Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 73

The Stooges: "My Idea Of Fun"

Rüstige Rentner, räudige Rabauken oder runderneuerter Radikalenauftritt? Die Urgroßväter des Punk sind wieder da: "alte Frische" im doppelten Wortsinn - meint Manfred Prescher.    26.03.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett – und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Darf man nach dem 11. September den Satz "My idea of fun is killing everyone" singen, ihn gar gebetsmühlenartig wiederholen? Wenn man Iggy Pop - und damit der Godfather des Punk - ist, dann tut man das einfach. Genauso, wie er 1967 mit den Asheton-Brüdern Ron und Scott sowie mit Dave Alexander die Band The Psychedelic Stooges gründete, deren Namens-Hauptbestandteil von Moe Howards berühmter Filmkomikertruppe The Three Stooges entliehen ist. Im Gegensatz dazu traten Iggy & Co. allerdings völlig humorlos, dafür mit (nicht nur für damalige Kinoverhältnisse) brachialer Gewalt auf.

Ein Jahrzehnt vor den Sex Pistols, den Adverts oder den UK Subs gab es schon die gnadenlosen zwei Akkorde für ein Halleluja. Neben den vier zornigen jungen Männern aus Detroit wirkten die Stones oder die Who wie brave Chorknaben. Schon der erste Auftritt der Gruppe hatte es in sich - und fand sinnigerweise an Halloween und vor einem staunenden Publikum statt. Ohrenzeugen, die an jenem denkwürdigen Herbstabend des Jahres 1967 anwesend waren, berichteten übereinstimmend, daß die altehrwürdige Universität von Michigan damals in ihren Grundfesten erbebt war. Uneinig war man sich allerdings darüber, ob das, was es da zu hören gab, der puren Energie einer Atombomben-Explosion entsprach, oder ob es einfach nur dilettantisch hingeschrammelter Lärm war.

Auf jeden Fall waren die Stooges mit einem Mal berüchtigt. Sie spielten im Vorprogramm der seelenverwandten MC5 , kamen so zu einem Plattenvertrag beim Major-Label Elektra und brachten dort 1969 ihr von John Cale produziertes Debüt heraus, das auch textlich alles enthielt, was eine gute Punk-Platte braucht: Defätismus, Misanthropie, schmutzigen Sex, jede Menge Drugs der härteren Sorte und wilden Rock´n´Roll. "I Wanna Be Your Dog" oder "We Will Fall" sind Genreklassiker, Rohdiamanten von unschätzbarem, unvergänglichem Wert. Iggy Pop, der mit bürgerlichem Namen James Newell Osterberg heißt, hatte zu dieser Zeit natürlich überhaupt nichts Pop-mäßiges an sich. Die Texte der Stooges waren nicht salon- und radiofähig, der Sound zu harsch. Erst 1973, mit dem nach langen Querelen und der Suche nach einem neuen Plattenvertrag entstandenen dritten Album "Raw Power", schnupperten sie an den Charts - und trennten sich dann.

 

Iggy Pop wurde zur Legende, die in einer langen Musikerkarriere ebensoviel falsch wie richtig machte. Er arbeitete mit seinem Kumpel David Bowie; gemeinsam entstanden die Meisterwerke "Lust For Life" und "The Idiot" mit den Songs "Neighborhood Threat" und "China Girl". Betrachtet man aber die Jahrzehnte, die zwischen dem letzten Stooges-Album "Raw Power" und dem neuen Werk "The Weirdness" vergingen, wechselte Iggy zwischen "Blah Blah Blah" (LP-Titel), also bedeutungslosem Anbiederungs-Pop, und urgewaltiger Wut wie in "American Caesar" hin und her.

Vielleicht hatte er einfach all die vielen Jahre gebraucht, um zu erkennen, daß es mit seinen Kumpels von einst doch am besten geht? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage ist kaum möglich, und natürlich haftet dem Ganzen auch der Geruch nach Rentenaufbesserung an. Solche Überlegungen drängen sich - ähnlich wie beim Comeback der Glamrock-Helden New York Dolls im vergangenen Sommer - zwanghaft auf, zumal die Gebrüder Asheton nach der Stooges-Ära (im Gegensatz zu Iggy) nicht mit Ruhm und Dollarbündeln bedacht worden waren. Gegen das Bild der Band als lukrativer Seniorenfond spricht allerdings, daß die drei Urmitglieder sich einen wirklichen Ausnahmebassisten und kreativen Wirrkopf der Superlative an die Seite geholt haben: Mike Watt, dem aufgeklärte Musikliebhaber die Meisterwerke von Minutemen und fIREHOSE, aber auch den Solo-Geniestreich "Ball-Hog or Tugboat?" verdanken. Nebenbei ist er zehn Jahre jünger als Pop, der am 21. April seinen 60. Geburtstag feiert. Watt ist also das Küken im Stall, ein Jungbrunnen, der perfekt zum Raw-Power-Punk der Stooges paßt.

Die Produktion von Steve Albini, der unter anderem auch bei Nirvanas "In Utero" an den Reglern saß, ist derart trashig, daß "The Weirdness" klingt, als sei es direkt auf das letzte Album gefolgt; die zeitliche Differenz von 33 Jahren ist keinen Augenblick lang zu spüren. Merkwürdigerweise klingt das Alters-Unruhewerk aber nicht altbacken. Die Stooges beißen auch mit den dritten Zähnen noch kraftvoll zu und verweisen ihre Urenkel - zum Beispiel Green Day - in die Designer-Punk-Ecke. Wenn einer ein echter "American Idiot" ist, dann natürlich Iggy ...

Der darf praktisch alles. Während es bei den Stones längst nur noch darum geht, ob sie nicht too old to Rock´n´Roll seien, gesteht die Kritik den Stooges und ihrem Boß jede Form von Starrsinn zu. Iggy Pop war ja auch immer dann gut, wenn er sich einen feuchten Kehricht um Konventionen kümmerte und den Weg durch Vor- und Fehlurteile mit der Punk-Axt freischlug. Also darf er auch "My idea of fun is killing everyone" singen. Er würde es sich ohnehin nicht verbieten lassen. Iggy ist längst über jeden Selbstzweifel erhaben und läßt sich nicht von Pöbeleien anderer beeindrucken. Mit seinem Freibeuter-Team im Rücken kann er das auch besser als alle anderen.

Die Stooges sitzen in ihrem Versteck und freuen sich daran, daß ihnen mit "My Idea Of Fun" ein Song geglückt ist, der trotz aller raubauzigen Krawallkaskaden ein echter Ohrwurm von fiesem Schrot und Korn ist. Es ist ein Song, den man mitsingt, wenn einem nicht nach politischer Korrektheit zumute ist - und einer, der neben "I Wanna Be Your Dog", "Dirt" und in unmittelbarer Nachbarschaft von "Search And Destroy" Bestand hat. Gerade der Vergleich von "Search And Destroy" aus dem Jahre 1970 und dem neuen "Idea Of Fun" verdeutlicht, warum die Stooges immer noch frisch und zeitgemäß wirken: Damals stand die Welt am Abgrund - Terror, Nahostkonflikt, die USA in einem blutigen Krieg. Und 2007? Nichts Neues unter der Sonne; dafür Alte, die gut in Form sind. Ein Blick auf das durchtrainierte Muskelpaket Iggy zeigt, daß er heute eher als früher seine Vorstellung von Spaß in die Tat umsetzen könnte.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Stooges - The Weirdness


Virgin/EMI (USA 2007)

 

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.