Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #9

Das Handwerkszeug eines Kolumnisten

Kolumnisten sind aus hartem Holz geschnitzt, ja, genau. Aber woraus sind ihre Kolumnen gemacht? Wir sind der Frage einmal nachgegangen. In einer Kolumne.    25.06.2009

Was gehört eigentlich zum Handwerkszeug eines Kolumnisten? Wer könnte Ihnen, verehrter Leser, das besser sagen als einer wie ich, der die Kolumnistenhatz während der McCarthy-Ära noch mit eigenen Augen in Wikipedia nachlesen könnte?

Das ist nicht wirklich viel, werden Sie sagen, und da haben Sie recht. Aber Sie irren sich. Da ist zum Beispiel meine Metabo-Bohrmaschine. "Eine Hilti mußt du haben", hatte man mir gepredigt, "oder zumindest eine Metabo." Jedenfalls keinen Bosch-Schrott. Für die Metabo hab ich ein typisches Bohrer-Set mit je drei Drillen für Holz, Metall und Stein. Die Metallbohrer sind wie neu, denn Metall habe ich nie gebohrt. Viele Neureiche lassen heute ja ihre Tresore offen stehen, meine Güte - die Leute sind ja sooo gutgläubig. Holz bohre ich ohnehin eher selten, dafür habe ich meine Würmer, und Ikea war stets so freundlich, sein Preßholz bereits mit Löchern auszuliefern.

Der Berg ruft: Echte Männer bohren Stein! Oder was man heute halt dafür hält. Wir wohnen ja nicht mehr in Höhlen, und auch der gute alte Ziegel kommt außer Mode, selbst Ytong sieht man kaum noch, überall nur noch Rigips-Platten. Woraus auch immer meine Wände bestehen - wenn ich mit dem Handwerkszeug eines Kolumnisten loszog, um ein Loch hinein zu bohren, kam stets nur etwas undefinierbares Graues aus der Wand gebröselt. Ganz so, als würde ich ständig bloß in das getrocknete Spachtel-Granulat meiner zahlreichen Vormieter hineinbohren. Ganz so ist es nicht, erfuhr ich, als es dann FATZ! machte und die Sicherung aus dem Kasten schnellte. Der handwerkliche Experte, den ich für teures Geld engagierte, zeigte mir, wie ich zielsicher an drei Leitungen vorbei mitten in die vierte gebohrt hatte. So was schaffen nur Kolumniker.

Dann ist da noch mein Füller: ein Lamy mit extrabreiter Feder. Die habe ich, weil ich beim Schreiben mit der bloßen Hand so stark aufdrücke, daß normale Federn schnell kaputtgehen. Aber auch die dicken Federn halten nicht lange. Es ist diese Leidenschaft des Schreibens, verstehen Sie? Ich sah mal eine Doku über Keith "Köln Concert" Jarrett; der hatte Rückenprobleme, weil er nicht sitzend Klavier spielen konnte; das konnte er nicht, weil er immer so krumm und halb vor dem Klavier stehen mußte; weil eigentlich nicht er spielte, also sein Gehirn, sondern er, sein ganzer Körper. Genau so ist das bei guten Kolumnisten, wenn sie schreiben. Der ganze Körper formuliert und diktiert und paraphrasiert, jede einzelne Pore verspritzt Tinte und dampft Buchstaben aus, jeder Schreibmuskel zittert vor Anstrengung, und die Torpedorohre des Verstandes feuern Synekdochen, Hyperbeln, Katachresen und einen Litotes nach dem anderen ab, während das innere Auge des Kolumnisten heimlich solche Begriffe bei Wikipedia nachschlägt, um damit angeben zu können.

Zurück zum Füller. Lange Zeit galt ich als Sonderling. Nicht etwa, weil ich mit einem Stück Brot sprach, das immer wieder Stück für Stück zu verschwinden schien und dann wie durch ein Wunder beim Bäcker wieder auftauchte. Sondern wegen meiner mit Tinte geschriebenen Briefe, Postkarten und Notizen. Irgendwann wechselte ich auf Pelikan inky, eigentlich ein Ballpen, aber das Geschriebene sieht immer noch aus wie Tinte. Das hat was Erhabenes!

 

"Schreibst du noch mit Füller?"

"Ausschließlich."

"Ah!"

 

So bleibt der Nimbus, dank inky, erhalten, aber ich muß nicht dauernd die Tintenpatronen wechseln und die Feder ersetzen oder abwischen oder meine Hemden in die Reinigung geben. Wenn Sie mich fragen: Füller sind das echt das letzte, was ein Kolumnist haben muß.

Notebooks sind viel wichtiger. Ein Mikroprozessor aus Zillionen von Transistoren tickert mit mehreren Millionen Schwingungen pro Sekunde hin und her, klick und klack, 1 und 0, manchmal auch umgekehrt. Selten revoltiert eine 2 oder 3 gegen das repressive binäre System, und keiner merkt es. Gigabytes von RAM vertuschen es. Festplatten, die so riesig sind, daß sie aus dem Gehäuse rausschauen. USB-Sticks mit Windows-Registrierung-Datenbank-Tuning-Utilities. Hi-Tech wie bei einer Mondlandung - alles im Dienste der Kolumne.

Auf den superflachen Poser-Notebooks der Kolumnisten laufen Betriebssysteme, an denen sich Generationen von "Computer-Indern" die Finger wundgecodet haben. Und wofür das alles? Damit ich auf den blinkenden Cursor schauen kann, der das einzige ist, was in neue_Kolumne_09.doc zu sehen ist. Beim Anblick des pulsierenden Striches frage ich mich oft: O Herr, was soll ich heute nur wieder schreiben?

Gott antwortet gelegentlich. Da wird dann eine Kolumne draus.

Haha, das war natürlich nur ein Scherz, bitte sprengen Sie mich nicht in die Luft, lieber Fundamentalist.

 

Das wahre Handwerkszeug des Kolumnisten ist natürlich Papier. Klopapier zum Beispiel, für beschissene Ideen. Altpapier, damit die Parkbank dem armen Poeten nachts nicht so kalt vorkommt. Wertpapiere, angeschafft in der Hoffnung, bald nicht mehr schreiben zu müssen. Denn trotz - paradoxerweise herbeigeschriebener - Medienkrise leisten sich viele Magazine Kolumnisten, um die leeren Spalten zu füllen; leere Spalten, die es nur gibt, weil tolle Ereignisse wie der Year-2K-Bug fehlen oder die vorhandenen Katastrophen und Revolutionen zu langweilig sind.

Der gute Kolumnist schaut sich die Kolumnen anderer Kolumnisten an und sagt zu sich: "Aha, gute Idee! Mal was darüber schreiben, wie Frauen und Männer verschieden mit dem Handy umgehen!" Dabei liegt es auf der Hand: Er simst damit seinem Seitensprung ein "Wie war ich?" oder "Zieh heute doch morgen Mittag nochmal diese Schnürstiefel an!"; sie dagegen war nicht die Empfängerin, stellt sie fest, als sie seine promiske SMS auf seinem Handy liest, während er duscht; sie kippt dann einen Liter Coke zero in sein MacBook Air und simst ihm auf dem Weg nach draußen die Schlußmach-Kurznachricht mit Selbstzerstörungs-MMS-Anhang.

Muß man dazu 6000 Zeichen schreiben? Wohl kaum. Oder hier: eine Kolumne über die virale Ausbreitung von Coffeeshops. Ja klar, diese Deppen, die möglicherweise guten Kaffee mit erwiesenermaßen schlechtem Sirup verkleistern. Und überall diese hippen Männer und Frauen, Humanklone aus Plastik, die Pappbecher in den Händen halten (unsere Generation hat noch dagegen protestiert!) und daran nippen wie Zahnlose an Schnabeltassen. Völlig uninteressant, darüber eine Kolumne zu schreiben. Jeder weiß, daß das alles Idioten sind - man braucht sich ja nur die Preisliste eines solchen Shops anzuschauen.

Fad.

Das wichtigste Handwerkszeug des Kolumnisten ist daher: die Neue Idee. Für die braucht man Kopfschmerztabletten, denn ohne Suff ist die schwer zu kriegen. Der Kolumnist braucht Drogen. Weiber! Partys! Dann klappt es auch mit den Ideen.

Ich schütte mir hier gerade Absinth in den Rachen und sage "Nächste!" zur Schlange bereitwilliger Blondinen, schon zünden die neuen Ideen. Eine Kolumne über das Hineinstecken von Einmal-Schneuztüchern in die Ritzen von Sofas zum Beispiel. Ha! Oder über firmentoilettenbenutzende Kollegen, die am Abend vorher zu viele Bohnen gegessen haben. Ha! Über die Vielflieger, die immer mit ihren Riesen-Rollkoffern die Handgepäcklablagen verstopfen. Ha! Über Raucher, die im Zug Nichtraucher buchen und dann ins Raucherabteil gehen, um dort Kette zu rauchen, so daß Raucher, die im Raucherabteil gebucht haben, weil sie ab und zu mal eine rauchen, plötzlich zu massiven Passiv-Schlotern werden. Ha! Ich hasse euch, nehmt diese Kolumne, en garde!

Dann gibt´s noch die Anlässe. Über 5, 10, 25, 50 oder 100 Jahre Jubiläum von diesem oder jenem (Fax, WWW, Macs, Kolumnen). Über den plötzlichen Tod von schon wieder einem (wo doch nur der Tod von Hunter S. Thompson wirklich zu bedauern ist). Über die seltsamen Erscheinungen am Himmel, Chemtrails genannt. Über das Ende des Journalismus - und damit auch das Ende aller Kolumnen ... auch meiner ... merken Sie schon, wie sie vor Ihren Augen ausstirbt?

Ach geh! Das ist alles schon geschrieben worden.

Da sehen Sie auch wieder, wie gut diese Kolumne ist. Ich verzichte aufs Klauen. Es geht um nichts. Das ist noch echtes Handwerk. Das kann man nicht kopieren.

Andreas Winterer

Kommentare_

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