Kolumnen_Miststück der Woche III/82

Hamilton Leithauser: "I Don’t Need Anyone"

Was, ihr kennt den Leithauser nicht? Das ist zwar keinesfalls verwerflich, aber doch eine ziemliche Bildungslücke - findet Manfred Prescher und versucht diese in den nun folgenden Zeilen zu schließen.    23.06.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Die Älteren unter uns wissen noch, was ein Walkman ist. Genau, das sind die kleinen Cassettenabspieldingenskirchen, die man bzw. frau vor Urzeiten überall mitschleppte, bis auch noch das letzte Magnetband eierte. Genaugenommen heißen nur die von Sony wirklich so, aber wir nennen doch auch jedes Rotztüchlein aus Zellstoff "Tempo" - also sei´s drum. Aber zurück zum Walkman: Früher, in den seligen Zeiten von Madness, Smiths, Jam oder den Buzzcocks schenkte der Mann von Welt seiner Liebsten - oder der aus reichlicher Entfernung Angebeteten - einen solchen Player zum Geburtstag, zum Einjährigen oder zum Heiligen Fest der zwischenmenschlichen Liebe. Natürlich gab es als Beigabe auch immer gleich ein oder zwei selbst zusammengestellte Tapes dazu, die den Geschmack, das Herz oder die Seele des Mädels berühren sollten.

Reichlich 20 Jahre später nahm kaum noch ein Boy ein Tape für sein Girl auf, er reichte ihr eher die Tape-Rolle, mit der der iPod am Arm befestigt werden konnte und so beim Joggen um den Ententeich nicht mehr so herumschlackerte. Denn als Hamilton Leithauser die Band The Walkmen gründete, gingen praktisch auch die ersten Apple-Musikschlümpfe in Produktion. Und von da an erstellte man schnöde entweder Playlists oder brannte CDs, die bald darauf irgendwo entweder in der virtuellen Asservatenkammer namens iTunes oder in der Beziehungsrumpelkammer vor sich hin moderten. Obwohl: So richtig modern tun mit moderner Technik erstellte Kompilationen auch wieder nicht. Wehe dem also, der mal die von mir gebrannten Discs aus tieferen Erdschichten ausbuddeln muß.

 

 

 

Hamilton Leithauser nannte seine Band also gerade zu dem Zeitpunkt The Walkmen, als die letzten Cassettengeräte auf dem "Schuttabladeplatz der Zeit" (Reinhard Mey) landeten. Das beweist zum einen, daß der Sohn des amerikanischen Dichters Brad Leithauser ("Some nights, can´t sleep, I draw up a list/Of everything I´ve never done wrong/To look at me now, you might insist/My list could hardly be long ..." - der Apfel fällt bekanntlich nicht vom weit vom Pferd) ein hoffnungsloser Romantiker ist, und zum anderen, daß er weiß, daß CDs und MP3s niemals ein perfektes Mixtape ersetzen können.

In diesem Sinne geht Leithauser d. J. auch an sein eben erschienenes erstes Soloalbum "Black Hours" heran: Die Produktion schwelgt in allem, worin Menschen mit Geschmack und liebevollem Approach so schwelgen können. Die CD klingt wie ein Mixtape aus längst vergangenen Zeiten - und daher sehr modern. Man hört Frank Sinatras "In The Wee Small Hours", Marc Almonds Marc & The Mambas, es erklingen die Walker Brothers, etwas Motown vom späten Marvin Gaye und moderner Soul, wie wir ihn zum Beispiel von Matthew E. White schätzen sollten. Aber Leithauser bedient sich nicht, indem er klaut oder zitiert, sondern spürt den Geist der schwelgerischen Vorbilder auf und transferiert sie in ein äußerst geschmackvolles Hier und Jetzt. An diesem Mann könnte und sollte sich daher Robbie Williams mal ein Beispiel nehmen, dann würde sich sein Swing persönlich, reif und zeitgemäß anhören. Aber lassen wir den Engländer gemeinsam mit "Her Majesty´s National Soccer Team" im Nirwana verschwinden, auf daß beide irgendwann mal mit besserem Output wiedergeboren werden.

Hamilton Leithauser singt derweil "I Don´t Need Anyone" und meint das sicher nicht ernst. Denn er zelebriert einen Song, der in klassischer Besetzung aus Guitarre, Baß und Hammerwerk auch von Bryan Adams sein könnte, auf so charmante Art, daß klar wird, wie er das wahrscheinlich meint: "Hör mal, Schatz, wenn es dich nicht gäbe, würde ich glattweg niemanden brauchen." Schließlich existiert nichts völlig losgelöst vom Rest des großen Irgendwas. Also weder Hamilton Leithauser von uns anderen mehr oder minder geschmackssicheren Mitmenschen noch "I Don´t Need Anyone" von den Minneliedern, die uns der Künstler auf "Black Hours" zelebriert: "Alexandra", "Bless Your Heart" oder "11 O´Clock Friday Night" sind irgendwie "Something Stupid", also nette kleine Lovesongs. Aber trotzdem nicht belanglos.

Die Zeit wird zeigen, ob Leithausers Bladde tatsächlich neben Großwerken wie "I Want You" bzw. "Let´s Get It On" von Marvin Gaye oder "Close To You" bzw. "Softly As I Leave You” von Frankieboy bestehen kann. Für den einen oder anderen Liederzyklus, den man der Liebsten widmet, eignen sich die zehn Songs von "Black Hours" indes auf jeden Fall. Ich werde daher demnächst "Alexandra" und "I Don´t Need Anyone" nehmen, sie beispielsweise mit Songs von Vampire Weekend, Morrissey, Jack White und Lee Fields verbinden - und auf eine Cassette aufnehmen. So richtig mit gleichzeitigem Drücken von "Play"- und "Record"-Taste. Denn mein Mädel hat Geschmack. Die Frau besitzt einen echten Walkman und kennt die gleichnamige Band.

Nächste Woche wird es hier zünftig zugehen, weil ich ein bisserl was über die Klaxons schreiben möchte. Die britischen Rabauken sind zur Zeit recht angesagt, wobei dieses "zur Zeit" auf der Insel nur die Spanne zwischen zwei Ausgaben der Wochenzeitschrift "New Musical Express" beschreibt. Also werde ich mich wohl oder übel ranhalten mit der aber tatsächlich bereits schon vor neun Jahren im manchmal immer noch schwingenden London gegründeten Band. Ich ziehe mich daher mit dem Album "Love Frequency" in meine Kemenate zurück und lausche hoffentlich ergriffen auf das, was da aus dem iPod tönt. Ihr könnt derweil mal in eure Keller stapfen und nachschauen, ob da irgendwo ein Walkman seiner Auferstehung harrt. Wenn nicht, seid lieb zueinander und holt euch dazu die CD von Hamilton Dingenskirchen. Wenn ja, holt sie euch eben ein bisserl später oder saugt sie euch aus dem Netz.

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Hamilton Leithauser: "I Don´t Need Anyone"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Black Hours" (Domino Records/Goodtogo)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.