Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Weltordner

Dr. Trash empfiehlt: Lesen Sie nach, wie die 68er-Generation entstand, groß wurde, die Macht ergriff und die Welt bis heute gnadenlos zum Schlechteren verändert. Der Geschichtskurs erfolgt übrigens in Comic-Form; mehr haben diese pensionsreifen Kreaturen ohnehin nicht verdient. Und die echten Profis unter ihnen sind leider schon längst weg ...    26.09.2014

Feiertage, das kann Ihr guter Doc auch jetzt wieder einmal korrekt diagnostizieren, sind die Hölle.

Sicher, wenn Sie diese Zeilen lesen, sind Weihnachten und Silvester fast wieder Ihrem Gedächtnis entschwunden, aber dann herrscht halt wieder dieser Drecksfasching - und alles, was mit Zwangsfröhlichkeit, Einkaufswahn, Lärmentwicklung und verblödeten Jungfamilien zu tun hat, ist laut ärztlicher Anordnung - VON MIR! - strikt abzulehnen.

Das weiß man nicht erst seit gestern. Und genau aus diesem Grund hat sich der alte Trash zum Christfest selbst beschenkt - mit der Gesamtausgabe aller bisher erschienenen Doonesbury-Comicstrips des großen Garry Trudeau. Kennen Sie nicht? Macht nix, dafür haben Sie ja mich ... Also: 1968, als Trudeau noch Student in Yale war, begann er erste Episoden seines Strips in der Unizeitung zu veröffentlichen; seit 1970 ist Doonesbury in mehreren eher liberalen Tageszeitungen syndikalisiert und erscheint täglich - mit kurzen Kunstpausen, in denen Trudeaus Helden zum Beispiel in Musicals auftreten durften. Mehr als vier Jahrzehnte, 365 mal im Jahr, da kommt ganz schön was zusammen ...

Als Leser erlebt man anhand der Doonesbury-Protagonisten (anfangs Studenten, Kiffer und Freaks, später auch emanzipierte Hausfrauen, wohlmeinende Abgeordnete usw.) mehr als 40 Jahre amerikanischer Geschichte, mit all dem innen- und außenpolitischen Irrsinn des Weltherrschers, korrupten und kriegstreiberischen Präsidenten, geldgeilen Erdölbossen und Börsengangstern, dem dämonischen Neue-Weltordnungs-Berater Henry Kissinger - und zwar nicht so, wie man es aus den faden Zeitungen kennt, sondern satirisch gefärbt und damit sehr entlarvend. Noch interessanter ist jedoch die Geschichte der 68er-Generation, die die Welt seit den Anfangszeiten des Strips zunehmend mit ihrem politisch korrekten Schwachsinn unterjocht und zu dem Misthaufen gemacht hat, der sie jetzt ist (und die sich naturgemäß als neue Elite weigert, endlich in Pension zu gehen).

Bevor man sich darüber allzusehr ärgert, sollte man sich lieber der wichtigsten Doonesbury-Figur zuwenden: Uncle Duke, inspiriert von Hunter S. Thompson, dem Erfinder des Gonzo-Journalismus und großen Vorbild des Doktors. Duke hat sämtliche Drogen ausprobiert, die es je auf diesem Planeten gegeben hat - und das in großen Mengen und jeder nur denkbaren Kombination. Bei Trudeau durfte er unter anderem Botschafter in China, Leiter eines Football-Teams, Lobbyist für die NRA, Sträfling, Schmuggler und Leibwächter von Oliver North sein, ohne sich je mit moralischen Bedenken herumzuplagen. He just wants to get loaded ... und das kann der Doc durchaus nachvollziehen. Vor allem an Feiertagen.

 

 

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt

(Illustration © Jörg Vogeltanz)


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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