Kolumnen_Miststück der Woche III/90

Spoon: "Rent I Pay"

Man zahlt ja immer irgendwie für irgendwas. Und bekanntlich meistens sogar drauf. Aber ab nächster Woche bekommt ihr etwas dafür, daß ihr der Kolumne aufmerksam folgt. Manfred Prescher schreibt über eure Lieblingslieder - und jetzt läßt er es noch einmal ordentlich rocken.    18.08.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

"Ich weiß zwar, daß wir es hier mit Popmusik zu tun haben und nicht das Rad neu erfinden, aber ich will wenigstens das Gefühl haben, daß wir etwas tun, das zumindest für uns völlig neu ist". Diese weisen Worte stammen von Britt Daniel, dem Sänger und Gitarristen der texanischen Indierockband Spoon. Abgesehen davon, daß "Indierock" ein extrem dämlicher Begriff ist - den zugegebenermaßen ich hier auf die Tafelrunde geworfen habe - paßt der Spruch sogar auf diese Kolumne. Denn die beste Liebespartnerin von allen hatte vor einiger Zeit eine Idee, die ich praktisch umgehend für spannend hielt, weil sie zwar nicht den Weltenlauf aus den Schienen hebt und auf völlig neue Gleise setzt, sich aber doch für mich sehr ungewohnt anfühlt.

Ich betrete also mit euch fremdes Terrain. Ein großer Schritt für die Kolumne sozusagen - und ein hoffentlich interessanter, witziger und persönlicher für euch. Schließlich feiern wir miteinander in ein paar lausigen Wochen die 300. Kolumne. Würde man die sieben Intermezzi und den Teaser vor Nummer 201 mitzählen, dann wären wir jetzt schon bei der 298 und hätten das Jubiläum unmittelbar vor den erlauchten Rübennasen. Aber so dauert es halt noch ein wenig. Ihr habt also noch Zeit, euch einen Song rauszusuchen und ihn hier oder auf einer meiner Gesichtsbuchseiten (Manfred Prescher oder Miststück) zu posten. Alle eure Lieder werden garantiert in typischer "Miststück"-Manier besprochen. Ach ja, ehe ich es vergesse: In Nummer 300 werden justament hier an dieser Stelle drei E-Reader unter den Teilnehmern verlost. Darauf findet Ihr das von den EVOLVER-BOOKS-Kollegen liebevoll umgestaltete virtuelle Buch mit den ersten 200 Kolumnen - und ihr müßt euch nicht mehr aufwendig durch dieses Portal blättern. Was sich aber andererseits sehr lohnt ...

 

Ab nächster Woche werde ich den Löffel sozusagen an euch abgeben und feierlich geloben, daß ich mich erst frühestens in die Hölle oder sonstwohin abberufen lasse, wenn ich eure Wünsche completamente erfüllt habe. Ich habe nämlich vor kurzem ein feierliches Gelöbnis abgelegt. Bei einem nächtlichen Spaziergang durch Obereinherz schwor ich mir, mindestens einmal pro Woche eine gute Tat zu begehen. So wie damals beim Fähnlein Fieselschweif, die bei Carl Barks übrigens Junior Woodchucks heißen.

Noch hab´ ich aber das Löffelchen noch. Daher bringe ich es jetzt in Stellung, rühre die Tasse mit dem koffeinfreien Cappuccino - sowas gibt´s wirklich - um und spreche von der Band Spoon. Die erfindet das Rad zwar auch nicht neu, aber ihre Musik ist wohltuend frisch. Ich habe an anderer Stelle mal geschrieben, daß derzeit praktisch überall nur zitiert wird; auch Spoon machen da keine Ausnahme. Aber fairerweise muß ich doch konstatieren, daß das auch schon zu den Zeiten von Fred Feuerstein, Louis Jordan oder Sepp Zeppelin schon so war.

Schon der Name "Spoon" ist ein Zitat. Selbstverständlich hat die Band das Wort aus dem Katalog von WMF bzw. aus der elterlichen Besteckschublade entliehen. Nein, das ist Quatsch. Er stammt vom bekanntesten Stück einer der besten deutschen Formationen aller Zeiten: Can und ihr "Spoon" erreichten damit 1972 sogar vordere Hitparadenplätze - das Lied wurde nämlich im Durbridge-Straßenfeger "Das Messer" eingesetzt. Es war aber dennoch seiner Zeit voraus und verbindet Ambient-, Dub- und House-Grooves miteinander, ohne daß es die damals schon offiziell gab. Das Teil kann man daher heute noch gut auf den Partys kluger und geschmackssicherer Menschen einsetzen. Und von so einem Event her müßten Daniel und seine Mitstreiter den Track auch kennen. Würd mich jedenfalls nicht wundern.

Die Bandgeschichte von Spoon ist genauso wechselhaft wie die von Can, tut hier aber nichts zur Sache. Vor kurzem erschien ihr achtes Album in gut 20 Jahren mehr oder weniger friedlicher Gruppenexistenz. Eine vierjährige Trennungspause und das Gefühl, trotz wachsenden Erfolgs künstlerisch ausgebrannt zu sein, ist nun mit "They Want My Soul" überwunden. Erstmals war mit Joe Chiccarelli, der unter anderem auch bei Morrisseys gutem neuen Album "World Peace Is None Of Your Business" und Alanis Morissettes demnächst erscheinender CD "Havoc And Bright Lights" an den Reglern saß, ein Produzent gewählt. Das hört man dem vielschichtigen, irgendwie an einen leckeren provenzalischen Gemüseeintopf erinnernden Werk auch an: "Outlier" ist zum Beispiel ein kleines, feines Disco-Stück, das sich intelligent aus dem Dance-Einheitsbrei erhebt - und daher wie die meisten Songs von Can eher nicht auf dem Tanzflur eingesetzt werden sollte. "Let Me Mine" klingt nach einer von Damon Albarn und Noel Gallagher erzeugten Britpop-Hymne: Schräge Soundideen von Blur verbinden sich mit dem catchy Refrainchen von Oasis. Sehr schön zitiert, meine Herren.

Um es mit dem weisen und greisen Meister Yoda zu sagen: "Sicher ich bin", daß der Opener "Rent I Pay" auf Indie-Partys funktionieren wird. In ihm grungt es in bester Soundgarden- oder Alice-In-Chains-Manier. Auch Rockmucke aus den siebziger und achtziger Jahren findet man wieder - Mott The Hoople, Alex Harvey oder The Tubes sind erkennbar. Wenn man bzw. frau das erkennen möchte - aber das muß ja auch gar nicht sein, der Song ist für sich genommen onewallfree.

 

Im Gegensatz zu vielen anderen Stücken von Spoon ist "Rent I Pay" übrigens nicht gesellschaftspolitisch zu verstehen. Britt Daniel erzählt davon, wie es ist, ein Indie-Star zu sein bzw. welchen Druck der Ruhm auf die Kreativität ausübt, wenn man hochbegabt und sensibel ist. Aber auch das muß niemand - um es in Fußballreporterdeutsch zu sagen - "antizipieren". Andererseits ist es auch die Chance, den Menschen Britt Daniel zu verstehen. Auf jeden Fall tut das Lied eines hundertprozentig: es rockt recht rüstig vor sich hin. Sowas gefällt auch der besten Liebespartnerin von allen.

Alles in allem sind das neue Album und das Eröffnungsstück "Rent I Pay" wirklich großartig, besser noch als das 2007er-Großwerk", dessen Titel "Ga Ga Ga Ga Ga" in seiner ergreifenden Schlichtheit schlicht ergreifend ist. "They Want My Soul" ist auch ein ordentlicher Albumtitel. Das Fazit der CD ist einfach: "Ihr wollt meine Seele? Ihr bekommt mich bzw. meine Musik." 

So. Ich geh´ jetzt mal raus hier, und ab nächster Woche erfülle ich eure Wünsche. Beginnen werde ich mit den Smiths und "There´s A Light That Never Goes Out". Schöner Klassiker von Morrissey und Marr, fürwahr, fürwahr. Ich wünsche euch und mir bis dahin schon mal, daß die Lichter bei euch tatsächlich nie ausgehen. Also auf auf in den nächsten Baumarkt und ein paar Birnchen gekauft. Mein guter Rat: Haltet den Menschen fest, den ihr liebt. Sorgt dafür, daß in der Kathedrale eures Herzens der Kerzenleuchter für eure Herzdamen oder -buben ewig brennt. Dann wird auch alles gut. Darauf jetzt ein Teelöffelchen Zucker. Ist laut Mary Poppins übrigens eh die beste Medizin, weil es gegen Gott und die Welt hilft.   

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Spoon: "Rent I Pay"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "They Want My Soul" (Anti/Indigo)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.