Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 60

Chris Cornell: "You Know My Name"

Forsch ist er, der aktuelle Bond. Darum wird das Titelstück auch von einem Rockstar des härteren Genres gesungen. Es ist trotzdem ziemlich fad - meint Manfred Prescher.    27.12.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Sein Name ist Bond, James Bond. Und er ist ein richtig guter. Daniel Craig haucht der leicht angestaubten Serie, die in einem Meer aus Produktwerbung zu versinken drohte, neues und quirliges Leben ein. Die Geschichte um das "Casino Royale" bietet allerlei Möglichkeiten, einen virilen Rabauken zu präsentieren, da es sich um die allererste Story aus der Feder von Ian Fleming handelt. Da ist Bond noch ein Flegel, dem es öfter an den später üblichen Manieren ("Dumme Kuh!") mangelt; die Erziehung durch M ist bei weitem nicht abgeschlossen. Schon das Film-Intro im Style der Tarantino-/Rodriguez-Schule paßt perfekt zum kantigen Agententypus.

 

Weniger glücklich ist die Wahl des Titelstücks. Bevor ich auf "You Know My Name" eingehe, möchte ich an dieser Stelle mit der romantischen Verklärung aufräumen, die immer wieder an mein Ohr oder in meinen Bildschirm dringt: Die 007-Version von "Früher war alles besser" lautet: "Die alten Bond-Songs waren immer gut und den neuen qualitativ überlegen."

Das stimmt ja in vielen Fällen auch, man denke nur an "You Only Live Twice" von Nancy Sinatra, "Thunderball" von Tom Jones, Lulus "The Man With The Golden Gun", "Licence To Kill" von Gladys Knight und natürlich an Shirley Basseys "Goldfinger". Langweiler gab es allerdings auch schon, obwohl man konstatieren muß, daß der Anteil an mediokren Stücken in der späten Moore-Ära und erst Recht in den Dalton- und Brosnan-Filmen deutlich gestiegen ist. "The Living Daylight" von A-Ha und "The World Is Not Enough" von Garbage sollen als Beispiele für diese These genügen. Die beiden Songs sind nicht wirklich schlecht, nur halt a bisserl fad.

 

Genau diese gepflegte Langeweile ist es auch, die der aktuell im Auftrag ihrer Majestät Barbara Broccoli komponierende David Arnold ("Stargate", "Independence Day") für "Casino Royale" zelebrierte. Auffällig ist das eher unauffällig dahinplätschernde Stück knitterfreier Rockmusik nur, weil es so gar nicht zur wiedererlangten Frische und Dynamik des neuen Bond paßt. Dressman Brosnan wäre damit vielleicht ordentlich unterlegt worden, aber ein Kampfschwein wie Craig? Der hätte "echten" Metal gebraucht.

Chris Cornell wäre dafür als Sänger durchaus geeignet. Der ehemalige Grunge-Star hat schließlich mit Soundgarden herrlich kräftige Alben herausgebracht, die Power mit Eleganz verbanden, etwa "Superunknown" und "Ultramega OK". Mehr Stil als Pearl Jam, hardrockiger als Nirvana, gelackter als Mudhoney - die nach einer Klangskulptur im Park der US-Wetterbehörde benannte Band war die konventionelle Speerspitze der Seattle-Szene.

Da Cornell jedoch nicht als Anführer der modernen Led Zeppelin enden wollte, verließ er bald das Lärmgärtchen und verband sich mit den ihrerseits führerlosen Rage-Against-The-Machine-Musikanten zu Audioslave. Auch deren leicht daddelige Intellektuellen-Metallarbeiten würden noch mit Daniel Craigs Elan harmonieren. Cornells bislang einziges Soloalbum "Euphoria Morning" von 1999 zeigt allerdings schon, zu welcher Mittelmäßigkeit der Mann fähig ist. Andererseits ist auf der Platte auch der Song "Mission" zu finden, der sich im zweiten "Mission Impossible"-Leinwandspektakel ziemlich gut ausnahm. Möglicherweise liegt der Eindruck, den "You Know My Name" eben nicht hinterläßt, an David Arnold, der bereits "Tomorrow Never Dies", "Die Another Day" und "The World Is Not Enough" komponierte. In diese Reihe paßt auch der neue Track. Wahrscheinlich hat man vergessen, Arnold mitzuteilen, daß man Brosnan samt seiner Busineßanzüge ins Seniorenheim für altersschwache Superhelden geschickt hat.

 

Bleibt die Frage, wie die richtige Kombination für den perfekten "Casino Royale"-Song ausgesehen hätte. Ideal wäre es gewesen, Franz Ferdinand mit alten John-Barry-Themen spielen zu lassen; das hätte Power und wäre britischer, als es ein Sänger aus Seattle/Washington je sein könnte. Immerhin ist es schon ein paar Wochen her, seit Cornells Vorfahren die Planken der Mayflower verlassen haben. Auch gut wäre eine Lulu als Frontfrau der Kaiser Chiefs oder Tom Jones als Sänger von Bloc Party. Selbst kerniger Hardrock von Iron Maiden ginge durch. Allerdings sollte David Arnold seine Palmolive-Hände von den Bands lassen.

 

Doch die Hoffnung stirbt nie: Weil "Casino Royale" der größte Bond-Erfolg mindestens seit dem Ende des kalten Krieges ist und weil Daniel Craig dem bewährten Doppelnull-Schema nicht nur Segelohren und damit weniger Stromlinienförmigkeit verleiht, wird Bond wiederkommen. Das ist wie im Casino: neuer Film, neue Chance auf ein wirklich gelungenes Titelstück.

Wie heißt es schon im psychologischen Profil, das der MI6 von seinem Vorzeigeagenten angefertigt hat? "Bond does not fear death. Although he convincingly claims never to have contemplated suicide, Bond has a remarkable willingness to take near fatal risks." Und genau zu so einem Typen muß der Song passen ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Kommentare_

martin compart - 12.11.2008 : 11.11
Genau! Franz Ferdinand wär´s gewesen! Das gilt erst recht für QUANTUM; dann hätte man da wenigstens noch etwas positives gehabt.

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