Kolumnen_Rez gscheid!/Mundl-Spezial

"Do sitz ma so gmiatlich zsamm ...

... fangt der Trottel zum Lachen an!"
Anläßlich des Mitte Dezember erscheinenden Kinofilms "Echte Wiener - Die Sackbauer-Saga" erörtert unser Sprachexperte diesmal einschlägige Dialogpassagen aus der Feder von Ernst Hinterberger. Oder: Was Sie schon immer über Mundl-Sager wissen wollten ....    27.11.2008

"Languages matter!" weiß die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, kurz: UNESCO. Deshalb hat sie das Jahr 2008 zum internationalen Jahr der Sprachen erklärt.
Unser Sprachexperte Dr. Seicherl erklärt mit und widmet sich dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.


"Mundl"-Sprache ist eine interessante Mischung aus Schauspielerdiktion und echtem Wiener Dialekt: ein Kunstidiom, das doch vieles vom Original beinhaltet. Die Transkription der folgenden zehn Beispiele aus der Originalserie orientiert sich im Zweifelsfall am korrekten Wienerischen.

 

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Kummts, es nudldrucker, gemma endlich! Es stehts jo do wia de haubmsteck.

 

Translation/Gebrauchshinweise:

 

nudldrucker: Feigling; Geizhals; Pedant
haubmstock: Dummkopf; Schwerhöriger; Untätiger
Angeblich hat die mühselige Tätigkeit, Teig durch ein Sieb zu pressen, dem nudldrucker seinen Namen gegeben: Nur ein geiziger, pedantischer oder für andere Tätigkeiten zu feiger Mensch würde sich solch zeitaufwendigem Procedere widmen, bloß um Nudeln herzustellen.
Einleuchtend ist das Gleichnis mit dem Haubenstock: Eine Haltevorrichtung, wie sie zur Präsentation von Kopfbedeckungen im Schaufenster verwendet wird, ist naturgemäß ebenso inaktiv wie teilnahmslos.

 

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Bei mia reißns mit so ana goschn ka leiberl.

 

goschn: Mund; freche Ausdrucksweise
leiberl: einteilige, dünne Oberkörperbekleidung; Erfolg
a leiberl reißn: etwas erreichen, erfolgreich sein
Das direkt "am Leib" getragene Wäschestück wird heute meist unter dem englischen Ausdruck "shirt" verkauft (vgl.: untaleiberl, ruadaleiberl; tiischöat). Die Wendung, ein solches zu reißn (im Sinne von "gewinnen"), rührt von den Gepflogenheiten im Zusammenhang mit manchen Sportarten her.

 

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Kruzitiakn, host an klescha? Paß auf, wosd hihatscht! Hod eigln wia biatazln, oba siacht nix.

 

kruzitiakn: "Kreuztürken"
klescha: Knall, klatschendes Geräusch; mentale Dysfunktion
hatschn: hinken; unaufmerksam gehen
eigl: Auge
tazl: Untertasse

Bei der zweiten Wiener Türkenbelagerung im Jahre 1683 kämpften auf Seiten der Angreifer auch protestantische Ungarn, was ihnen die Bezeichnung "Kreuz-Türken" eintrug (und bis heute als Fluch erhalten blieb).
Wenn man jemandem ane klescht, so gibt man ihm eine Ohrfeige; der klescha als Geisteszustand spielt auf mögliche Unfallfolgen an (vgl: hieb; bdt.: "Knall").
Untersetzer für Biergläser als tazln zu bezeichnen, klingt eigenwillig; gebräuchlicher wäre biadekl.

 

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Bist wieda angsoffn wiara heisltschik.

 

angsoffn: "vollgesaugt"; stark alkoholisiert, betrunken
heisl: Eigenheim; Abort
tschik: Zigarette
Neben bladlwaach ("weich wie ein Blatt") umschreibt wohl kaum ein wienerischer Ausdruck den Zustand der Volltrunkenheit so plastisch wie dieses Gleichnis eines im Pissoir liegenden Zigarettenstummels. Das Substantiv tschik leitet sich übrigens vom friaulischen "cic" ab (vgl. ital.: cicca).

 

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Wann der rinnsäudampfa vo da hausmastarin no amoi zua tia hibrunzt, dann isa ausbanlt, und se kann sin bein wosnmasta ohoin.

 

rinnsäudampfa: großer Schuh
hausmastarin: weiblicher Hauswart
brunzn: urinieren
ausbanln: zerlegen, Teile entfernen; entbeinen
wosnmasta: Abdecker (Tierkörperverwerter)
Ausreichend großes Schuhwerk ermöglicht es dem Träger, auch "Rinnsale" quasi wie mit einem "Dampfschiff" zu passieren. Hier ist damit jedoch offensichtlich ein Hund gemeint - linguistisch gesehen inkorrekt.
"Herren der sumpfigen Wiese" (ahd.: waso) wurden die Verwerter von Kadavern genannt; nach jenem Ort, wo sie die selbst von ihnen nicht mehr zu gebrauchenden Reste deponierten. Leider ist nicht nur die mittelhochdeutsche Berufsbezeichnung "Wasenmeister" verlorengegangen, sondern auch eine soziale Pflicht des Abdeckers, wie sie angeblich noch im ausgehenden 19. Jhdt. festgeschrieben war: "Er hat [...] nach Hunden zu streifen und solche, die nachts heulen, einzufangen [...] und dann zu vertilgen."

 

 

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Heit is a scheißtog. Des hob ii scho im urin gschpiat bein aufsteh.

 

im urin gschpian: eine Vorahnung haben

Das hochdeutsche Wort Urin in dieser Wendung zeigt, daß es sich hier um Wissenschaftliches, also Okkultes dreht. Üblicherweise wird der Harn im Wiener Dialekt als brunzlad oder wischlad bezeichnet.
Anmerkung: Der vorgeblich pessimistische Grundtenor illustriert eine klassische Wiener Lebenshaltung.

 

 

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Wann du zniachtl ned glei a woikn bist, kriagst a fozn.

 

zniachtl: kleiner, schwächlicher Mensch
a woikn sein/mochn: sich rasch entfernen
fozn: Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht
Das zniachtl leitet sich vom Mittelhochdeutschen "ze nicht" ab ("zu nichts"). Die aufgewirbelte Wolke ist gewissermaßen das einzige, was von jemandem zurückbleibt, der sich soeben schleunigst absentiert hat (vgl.: sich aus dem Staub machen).
Was einst nur die Vulva bezeichnete (mhd.: vut), durchlief in seiner abwertenden Bedeutung "(übel-)riechende Körperöffnung" einen Wandel: Während "die Votze" heute im ursprünglichen Sinne nur mehr in bundesdeutschem Sprachgebrauch existiert, ist hierzulande "der Fotz" als Dialektausdruck für "Mund; Gesicht" bekannt. Die fozn wiederum bezeichnet einen ebendort applizierten Schlag (bdt.: "Maulschelle"); im Unterschied zur etwas harmloseren Variante der watschn (Ohrfeige).
Anmerkung: eine Beschimpfung wie "Hundsfott" war schon Homer geläufig. In der "Ilias" titulieren die Helden einander etwa als "kynopa" - von "kyon" (Hund) und "ops" (Gesicht).

 

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Du brauchst ma übahaupt ned ins gsicht schaun. Geh in Waldmüllerpark, setz di auf a bankl und glur die schpozn an, du rauschkind du.

 

glurn: (an-)starren; Augen (subst. nur plur.)
schpoz: Spatz/Haussperling (lat.: passer domesticus)
rauschkind: geistig minderbemittelter Nachwuchs
Der Ausdruck glurn stammt aus dem Rotwelschen.
Eltern eines geistig behinderten Kindes unterstellt der Volksmund, sie müßten es wohl im Zustande der Trunkenheit (im rausch) gezeugt haben.
Anmerkung: die Wiederholung des Personalpronomens am Ende ist im Wiener Dialekt typisch für Imperativsätze.

 

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Ollas wos ka Wiener is, is praktisch a tschusch. Wurscht, ob a aus St. Pölten, Buxtehude, Japan oda ausn uawoid kummt.

 

tschusch: Jugoslawe
Ob die aus dem friaulischen "zús" ( = Dummkopf) abgeleitete Bezeichnung tatsächlich so universell ist, darüber ließe sich mit Herrn Sackbauer wohl trefflich streiten.
Die Einwohner St. Pöltens beispielsweise fallen unter die Kategorie "Österreicher, aber nicht aus Wien" und sind daher einerseits gscheade (von "geschoren": Bauern durften früher das Haar nicht lang tragen wie Adelige, und aus der Sicht des Wieners ist Restösterreich ausschließlich von Landmännern bewohnt), sowie andererseits - als Niederösterreicher - neandatola (wegen des Anfangsbuchstabens früherer Kfz-Kennzeichen).
Da Buxtehude in Deutschland liegt, können dort nur piefke wohnen (nach Johann Gottfried Piefke, weiland Musikdirektor des III. preußischen Armeekorps). Japaner werden, wie praktisch alle Völker zwischen Hindukusch, Sachalin und Mindanao, als schlitzaugn identifiziert, während "der Urwald" (welcher nach österreichischem Verständnis den gesamten afrikanischen Kontinent südlich "der Wüste" bedeckt) als natürliche Heimat von negan gesehen wird (vulgo: bimbos).
Apropos Wüste: Deren Bewohner nennt man kamötreiba, und sonstige Angehörige von Nationen südlich Europas im Zweifelsfalle bloßhapate (Barfüßige). Auch für Bürger hierzulande etwas bekannterer Staaten gibt es mehr Titulierungen als nur tschuschn; so werden Anatolier auch als kimetiakn apostrophiert ("Kümmeltürken") und Italiener als kazlmocha.
Anmerkung: Letzteres soll sich von "Ggatzelen" herleiten; angeblich die Bezeichnung für selbstgeschnitzte Schöpfkellen, wie sie im 18. Jhdt. von Südtiroler Wanderhändlern verkauft wurden.

 

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Sie kummt eh scho, pfeifmstierer, bleda! Oda soi sa se wegn dir a raketn in hintan steckn?

 

pfeifmstierer: unsympathischer Mensch

Ähnlich wie der ungustl wird auch der pfeifmstierer zwar nicht als bedrohlich, doch vage abstoßend empfunden. Das hat nichts mit seinem Äußeren zu tun, sondern vielmehr mit schlechten Charaktereigenschaften: Man unterstellt ihm damit ein gewisses Maß an latenter Bosheit bzw. Heimtücke. Vermutlich rührt die Bezeichnung von der Assoziation mit Pfeifenutensilien her: Reinigern oder Stochern haftet - zumal nach Gebrauch - etwas Unappetitliches an.

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net.

Links:

Echte Wiener - Die Sackbauer-Saga

(Kinostart am 19. 12.)


Ö 2008

100 Min.

Regie. Kurt Ockermüller

Darsteller: Karl Merkatz, Ingrid Burkhard, Klaus Rott u. a.

Links:

Kommentare_

Gammel Kurt - 17.03.2018 : 17.14
Eigantlich redn mia Nord-Burgnlända a so wia de Weana !
Deswegn meg ma de Weaner a so gern!
(Die Übersetzung erspare ich mir!)

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