Kolumnen_Miststück der Woche III/78

Jan Delay: "St. Pauli"

In sieben Tagen verschwindet euer Kolumnist für ein paar Wochen. Er geht auf Kur ins herrliche Allgäu, aber natürlich läßt er euch nicht allein mit all der Musik, die um euch herumflirrt.    07.04.2014

Manfred Prescher wird euch nämlich sieben Wochen lang mit seinen "Lieblings-Miststücken" aus dem bisherigen Fundus abspeisen. Bevor er seine Rosinenbomber mit den Notrationen schickt, serviert er euch allerdings hier noch ein vorerst letztes aktuelles Kolumnendingenskirchen.


Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Jan Phillip Eißfeldt, besser bekannt als Jan Delay, gibt euch da draußen und mir hier drinnen tatsächlich Hoffnung. Denn auch, wenn sich der gebürtige Hamburger - "bitte ohne Gürkchen" - ab und an rar macht, so war und ist er doch immer irgendwie da. Genau wie die Kolumne, die in ein paar Wochen wieder mit Schwung, Schmackes und Schportsgeist weitergemacht wird. Schließlich brennt, um es mit Delays neuer Single zu sagen, "auf St. Pauli noch Licht". Das war natürlich schon zu Hans Albers´ Zeiten so. Wir wollen hier aber nicht über das romantische Klischee in Bezug auf das ehemalige Rotlichtviertel und des Seemanns Hosengarn um den offenen Reißverschluß herum reden. Darüber haben der wirklich phantastische, Lichtjahre vom gewünschten Endsieg-Durchhalte-Propagandastreifen entfernte Film "Große Freiheit Nr. 7", Freddy oder Udo Lindenberg schließlich schon genug gesagt. Es ist einfach tröstlich, daß auf St. Pauli und vermutlich auch anderswo die Lichter nie ausgehen. Darum geht es. Wenn ich dann wieder zu euch schreibe, direkt aus meinem Wolkenkuckucksheim, dann wird nämlich das Wolkenkuckucksheim genauso noch da sein wie ihr und genauso wie die gute, aber auch die mehrheitlich schlechte Musik - und genauso wie Jan Delay. Denn schließlich war der wohl praktisch schon immer da. Er ist eben ein echter "Absolute Beginner".

Wir älteren Menschen erinnern uns noch an vorbabylonische Zeiten. Damals - kurz, nachdem Himmel und Erde erschaffen wurden - blieb dem Manne oder der Frau, der/die mehrere Tage lang versuchte, seine bzw. ihre Legosteine zu einem sinnvollen Zoo zusammenzufügen, nicht mehr genug Power, sich auch noch um eine ordentliche Aussprache mit seiner/ihrer Schöpfung zu kümmern. Deshalb erschuf er oder sie Udo Lindenberg und ließ ihn erst Schlagzeug spielen, was aber dann doch zu laut für den ansonsten ehr post-urknallmäßig ruhigen Dschungel war. Deshalb sollte er leise reden, was aber aus obengenanntem Grund in einem sehr markanten Nuscheln gipfelte. Nachzulesen ist das alles im ersten oder letzten Buch "Rudi Ratlos". Dieser Udo hatte jedenfalls, so wird kolportiert, irgendwann einen Sohn, der natürlich auch so redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Und dieser Sprößling war und ist kein anderer als Jan von nebenan, sprich von der Waterkant. Daß die beiden irgendwann im Duett nuscheln sollten, ist eher eine Randnotiz, die hier nix zur Sache tut. Genauso wenig wie die Tatsache, daß Jan seinen Daddy sogar wieder auf die Karrierespur zurückbrachte. Das versucht übrigens grad auch der Sohn von Johnny Cash mit seinem alten Herrn. Und der sitzt derweil auf seiner Wolke und lacht sich eines. "Out Among The Stars" ...

 

Jan Delays Stimme und das Nuscheln mag man oder eben nicht. Fakt ist aber, daß er irgendwie eine verläßliche Größe ist - auch in puncto Weiterentwicklung. Auf dem neuen Album "Hammer & Michel" rockt er und rollt er, was recht gut zum quengeligen Grundton seiner verbalen Ausdrucksweise paßt. Wer sich an das vorhergehende Album von Delay erinnert, muß lange zurückgehen, um die Wandlung zu bemerken: Damals, an jenem Freitag, dem 14. August des Jahres 2009, wüteten heftige Waldbrände rund um die kalifornische Kleinstadt Santa Cruz, und der Philosophie-Historiker Kurt Flasch bekam in Bremen einen hochdotierten Preis für politisches Denken. Im Ernst, den hätten Peter Hiess und ich auch längst verdient. Mindestens. Aber zurück zu jenem Tag im Sommer: "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" kam heraus und lockte mit einer sehr deutschen und vor allem genuschelten Version von Jamiroquai, Stevie Wonder und Teddy Riley. Irgendwie seltsam schön war das, doch doch.

Und jetzt entdeckt Delay, daß es jenseits von Motown, HipHop, Gang Starr und groovigem Funk auch noch andere Dinge gibt, Gitarrenbreitseiten und all das analoge Zeug, was sein Daddy Udo im Keller stehen hat. Ist doch gut, daß nicht nur auf St. Pauli, sondern auch in Lindenbergs Asservatenkammer Licht brennt bzw. ein Lichtschalter ist, denn der rockige Sound bekommt dem Jan ausgezeichnet. "Wie der Herr, so das Gscherr" eben. Der Apfel fällt nun mal nicht weit vom Pferd - das war schon so, als Udo Lindenberg seine "Andrea Doria" zusammenzimmerte und von jeder schrägen Vogelart mindestens ein Pärchen mit an Bord nahm. Schließlich ging es darum, die von Leuten wie Ralph Siegel und dessen Vater Ralph Maria "Caprifischer" Siegel ins Fließen bzw. Strömen gebrachte Sintflut zu überstehen. Ja, was lernen wir aus dieser Geschichte? Erstens: Kinder haften für ihre Eltern, und zweitens: Auch mit Nuscheln kann man über kurz oder lang mal die Welt retten.

Wir lesen uns in acht Wochen wieder – bis dahin und darüber hinaus bleibt gesund und kregel. Vielleicht findet ihr Gefallen an den sieben alten Miststücken, die ich für euch raussuchen und kurz ankommentieren werde. Was da aus wohl aus des Knaben Wunderhorn purzeln wird? Laßt euch einfach überraschen. Bis denne!

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Jan Delay: "St. Pauli"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Hammer & Michel" (Vertigo Berlin/Universal)

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Kommentare_

marianne - 07.04.2014 : 20.57
supi nummer, danke für den tipp.wünsch dir eine gute kur mit viel zeit zum relaxen!
lg, marianne

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