Kolumnen_Miststück der Woche IV/9 - Leserwunsch #19

Oscar Isaac: "Hang Me, Oh Hang Me"

Das neue Jahr beginnt, wie das alte aufgehört hat - mit einem Leserwunsch. Vernehmen wir nun gemeinsam ein gar traurig Liedelein, gut abgehangen, aber immer noch zeitlos schön und dargebracht von einem hoffnungsvollen Nachwuchsmimen. Manfred Prescher rollen dabei wohlige Schauer über den Rücken.    12.01.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Ich weiß nicht, wie ihr, liebe Leserinnen und Leser, in das neue Jahr geschlittert seid. Oder ob ihr die festlichen Tage in Liebe, Eintracht und im Einklang mit eurem persönlichen Manitou verbracht habt. Aber ich wünsche euch, daß unser aller 2015 rundum perfekt wird, daß sich die Perfida im Dunst der eigenen Hirnschwurbel auflöst und daß die Menschen den Blödsinn loslassen, der sie zu Gewalttaten, Kapitalismus oder auch nur schlechtem Musikgeschmack animiert. Weil ich aber nicht glaube, daß das so kommen wird, werde ich weiterhin für euch schreiben. Bis die Schwarte kracht oder der Grill-Tofu gently vor sich hinbröselt.

Wie waren eigentlich meine letzten paar Tage? Ursprünglich wollte ich in die Gegend von Paris. Ein paar stille Tage in Klischee verbringen. Oder mit der besten Liebespartnerin von allen unter dem Weihnachtsbaum abhängen, das Lied von dem österreichischen Popen singen und in ihr "O du fröhliches" Gesicht schauen. Währenddessen hätten die Kerzen abbrennen können, und wir hätten uns wohlig auf den Geschenkpapierfetzen ausgestreckt. Und zum Schluß hätten wir bis zum nächsten Tag bleiben müssen, denn es war ja bekanntermaßen fürchterlich cold outside.

 

Es kam aber anders. Ich war im hektischen London und in der ruhig-pittoresken Gegend von West Byfleet. In  Brighton, aber auch in Portsmouth und Surrey hatte ich das Gefühl, daß mir eher Harry Potter als der Weihnachtsmann begegnen würde. An den Plakatwänden prangten die Favoriten der Darts-WM, und man hätte doch ordentliche Pfund Sterling ansetzen können, hätte man auf den späteren Sieger getippt. Der Aufenthalt im Königreich bekam eine besondere Würze durch die BBC: Erst einmal hofften oder bangten die Insulaner, daß/ob die Queen anläßlich ihrer Weihnachtsansprache tatsächlich abdanken würde. Schließlich ist die Großmutter des Ex-Empires schon seit dem Spätmittelalter und den Tagen von Oliver Cromwell in Amt und Würden. Aber nix geschah. Stattdessen redete sie recht vernünftig über Gott und den Zustand der Welt. Unvernünftig ging es kurz darauf im öffentlich-rechtlichen Raum zu: Tüftler versuchten, eine Action-Figur aus den Sixties auf mehr als die normale Überschallgeschwindigkeit  zu beschleunigen - und sie zum Schluß wieder heil in den Armen zu halten. Nach etlichen für mehrere Püppchen fatalen Versuchen gelang es mit Hilfe einer riesigen Rakete, mit selbstgemischtem Treibstoff, mit Mini-Astronautenanzug und Fallschirmen. 

Die spinnen, die Briten - aber das macht sie uns auch immer wieder sympathisch. Das Ergebnis von jahrhundertelangem Inzest sind nun mal solche Versuche, sind Bands wie Oasis oder die Kinks, sind Darts-WM und Käsezumbahnhofvonbrighton rollen. Ich war, das aber nur am Rande, in Brighton in einem Second- oder Fifth-Hand-Kaufhaus, da hing tatsächlich so eine Action-Figur herum. Womit ich den Rand verlasse und endlich beim Thema der heutigen Kolumne ankomme. Denn es geht ums Hängen. In Folk-, Country- und Blues-Songs wird traditionell immer mal gebaumelt. Weil man ein Verbrechen begangen hat, weil man zum Schutze der Liebsten einen Mord auf sich geladen hat oder einfach, weil es sich gut und morbid anhört. "25 Minutes To Go", "The Hanging Tree" oder eben "Hang Me, Oh Hang Me" - Beispiele gibt es mehr als genug.

"Hang Me, Oh Hang Me" ist ein Traditional, das ins 19. Jahrhundert zurückweist. Es wurde immer wieder weitergegeben und landete im Zuge des New Yorker Folk-Revivals schließlich bei Dave Van Ronk. Der nahm es 1962 für sein Album "Dave Van Ronk, Folksinger" auf. Der Weg in die Jetztzeit war allerdings steinig. Hätte Bob Dylan das Lied irgendwann eingespielt, wäre es heute allgemeiner Kanon. Van Ronk, der Dylan öfter mal Diebstahl vorwarf, war aber eine eher tragische Gestalt in der Szene. Den Durchbruch schaffte er trotz oder wegen seiner Begabung nicht, der Song wurde zur obskuren Begierde eingefleischter Fans.

Aber er bekam 2013 ein filmisches Denkmal gesetzt: Die Gebrüder Coen kreierten "Inside Llewyn Davis" als relativ freie Interpretation von Van Ronks Biographie "The Mayor Of Macdougal Street" - und Hauptdarsteller Oscar Isaac, der auf seinen Nachnamen Hernández karrieretechnisch klug verzichtet, singt darin unter anderem "Hang Me, Oh Hang Me". Das tut er so wunderschön, daß es schlicht und ergreifend ergreifend ist. Selbst die sechsjährige Tochter der besten Liebespartnerin singt mit. Allerdings verändert sie den Text, originalgetreu paßt er einfach nicht ins kindliche Gemüt.

 

Der Sänger fleht nämlich, daß man ihn hängen möge. Davor habe er keine Angst - es ist das langwierige Herumliegen in der Grabesenge, das ihn dann doch in Panik versetzt. Wir erfahren nicht, warum der Ich-Erzähler gehängt werden möchte, aber es sieht so aus, als habe er andere Menschen verletzt. Oder, auch das klingt aus den wenigen Zeilen des Volkslieds an die Öffentlichkeit, daß er sich für das Scheitern von Beziehungen und von praktisch allem, vom Weltkrieg bis zur beim Wochenendeinkauf vergessenen Butter, schuldig fühlt. Er setzte überall auf der Welt seinen Anker, singt Oscar Isaac, und sein Gewehr hatte er überdies auch immer dabei. Aber er wurde nirgends seßhaft, er hat, so ist zu interpretieren, überall nur Verwüstung hinterlassen. Deshalb geht der Refrain ebenso folgerichtig wie eindimensional so: "So hang me, oh hang me/I´ll be dead and gone/Hang me, oh hang me/And I´ll be dead and gone/I wouldn´t mind the hanging/But the layin´ in a grave so long, poor boy/I been all around this world".

Was Dave Van Ronk bzw. Oscar Isaac da singen, ist eine Art des Loslassens, die sehr fatalistisch und folglich völlig unbuddhistisch daherkommt. Aber was wußten die Typen, die durch den staubigen Süden der USA marschierten, schon? Sie schrieben Lieder, die in ihrer verzweifelten Eindeutigkeit den Leuten aus der Seele sprechen konnten, sie aber sicher nicht zum Meditieren oder auf höhere Seinsebenen brachten. Im Gegenteil: Hier ist von der tieferen Ebene nach dem Ende des Seins die Rede. "Hang Me, Oh Hang Me" wird freilich, ganz im Sinne Buddhas, immer wieder und wieder geboren. Wir müssen und sollten das Lied immer wieder aufnehmen und anhören - so lange, bis wir uns nicht mehr abhängig machen von Schuld und Vorwürfen, bis wir uns endlich nicht mehr selbst kasteien. Man ist, und damit mache ich für heute ein Ende, für sich und sein Glück selber verantwortlich. Ein sehr guter Freund schickte mir vor einiger Zeit das Photo einer Kaffeetasse, auf der passenderweise folgendes geschrieben stand: "Amor, gib mir den Pfeil! Ich mach den Scheiß jetzt selber". Und, so möchte ich ergänzend hinzufügen: Ich häng´ mich im Zweifelsfall auch selber auf.

Ich hoffe, daß ihr euren Liebsten den Raum und die Zeit gebt, die er oder sie braucht. Daß ihr lebt, liebt und euch labt, was das Zeug hält. Und daß ihr immer wieder montags hier reinschaut. Denn hier spielt die Musik. Nächste Woche zum Beispiel erfülle ich einen weiteren Leserwunsch. Dann erzähle ich über Sepp Zeppelin und sein "Babe I´m Gonna Leave You" - und auch dann geht es wieder um Musik, die sehr im amerikanischen Süden verwurzelt ist. Bis dahin macht´s gut, macht´s besser, macht´s gscheit.

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Oscar Isaac: "Hang Me, Oh Hang Me"

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Enthalten auf der CD "Inside Llewyn Davis" (Nonesuch/Warner)

Links:

Inside Llewyn Davis

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StudioCanal (USA 2013)

DVD Region 2
101 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Making of

Regie: Ethan Coen, Joel Coen

Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman u. a.

 

Ein erfolgloser Folk-Barde hadert im eisigen New York der 60er Jahre mit seinem Schicksal. Die Gebrüder Coen arrangieren mit "Inside Llewyn Davis" eine sympathisch-melancholische Loser-Ballade und treffen dabei auch fernab ihrer boshafteren, lauteren Werke zumeist den richtigen Ton.

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