Kolumnen_Ausweiskontrolle

Permanent verdächtig!

Der 1. April begann mit einem demokratischen Witz - und allen, die ihn verstanden haben, ist bis heute das Lachen vergangen.    28.05.2012

Dem, was bisher über die Vorratsdatenspeicherung gesagt und geschrieben wurde, ist von Seiten der Kritiker kaum Weiteres hinzuzufügen. Ob der speicherpflichtige Generalverdacht verfassungsrechtlich Bestand hat, werden Gerichte entscheiden - und wie es in egal welchem Fall weitergeht, die Richtung ist fixiert. Wenn die Vorratsdatenspeicherung oder eine ähnlich überschwenglich formulierte Gesetzesverschärfung zurückgenommen werden sollte, dann wird sie unter anderem Namen und mit neuen Papieren wiederkommen. Letztlich ist sie ja doch ein Wunschkind. Nicht das einer Regierung, sondern das einer Zeit; und weil es nun einmal da ist, wird es auch hier aufwachsen. Das ist ähnlich sicher, wie daß es beim Volksstimme-Fest regnet.

Der Standpunkt der Kritiker ist also klar. Von Urheberseite wäre hingegen jede Menge Platz für Anmerkungen. So nonchalant, wie sich die Bundesregierung nämlich bislang jeder ernsthaften Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung entzogen hat, wird politische Entscheidungsfindung in keinem Lehrbuch beschrieben. Es gereicht den Herrschenden zum Vorteil, daß Datenschutz- und Privacy-Belange außerhalb der Schlagzeilensaison nur von einer Minderheit wahrgenommen werden. Die dürfte in der Größe etwa den noch vorhandenen Grün-Wählern entsprechen und sich mit der Klientel der Piratenpartei überschneiden. In diesem Umfeld ist Privacy zwar ein zentrales Motiv, erreicht aber nur einen kleinen Teil der Wählerschaft - zu wenig, um als politische Opposition effektiv und vor allem schnell etwas zu bewirken. Einen organisierten politischen Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung oder gegen das Ökosystem, das sie hervorgebracht hat, gibt es demnach nicht: Kritiker sind zwar Verbündete, im Wirken aber dennoch Einzelkämpfer und im medialen Spiel so etwas wie die Quoten-Afrikaner des US-Kinos. Tatsächlich werden Konstrukte wie die Vorratsdatenspeicherung praktisch so gut wie keinen Einfluß auf das Alltagsleben haben, ihr Vorhandensein wird aber das Leben verändern. Und zwar sowohl das von ein paar Kleinkriminellen, die sich schon statistisch im Netz verfangen müssen, als auch das aller anderen, die nicht halb so unbeobachtet sterben dürfen, wie sie geboren wurden.

Jeder Zorn verflüchtigt sich letztlich ins Leere, ob er sich nun gegen einen unerwarteten Schneesturm oder die Observierung des Alltags richtet. Weil man nicht bei jedem Gewitter Antidepressiva einwerfen kann, wird das Vakuum früher oder später zur eleganten Selbstverständlichkeit. Man spannt einen Schirm auf, wenn es regnet, und wenn es gewittert, dann hält man ihn in der rechten Hand, damit der Blitz nicht durchs Herz in den Boden fährt. Die Überwachungsindustrie hat die Eigendynamik eines Sturmes, und was die Kritiker tun, ist Silberjodid über den Hagelgebieten abzuwerfen. Doch auch so können sie den Hurrikan ganz offensichtlich nicht von seinem Weg abbringen. Dazu sind schon viel zu viele Dinge in Gang gesetzt worden - und nicht zuletzt gibt es eine Generation, die möglicherweise ein völlig anderes Bild von Privatsphäre und Datenschutz entwickelt hat, weil sie die alte Welt, in der Öffentliches und Privates durch Wänden und Türen getrennt wurden, nicht mehr kennt.

Nur knapp eine Handvoll der Millionen Facebook-User hat offenbar etwas gegen die auf dem Planeten Zuckerberg gelebte Datenschutzpraxis einzuwenden. Für die Mehrheit scheint sie akzeptabel zu sein; andernfalls würde sie die Aktionen von Einzelkämpfern wie Max Schrems, der Facebook in Irland in die Knie zwingen will, damit unterstützen, die Plattform nicht mehr zu nutzen. Sollte eine (schweigende) Mehrheit kein Problem mit den Geschäftsbedingungen der Gratis-Plattform haben, werden die Kritiker das zur Kenntnis nehmen müssen. Ob  der Börsengang daran etwas ändert, hängt nicht zuletzt von den Revoluzzer-Ambitionen der Aktionäre ab.

 

        


Die "Big Brother"-Fernsehgroteske, die uns seit 1999 in diversen Ausgeburten verfolgt, hatte vergleichsweise wenig mit ihrem Namensgeber zu tun. Ihr ursprünglich geplanter Titel "The Golden Cage" wäre zutreffender gewesen - und auch eine weitaus bessere Metapher für die alltägliche Überwachung, als es der Große Bruder mit seiner Militärdoktrin im neoliberalen Westen sein könnte. Tatsächlich ist die Informationsgesellschaft eben erst in die Pubertät gekommen und wundert sich noch ein bißchen über die Haare zwischen ihren Beinen. Ihre Verstörtheit wird sich legen, und wenn sie dann zu wissen glaubt, wie alles richtig zusammenpaßt, wird sie sich vermutlich schon wieder mit neuen Ansichten einer jüngeren Generation auseinandersetzen müssen.

Daten, das ist einer der Wesenszüge der Online-Welt, werden nicht alt, sondern veralten nur. Aber ihre Nutzer tun beides.

Chris Haderer

Unzufrieden mit dem behördlichen Datenvorrat?

Links zu Aktionen und Protesten


Die ARGE Daten hat die Initiative "Datenauskunft" gestartet: Telefonie- und Internet-Kunden sollen ihre Anbieter gemäß dem Datenschutzgesetz um Auskunft bitten, welche Daten von ihnen gespeichert sind. Der bürokratische Aufwand, den solche Anfragen naturgemäß nach sich ziehen, ist für Hans Zeger (Bild links), Chef der ARGE Daten, so etwas wie ein kleiner Protest - ein ganz legaler sogar, denn die Auskunftspflicht ist im Datenschutzgesetz verankert. "Eine Anfrage kostet nichts und muß innerhalb von acht Wochen beantwortet werden", sagt Hans Zeger. Auf ihrer Homepage  bietet die ARGE Daten entsprechende Briefvorlagen an, die um persönliche Informationen ergänzt, ausgedruckt und eingeschrieben an den jeweiligen Datenverarbeiter geschickt werden können.

Wer sein Mißfallen an der Datenverarbeitung öffentlich zum Ausdruck bringen will, hat noch weitere Möglichkeiten. Der Arbeitskreis Vorratsdaten strebt derzeit eine Verfassungsklage an, die allerdings eine schriftliche Zustimmung erfordert. Auch eine Online-Petition wartet auf Unterschriften.

Links:

Außer Kontrolle

Privacy-Lessons bei der ARS ELECTRONICA


In Kooperation mit dem FH Campus Hagenberg hat die Linzer Ars Electronica vorige Woche die Ausstellung „Außer Kontrolle - was das Netz über dich weiß“ eröffnet. Die bis Ende 2012 laufende Show thematisiert in Form zahlreicher Installationen die zahlreichen "Privacy Leaks" im Internet sowie die vielfältigen Überwachungsmöglichkeiten im Online-Universum. Flankiert wird die täglich begehbare Ausstellung von einer Reihe von Vorträgen im Ars Electronica Center (siehe Infokasten). Eine der Installationen, die sich mit der Vorratsdatenspeicherung auseinandersetzt, kann automatisiert DSG-Auskunftsanfragen an Behörden ausdrucken. "Wir hatten vergangenes Jahr mehr als 180.000 Besucher im Ars Electronica Center", sagt Gerfried Stocker (Bild links), künstlerischer Leiter der Ars Electronica. "Wenn wir die heuer dazu animieren können, alle hier auf ENTER zu drücken, dann ..."

 

Im Umfeld der aktuellen Ausstellung "Außer Kontrolle" bietet die Ars Electronica in Zusammenarbeit mit dem FH Campus Hagenberg auch eine Reihe von Vorträgen und Workshops an. Bis zum Sommer sind folgende Veranstaltungen geplant:

 
Sa., 16. 6. 2012, 16 Uhr: Vorratsdatenspeicherung. Referent: Peter Burgstaller (Department Sichere Informationssysteme der FH OÖ Campus Hagenberg).
So., 17. 6. 2012, 16 Uhr: Smartphone-Sicherheit für jedermann. Referent: Robert Kolmhofer (Department Sichere Informationssysteme der FH OÖ Campus Hagenberg).
Do., 28. 6. 2012, 18.30 Uhr: Welche Spuren hinterlassen wir im Internet? Referent: Markus Zeilinger (Department Sichere Informationssysteme der FH OÖ Campus Hagenberg).
Do., 12 .7. 2012, 18.30 Uhr: Smartphone-Sicherheit für jedermann. Referent: Robert Kolmhofer (Department Sichere Informationssysteme der FH OÖ Campus Hagenberg).

 

Veranstaltungsort ist das Ars Electronica Center. Das Ars Electronica Festival wird heuer vom 30. August bis 3. September in Linz über die Bühne gehen und unter dem Motto "The Big Picture" stehen.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Ausweiskontrolle

Wie wir die NSA verwirrten ...

Im Internet sind die Lauscher immer und überall. Digitale Selbstverteidigung ist angesagt. Die notwendigen Tips gibt Steffan Heuer in seinem Buch "Mich kriegt ihr nicht!"  

Kolumnen
Ausweiskontrolle

The All American Big Data Online Election Show

Big Data und Social Media halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ihnen verdankt Barack Obama seine zweite US-Präsidentschaft.  

Kino
Star Trek - Into Darkness

Phaserschmeichler

Zum zweiten Mal hat Regisseur J. J. Abrams den Motor der "Enterprise" angeworfen und sie auf eine für den Titel "Into Darkness" eigentlich recht gut ausgeleuchtete Reise geschickt. Chris Haderer ist eine Runde mitgeflogen.  

Termine
Festival des gescheiterten Films

Die große Show der tragisch Gescheiterten

Vom 8. bis 15. Februar geht das "Festival des gescheiterten Films" in den Breitenseer Lichtspielen vor Anker. Gezeigt werden Filme, für die es leider keinen kommerziellen Markt zu geben scheint.  

Termine
"Big Brother Awards" 2012

Name them & shame them!

Am 25. Oktober werden im Wiener Rabenhof die 14. "Big Brother Awards" verliehen. Traditionell finden sich unter den Nominierten illustre Namen von Beatrix Karl bis Marie Vassilakou.  

Kino
Die Wand

Bergsee mit Wand

Regisseur Julian Roman Pölsler hat sich an der Verfilmung von Marlen Haushofers "Die Wand" versucht - und ein schön photographiertes Hörbuch abgeliefert.