen aufgehalten haben. Nach der Seitenblickegesellschaft", so Zeger weiter, "steuern wir in die Alibigesellschaft, in der in Zukunft nur der als unbescholten gilt, der ein lückenloses digitales Bewegungsprofil vorlegen kann." Tatsächlich sind wir dieser Alibigesellschaft schon viel näher, als es uns lieb sein sollte: Biometrische Verfahren und ihre Argumentation hebeln mehr und mehr die für jeden Menschen gültige Unschuldsvermutung aus und drehen die Beweisführung um.

In einer biometrisch vermessenen Welt, wie sie von Unternehmen wie ASSA herbeigeredet wird, muß die Polizei nicht mehr die Schuld eines Täters beweisen, sondern ein Verdächtiger seine Unschuld. Das allein stellt schon einen der schwersten Eingriffe in Menschen- und Grundrechte dar, die sich seit der Veröffentlichung der Verfassung ereignet haben.

 

 

PS: ASSA gewinnt Überwachungspreis! Die ASSA Objektservice GmbH wurde bei den Big Brother Awards 2005 mit dem Hauptpreis in der Kategorie "Business und Finanzen" ausgezeichnet. Die Jury begründet ihre Meinung wie folgt: Für ihr "sicheres und transparentes Reiningungskonzept", nämlich totale "Assanierung" via Selektion und Überwachung von Glaubensgruppen sowie die Behandlung von Angestellten wie Schwerverbrecher mit Fingerprint und DNA - Der Preis in der Kategorie Business und Finanzen ergeht an die selbsternannten Saubermänner der Allgemeine Assanierungsanstalt Assa. [Zitat ASSA Website]: "Das Reinigungspersonal, das nahezu ausschließlich aus den östlichen Nachbarräumen stammt und tendenziell zu den potentiell zu überwachenden Religions- und Glaubensgruppen zählt, wird von ASSA einem besonders strengen und selektiven Auswahlverfahren unterzogen." [Zitat: BBA 2005]

 

Chris Haderer

CROPfm Big Brother News: Frontberichte aus dem Land des Großen Bruders


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