Kolumnen_Miststück der Woche III/100 - Leserwunsch #10

Die Toten Hosen: "Tage wie diese"

Manfred Prescher erinnert sich: Er glaubt, daß er tatsächlich schon einmal hier in dieser Kolumne über die Toten Hosen geschrieben hat. Wann war das nur? Er kriegt das wirklich nicht mehr zusammen, denn wie sagte er erst vor kurzem unter südlichen Gestaden? Genau: "Miss Ilsa, ich bin da oben schon ein bißchen eingerostet!" Was freilich kein Wunder ist, da diese Kolumne hiermit ihren 300. Geburtstag feiert ... Kommt, laßt sie uns preisen!    27.10.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Was war eigentlich 1714? Die älteren unter meinen Lesern und Leserinnen werden sich vielleicht erinnern: Damals, vor 300 Jahren, erhielt der Engländer Henry Mill ein Patent auf den ersten Dartpfeil aus gehärtetem Metall. Würdet ihr das denken, hätte euch das Gedächtnis einen Streich gespielt. Denn Mill hat - übrigens praktisch gleichzeitig mit zwei oder drei Österreichern - die Schreibmaschine erfunden.

Grob gesagt haben diese Männer geholfen, daß kurz darauf, nämlich am 31. Oktober anno 2005, das erste von bislang auch schon 300 "Miststücken" online gehen konnte. Andere Menschen, die dafür unter anderem ebenfalls federführend verantwortlich waren: Bill Gates, der 1975 das Internet erfand; Steve Jobs, der das Web im Jahre 1992 gemeinsam mit Walt Disney aufkaufte und in kleine Geräte steckte; Donna Summer und Andreas Winterer, die am Anfang mit ihren Kommentaren und ihrem "Love To Love You Baby" dafür sorgten, daß der Kolumnist mit Feuereifer bei der wortreichen Sache blieb. Und dann wären da auch noch Peter Hiess und Jürgen Fichtinger zu nennen: Hiess kümmert sich seit Menschengedenken darum, daß die irrlichternde Rechtschreibreform im Text ausgemerzt wird, und Chefredakteur Fichtinger setzt seit der ersten Kolumne vertrauensvoll auf den Autor: "Du wirst das maximal fünf Ausgaben lang durchhalten" waren seine magischen, allerdings in charmantem Wiener Schmäh geführten Worte.

Euch allen - und natürlich vor allem auch euch Leserinnen und Lesern "da draußen" - sei herzlich für die Treue gedankt. Laßt uns die Becher, Kelche, Gläser, Krüge oder Flaschen heben. Aber vergeßt nie die weise vor sich hinkalauernden Worte, die sogar von Campino himself stammen könnten, aber doch dem Volksschnabel entnommen wurden: "Der Krug geht so lange zum Munde, bis man bricht."

 

Ach, ein Tag, so wunderbar wie heute. An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit - und die Kolumne belegt, daß ein Status zwischen irdischer Begrenztheit und paradiesischer Ewigkeit möglich ist. Und deshalb (OK, auch, weil eine Leserin sich das Lied der Toten Hosen gewünscht hat) widmen wir uns heute dem größten Gassenhauer der letzten paar Jahre.

Wo stieß man nicht auf "Tage wie diese"? Es wurde beim Feuerwehrfest in Untereinherz genauso gespielt wie bei der Wahl der Bundeskanzlerin, beim Aufstieg von Black Bull Hinterzarten in die erste Liga ebenso wie beim Schulausflug der Klasse 11e des Bruno-Mars-Gymnasiums Herne-West zum lehrreichen "Rave am Ring". Das Lied hat unfreiwillig echte Katastrophen wie die heftig unwirtlichen Schlußminuten der Bundesligarelegation zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC begleitet, war praktisch allgegenwärtig - und doch kann man es immer noch irgendwie liebhaben.

Mir geht es, offen gesagt, manchmal ziemlich auf den Zeiger, weil es halt keinen Fleck im deutschsprachigen Raum gab bzw. gibt, auf dem es nicht permanent zur Event-Beschallung diente. Aber manchmal paßt es perfekt: Zum Beispiel, wenn ich mir vorstelle, daß ich mit der besten Liebespartnerin von allen über die Rheinterrassen hin zur Musik schlendere, mir mit ihr einen Weg durch das Gedränge bahne und einfach in Partylaune bin. Ach ja: "Komm, ich trag dich durch die Leute. Hab keine Angst, ich gebe auf dich acht", denke ich so vor mich hin, wenn ich in Feierstimmung bin. Man kann die Rheinterrassen natürlich leicht und bei Bedarf durch Donauinsel, Alpsee, Dutzendteich oder Olympiapark ersetzen. Tage wie diese sind, außer vielleicht in Elend/Harz, praktisch überall denk- und zelebrierbar.

 

Den Text zu "Tage wie diese" schrieb Campino, Lutschbonbon und Sympathieträger - "hör zwei, denn Punkhören ist gesund" - der flotteren Gangart, gemeinsam mit der Linzer Schauspielerin Birgit Minichmayr. Die hat schon einige Zeit vorher zusammen mit "Campi" den Song "Auflösen" intoniert, und das war schon sehr innig. "Tage wie diese" erschien am 23. März 2012 als Vorab-Single des 15. Hosen-Studioalbums "Ballast der Republik". Auch dank der von Gitarrist Kuddel komponierten Melodei überrollte es lawinenartig ganze Landstriche - erst ziemlich langsam, dann immer flotter und flotter. Bis schließlich keine Kirchweih, keine Wahl der Kartoffelkönigin, keine Fußball-Europameisterschaft und kein Champions-League-Sieg mehr ohne das Lied auskamen.

In weiser Voraussicht war auf der Maxi-CD übrigens auch ein Song namens "Champions League" enthalten, aber das wirklich nur am Rande. Für die Toten Hosen wurde "Tage wie diese" zum unsterblichen Über-Hit, der gefühlte 27 Wochen die Hitparade in Deutschland, Österreich und der Schweiz anführte und die fortschreitende Eventisierung der Gesellschaft praktisch in griffige Worte und ein sehr eingängiges Riff - D-Dur - goß. "Tage wie diese" ist sicher nicht der beste Song in der langen Karriere der linksrheinischen Band, aber deutlich der nachhaltigste.

Nächste Woche geht es hier natürlich mit einer neuen Kolumne weiter, weil laut Campino "nichts für die Ewigkeit" ist, folglich auch nicht dieser Text hier. Ich werde dann einen weiteren Wunsch "be-schreiben" und fünf überaus rüstige, saucoole Typen vorstellen, die derzeit als Witchy Chicks für Furore sorgen. Wer die noch nicht kennt, hat wirklich was verpennt, zum Beispiel ihren Hit "My Armadillo Comes First". Bis ich darüber fabuliere, erfreut euch an Tagen wie diesen und genießt das Leben. Vielleicht fällt euch dabei das eine oder andere Lied ein, das ihr euch als Sujet einer Kolumne wünschen könnt. Dann postet das einfach hier oder ins Gesichtsbuch.

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

 

 

Manfred Prescher

Die Toten Hosen: "Tage wie diese"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Ballast der Republik" (JKP/Warner Music)

Links:

Stark unter Strom

Die Toten Hosen im Interview


Deutschlands wichtigste Punkband im EVOLVER-Gespräch

Links:

Für eine Handvoll Töne

Blast from the Past: Miststück der Woche


Seit mehr als sechs Jahren sorgt Manfred Prescher dafür, daß sich das montägliche Aufstehen tatsächlich lohnt. Lesen Sie hier die  bisherigen Jubiläums-"Miststücke".

Links:

"Das Ding krieg´ ich wohl nie mehr los"

Manfred Prescher/Interview


Das "Miststück der Woche" wird 300 Ausgaben jung. Grund genug, um den Erinnerungs-Blues anzustimmen und über Vergangenes und Zukünftiges zu sprechen: Manfred Prescher im EVOLVER-Interview.

Links:

Kommentare_

Eric - 30.10.2014 : 23.39
500 miles von den proclaimers wäre ein echter straßenfeger. nicht erst seit himym ein lästiger ohrwurm

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