Kolumnen_Linientreu #15

HalloWien

Ich hab´ nichts gegen Halloween. Als Horrorfan lasse ich gern die Mörderpuppen tanzen. Und wenn zu Samhain die Grenze zwischen Leben und Tod dünn ist, soll´s mir recht sein. Leider ist auch eine andere Grenze dünn an diesem Tag: die zwischen Kostüm und nacktem Wahnsinn in den Öffis.    11.11.2013

Straßenbahn, U-Bahn, Autobus - die öffentlichen Verkehrsmittel (im Wiener Werbefirmen-Dialekt "Öffis" genannt) sind social ohne network, die dringend nötige Pause zwischen Streß im Job und Streß zu Hause, der bekanntlich viel interessantere Weg zum ohnehin immer gleichen Ziel. Nirgendwo sonst liegen Freud und Neid, Tanzschule und unterste Schublade, Hoffnung und Verspätung so eng nebeneinander. Und die Wahrheit lauert stets irgendwo im Spalt zwischen U-Bahntür und Bahnsteig. Vorsicht beim Einsteigen!

 

Es ist 18.30 Uhr, und in der U-Bahn stinkt es nach Red Bull. Es wird eine lange Nacht, das sieht man schon am Gepäck, mit dem sich einige Fahrgäste herumschlagen. Plastikschlangen lugen verschmitzt aus diversen Rucksäcken. Hier rollt ein Koffer voller Kürbisse an. Die Beine einer flauschigen Stoffspinne hängen träge aus einem Weidenkorb, sie bewacht das Make-up der Besitzerin. Die ist noch nicht fertig, das Netz im Gesicht ist nur halblustig, wird aber vollständig, wenn die U-Bahn aufhört zu ruckeln. Auf einen Ausrutscher warte ich hoffnungsfroh, werde aber enttäuscht. Die Frau ist ein Profi, da wär´ sogar Spiderman neidisch.

Apropos Frauen: Heuer ist halb und halb in. Potentielle Aufrisse sollen wissen, wie man aussieht, und zuviel Tod ist dem Balztanz hinderlich. Eine Gesichtshälfte wird so zur grinsenden Monstermaske, die andere Seite ist ganz koketter Augenaufschlag - welche Seite besser ist, ist oft nicht ersichtlich.

 

Es ist 21 Uhr, und die Gummimesser häufen sich. Die Ordnungshüter sind nervös. Ein echtes Messer könnte sich verstecken, die Masken versprechen Anonymität. Mehr und mehr Gelbjacken mischen sich unters Partyvolk, das seine Vielfalt erweitert hat; jetzt sind auch ein paar Grufties eingestiegen, denen macht punkto Schminken sowieso keiner was vor. Das weiß auch die Generation Ü-70, die sich in eine Ecke verkrochen hat, das Gesicht ebenfalls zu einer Maske verzerrt, die einem klaren Thema folgt: Des hätt´s früher nicht gegeben.

 

Es ist 23 Uhr, und die Grenzen verschwimmen. Da steigt einer ein, der keine Maske trägt, sein Gesicht ist eingeschlagen, und er bittet um Geld. Sofort wird es dienstlich, so dünn sind die Grenzen auch wieder nicht, Gesetz ist Gesetz, und die Ordnungshüter stürzen sich auf die echte Gefahr. Betteln verboten, Geld hergeben auch, meint der Mann mit dem Ausweis, als er mir die Hand wegschlägt, mit der ich gerade spenden wollte. Kurz blitzt in meinen Gedanken ein Gummimesser auf, das in seinem Auge steckt, aber das liegt wohl am Anlaß. Ein anderer Gedanke beruhigt: Der Wachhund ist nicht immer da, der nächste singende Vagabund jedoch schon - der freut sich über die doppelte Spende, möge er sie nicht versaufen.

 

Es ist Mitternacht, und Eigelb klebt an den Fensterscheiben. Herr Müller wird ausgerufen, er hat seine Eier vergessen, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Eigentlich gemein, wie soll die U-Bahn was Süßes rausrücken, und womit hat sie das Saure verdient? Es ist Mitternacht, und in der U-Bahn stinkt es nach Red-Bull-Wodka. Die Netze im Gesicht lösen sich langsam auf, die aufgemalte Spinne rutscht den Hals hinunter. Wer keine Eier mehr hat, der fährt zu irgendeiner Fright-Night-Party, wo es egal ist, welche Gesichtshälfte man herzeigt, solang der Pegel paßt.

Beim AKH steigt ein Arzt mit blutigem Kittel ein. Wird im Krankenhaus auch Halloween gefeiert? Wär´s pietätlos? Und wenn ja, was macht der Arzt hier? Und überhaupt: Brauchen echte Monster wirklich Masken?

Genug. Ich steige aus. Dann doch lieber die Halloween-Folgen der Simpsons. Da ist die Grenze wenigstens klar definiert: sie beginnt beim Flachbildschirm.

Nina Munk

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