Kolumnen_Rez gscheid!

Maskulin

Seit der Erörterung weiblicher Anatomie in dieser Kolumne reklamieren vor allem die Damen eine entsprechende Analyse ihrer Bettgenossen. Ihr Wunsch ist uns Befehl. Erfahren Sie also an dieser Stelle alles über den klassischen Wiener Adonis im Detail.    25.02.2010

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

Wienerisch im Alltag:  Dr. Seicherls gesammelte Lebenshilfe finden Sie hier.

 

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Mein lieber Herr Doktor,
das war ja alles sehr aufschlußreich in "Cherchez la femme", aber wo bleiben die Männer?! Soviel ich weiß, haben die Wiener doch auch eine Menge Ausdrücke für ihr "bestes Stück"?
Grüße, Marianne

 

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Dr. Seicherl antwortet:

 

Liebe Marianne,

Sie haben vollkommen recht. Im folgenden reiche ich somit die fehlenden Informationen nach.
Sollten Sie allerdings im Sinne haben, Ihren Partner damit zu adressieren, gebe ich zu bedenken, daß manche der Ausdrücke vornehmlich für Gespräche unter Männern bestimmt sind; speziell Diminutiva könnten - seitens der Dame gebraucht - als Herabsetzung interpretiert werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

 

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Erläuterungen:

 

Die sexuelle Konnotation der männlichen Physis beschränkt sich in unseren Breiten hauptsächlich auf den Lendenbereich, wie schon die Bademode zeigt. Das war allerdings nicht immer so: Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts trugen auch die Herren meist Schwimmanzüge. Verständlich, übertrifft das Rippenfett manch wohlgenährten Bürgers doch oft jenes seiner Begleiterin; dennoch findet sich im Wienerischen kein einschlägiger Ausdruck dafür. Lediglich der Bauch des Mannes - in seiner prallen Wölbung manchmal gar Stütze für die erwähnte Oberweite - kennt Eigennamen: beispielsweise gössamuskl, ironisch auf die Produkte der Brauerei Göss anspielend (im steirischen Leoben, 1459 erstmals urkundlich erwähnt).
[Anmerkung: Übermäßiger Biergenuß kann angeblich wegen des Gehaltes von Phytoöstrogenen im Hopfen zur Störung des Hormonhaushaltes führen (med.: Gynäkomastie; vgl. bdt.: "Biertitten").]

Begeben wir uns aber nun in medias res. Für den Penis findet sich eine erstaunliche Vielfalt von Kosenamen. Als zumpferl, pimperl oder schnikl wird er apostrophiert, manchmal bagatellisierend als schnupsi, wiwiderl oder schpazi. Letzteres reflektiert auf das poetische Bild eines Jungvogels im Nest - was zeigt, daß Intimrasur hierzulande eine Modeerscheinung neueren Datums ist. Andernfalls ergäbe auch die Mitteilung glei kumts vogerl weniger Sinn (wenngleich diese Ankündigung eines kurz vor dem Höhepunkt Stehenden scherzhaft einen alten Photographenspruch zitiert).
Am geläufigsten ist sicher der Ausdruck beidl. Entgegen herrschender Lehrmeinung leitet er sich jedoch nicht von Beutel, sondern vielmehr von Beitel ab: einem Tischlerwerkzeug, auch Stemmeisen genannt. Ob der Form des weiteren evident sind Synonyme wie schwanzerl, pfeiferl oder nudl. Werden Flora und Fauna gleichnishaft herangezogen, spricht man auch von ruam, stengl, wipfe, riaßl, regnwuam oder guakn.
[Anmerkung: nicht mit dem guakerl zu verwechseln; neben der Gemüsebeilage (vgl.: essiguakerl) versteht der Wiener darunter nämlich ein Zweikampfmanöver beim Fußballspiel, im Zuge dessen der Ball zwischen den Beinen des gegnerischen Spielers (i. e.: unterhalb seiner guakn) hindurchbugsiert wird.]

Subjektive Eindrücke finden in woidura und dresda ihren Niederschlag ("Wohltuer" und "Tröster"), während bei ditschkerl, riara, famülienstrumpf oder schprizn die technische Anwendung im Vordergrund steht. Zu diesem Behufe vonnöten ist jedoch eine ausreichende Füllung der Schwellkörper; im Wienerischen ist der phallos als steifa, hoata oder hemadschpreiza bekannt ("der das Hemd spreizt"). Als Sonderfall fungiert ein wossasteifa: Der morgendliche Harndrang führt via Interaktion mit der Prostata häufig zu einer Erektion, welche jedoch nicht a priori sexueller Erregung geschuldet ist.
Die andererseits auf fortgeschrittenes Alter - und damit einhergehende Absenkung des Testosteronspiegels - zurückzuführende erektile Dysfunktion konnotiert hierorts mit wetaranbemschtl (lat.: veteranus = altgedient; wien.: bemschtl = Pinsel).
Im Falle erfolgreicher Betätigung des Gliedes tritt die saf zutage. Neben dieser optisch einsichtigen Bezeichnung für das Ejakulat spricht man dabei wahlweise auch von dschuri (zigeunerspr.: djuuri = Suppe) oder gar achdl ("Achtel" = Hohlmaß, entspr. 125ml; vgl.: do ged eam a achdl ind wäsch). Bislang völlig ungeklärt sind in diesem Zusammenhang die etymologische Herkunft von mura (auch: = "Mißgeschick") und koida baua ("kalter Bauer").
Wiewohl das mittelhochdeutsche murren auf das lateinische murmurare zurückgeht (murmeln, plätschern), scheint mir eine direkte Ableitung problematisch. Gleiches gilt für die These, Landmänner könnten ob ihrer berufsbedingten Müdigkeit eher nächtlichen Pollutionen erliegen (und das Resultat erst morgens in erkaltetem Zustande vorfinden). Wie dem auch sei - etwaige Spuren am Beinkleid werden jedenfalls ironisch schpuatflekn genannt (s.a.: wixn).

Um jedoch auf den Penis selbst zurückzukommen: neben substituierenden Männernamen wie hugo (vgl. bdt.: "Johannes") oder Allegorien (da öfde = der "elfte Finger") erfreuen sich klarerweise schmeichelhafte Übertreibungen einer gewissen Beliebtheit. So preist der Mann ihn denn gerne als prigl, feschn (vgl.: moch auf dei kleschn, hau da eine mein feschn) oder - geradezu blasphemisch - als zebedeus; der neutestamentarische Name Zebedäus leitet sich vom hebräischen zabdi her (= Gottesgeschenk).
Quasi als Lehnworte können die Titulationen dschoni und guraz gelten. Erstere dürfte auf die Besatzungszeit nach dem zweiten Weltkrieg zurückzuführen sein ("Johnny"), während letztere vornehmlich in Bezirken mit hohem Ausländeranteil geläufig ist (serb.-kroat.: kurac).
Die Testikel bezeichnet man ob ihrer Form als eia beziehungsweise gogerl (vgl. mhd.: gagzen, ahd.: gagizōn = gackern). Eine Sonderstellung nehmen die schpiagleia ein. Neben dem Pfannengericht werden auch die Hoden Dickbäuchiger so genannt; hierbei wird unterstellt, die ausladende Wölbung der Leibesmitte verwehre die Sicht nach unten dergestalt, daß der Betreffende einen Spiegel benötigt, um sein Skrotum betrachten zu können.
Sieht man das freischwingende Gesamtarrangement hingegen bildhaft als Glockenspiel, erklären sich die Ausdrücke glekerl und schwengl - eine gerade im katholischen Österreich mit seinen vielen Kirchtürmen naheliegende Assoziation.
Weltliche Vergnügen wiederum standen Pate beim Gleichnis vom Billard; ein Spiel, welches in Wien bereits im 18. Jhdt. verbreitet war. Das französische queue (wien.: ) bedeutet Stiel, Schwanz, oder - umgangssprachlich - eben auch Penis. Hält der Herr nun seine Hand in der Hosentasche (wien.: in sok), spielt er möglicherweise doschnbiljaa - eine allerdings minimalistische Variante, werden doch selbst beim Karambol drei Kugeln benötigt.

wiwi: Harn (lautmalend, Kindersprache)
ruam: Rübe (ahd.: ruoba)
riaßl: Rüssel (mhd.: rüezel)
ditschkerln: koitieren (vgl. frz.: toucher)
rian: (sich) bewegen, (um-)rühren
hoat: hart; beschwerlich
saf: Seife
schpuat: Sport
wixn: masturbieren (mhd.: wihsen = mit Wachs überziehen; vgl. bdt.: "Schuhwichse")
prigl: Prügel; vierschrötiger Mann

fesch: unternehmungslustig; gutgekleidet (von engl.: fashionable)

kleschn: Vagina
sok: Sack

Dr. Seicherl

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Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


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