Kolumnen_Miststück der Woche III/2

Wrongkong: "Dear Euphoria"

Ab und zu kann Manfred Prescher ganz euphorisch sein und sich in eine hübsche, schlanke Melodie "verhören". Erstaunlich ist das nur, wenn der betreffende Song aus unmittelbarer Nachbarschaft kommt -- weil der Prophet im eigenen Land ja erst dann was gilt, nachdem er geopfert wurde.    24.09.2012

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Der Bandname Wrongkong hat, so Wikipedia, nichts mit dem stattlich-possierlichen Äffchen King Kong zu tun. Wahrscheinlich, so vermute ich, ist auch die sprachliche Nähe zu James Bonds liebster Dschunkenstadt Hongkong nur rein zufällig. Es geht vielmehr um Entfremdung, um das ebenso subjektiv gefühlte wie objektiv gelebte Mißbehagen, das einen befällt, weil man schon wieder im falschen Tarantino-Film namens "Real existierender Alltag" ist. Man glaubt, daß man auf einem fernen Planeten herumkreucht, etwa auf dem, in dem Nürnberg mitten in Ontario/Kanada liegt und Wurzeln schlägt.

Der geneigte Leser sollte sich nicht allzulange fragen, in welchem Sternensystem so ein Ort rein zufällig existiert, denn er wird nicht drauf kommen. Um Nürnberg/Kanada zu lokalisieren, braucht es die sogenannte "Drake-Gleichung", die bekanntermaßen sieben Unbekannte zu bieten hat, während - um das auch mal festzuhalten - Wrongkong nur aus fünf bislang leider noch weitgehend Unbekannten besteht. Die Gruppe ist tatsächlich eine fränkisch-kanadische Liaison, was belegt, daß Nürnberg freilich nicht erst seit der Band-Gründung anno 2007 ein sehr weltoffen-liberales Kaff ist. Und das ist zugegebenermaßen doch erstaunlich. Aber Wrongkong zeigen auch, daß kontinenteübergreifende Vernetzung wirklich was bringen kann. Zwangsläufig ist das nicht, aber hier funktioniert es prächtig.

 

Und ganz nebenbei baut man dem typischen "Der-Prophet-gilt-nix-im-eigenen-Land"-Phänomen vor. Won welchem Land wollen wir da eigentlich sprechen? Von Taka-Tuka-Land?  Normalerweise werden Propheten ja im eigenen Land hingemeuchelt, und später darf man keine Karikaturen von ihnen ins Gesichtsbuch stellen. Wrongkong sind selbstverständlich überall im Webirgendwas.0 zu finden - und sie machen auch noch Musik.

Die aktuelle Single "Dear Euphoria" erzeugt auch tatsächlich starke Euphorie. Der Song ist schmissig wie einst die Pipettes, falls sich jemand noch an die erinnert. Ein wenig Blondie, ein wenig Elektrorockabillygroove, und fertig ist ein charmanter Pop-Track, dem man beim besten Willen nicht böse sein kann, wenn er sich zum ersten Lied des Tages oder zum letzten Lied des Lebens aufmacht. Das liegt zum einen an der süßen Stimme von Cyrena Dunbar, zum anderen aber auch an der kreglen Begleitung durch die Brüder Thomas und Markus Wurm, beide nicht verwandt mit dem von Georg Danzer (RIP, Schorschi) besungenen Frauenmörder gleichen Namens. Spaß muß sein, und Spaß ist es, was dieses Lied auch im Übermaß verbreitet.

Auf dem dazugehörigen neuen, ihrem zweiten Album „So Electric“ sind Wrongkong aber klug genug, die Eingängigkeit der Single nicht zur Masche zu erheben - und das sicher nicht nur deshalb, weil die CD bereits drei Auskopplungen höchst unterschiedlicher Art zu bieten hat. "Crystal Clear" und "My Dearest Enemy" kann man sich gemeinsam unter anderem mit "Dear Euphoria" auf der Soundcloud von Wrongkong (soundcloud.com/wrongkong) anhören.

Nebenbei sei noch erwähnt, daß die Gruppe am 5. November 2012 hier auf unserem lieblichen Planeten den Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg verliehen bekommt. Das muß man nicht wissen; es genügt, ihnen zuzuhören. In Wien, genauer im "Waves", kann man dies übrigens am 5. und 6. Oktober tun.

Und in der nächsten Woche wird es in dieser Kolumne um die Rückkehr des Ulkig-Folkigen gehen - also um Mumford & Dingenskirchen.  

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER


Manfred Prescher

Wrongkong - So Electric

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Kommentare_

Verena Heene - 24.09.2012 : 22.00
hab grad die aktuelle Kolumne von Manfred Prescher gelesen, und fand diese sehr interssant. Ebenso die Musik, die hat was. Weiter so,freu mich schon auf die neuen Folgen

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