Musik_Drei Diven im Theater an der Wien

Barocke Rivalitäten

Eine Rezension, die sich mit insgesamt drei Aufführungen befaßt, ist geradezu eine Aufforderung zu Vergleichen - zwischen angeblichen Primadonnen eines Duo-Konzerts und einer konzertanten Opernaufführung sowie einer beinahe 70jährigen Sängerin in einer szenischen Produktion. Die jüngeren Damen kommen dabei nicht wirklich gut weg ...    13.02.2015

Anläßlich einer Promotion-Tournee gaben Simone Kermes und Vivica Genaux einen Auftritt im Theater an der Wien, um ihre CD mit dem gleichnamigen Titel "Baroque Rivalries (Der Divenkrieg)" zu präsentieren. So schätzenswert die Sängerinnen auch sein mögen - die Aufführung machte nicht wirklich Lust darauf, besagten Tonträger in die Sammlung aufzunehmen.

 Von einem "normalen" Barockkonzert war dieser Abend Lichtjahre entfernt. Laut Programmheft sollte die Darbietung ein Remake der Animositäten und Eifersüchteleien der Barock-Primadonnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni darstellen (wobei fraglich ist, ob die Damen tatsächlich ein Duett mit Boxhandschuhen gesungen haben, so wie in diesem Konzert ...). In Wahrheit bekam man eine "Performance" mit Kabarett-Charakter geboten, bei der die musikalische Bedeutung der Barockarien und -duette komplett unterging. Es rutscht sehr rasch ins Lächerliche ab, wenn eine Sängerin zu einer Händel-Arie tänzelt wie zu einer Zumba-Choreographie.

Zusätzlich war das Duo Kermes/Genaux nicht wirklich auf Primadonnenniveau. Beide haben zwar hervorragende Stimmen, doch die von Genaux ist etwas klein, während die von Kermes zwar alle Lagen beherrschte, aber leider nicht intensiv und tragfähig genug war. Bezeichnend für den Abend war, daß die Medleys von Queen und Abba als Zugaben am besten gelungen und hervorragend instrumentiert waren; da hörte man auch nicht so viele Unsauberkeiten des Ensembles Gabetta wie bei den Barocknummern.

 

Eine Woche später gab es - ebenfalls an der Wien - die konzertante Produktion eines selten gespielten Spätwerks des französischen Komponisten Charles Gounod zu sehen und hören. Das Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer und der grandiose Chor des Bayerischen Rundfunks stellten die interessante Oper "Cinq-Mars" vor. Der Komponist beeindruckt darin mit interessanten Chornummern, in denen der Herrenchor dominiert. Bei den Arien und Ensembles erkennt man typische Gounodsche Melodien, die leider oft im Ansatz abrissen; dafür hörte man teilweise überlange Rezitative. Kaum zu glauben, daß Gounod fast 20 Jahre vorher seine Meisteroper "Faust" komponiert hatte, in der ein "Ohrwurm" den anderen ablöst.

Die konzertante Aufführung war allerdings auf höchstem Niveau. Vor allem Orchester/Chor und Dirigent sowie einige Nebenrollen stachen hervor, allen voran der exzellente Sopran von Norma Nahoun und der Bariton von Tassis Christoyannis. Weniger überzeugend waren die beiden Protagonisten Véronique Gens als Marie und der Tenor von Charles Castronovo als Cinq-Mars.

 

Ganz anders ging es bei der szenischen Produktion von Bellinis musikalischem Melodram "La Straniera" ("Die Fremde") zu, wo eine beinahe 70jährige Dame weit jüngere Sänger locker in den Schatten stellte. Edita Gruberova ist und war schon immer ein Phänomen. Abgesehen von ein paar Unarten (geschliffene Töne, ganz selten schrille Höhen) besitzt sie noch immer ihre gewohnte Schlagkraft. Sie beherrschte und dominierte in den beiden Akten das Geschehen und ließ die Zuseher gnädigerweise Christof Loys oft eigenartige Inszenierung vergessen.

Viele Regisseure sind offenbar vom (vor allem deutschen) Feuilleton getrieben und glauben, daß sie erst dann anerkannt werden, wenn man das Werk und die Absichten des Komponisten bzw. Librettisten nicht mehr erkennt. Und oft muß als Ergebnis einer solchen Einfallslosigkeit ein überbordender Symbolismus herhalten, der wie bei der "Straniera" leicht ins Lächerliche abrutscht (beispielsweise die unbeholfene Kulissenschieberei und das infantile Hantieren mit den Seilen).

Wenigstens war man musikalisch bestens bedient - nicht nur von der Gruberova, sondern von allen Beteiligten. Hervorheben muß man aber Franco Vasallo, den man als einen der (leider) wenigen hervorragenden italienischen Baritone nennen kann. Exzellent waren auch Chor und Orchester, dank derer man Bellini in bester Qualität erleben durfte.

Herbert Hiess

Baroque Rivalries

ØØØ

Barocke Arien und Duette

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Capella Gabetta/Andrés Gabetta

 

Simone Kermes, Sopran

Vivica Genaux, Mezzosopran

 

Konzert am 20. Jänner 2015 im Theater an der Wien

 

(Photo: Gregor Hohenberg/Sony Classical)

Links:

La Straniera

ØØØØØ

Melodramma in zwei Akten von Vincenzo Bellini

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Christof Loy, Regie

 

Arnold Schoenberg Chor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien/Paolo Arrivabeni

 

Solisten: Edita Gruberova, Dario Schmunck, Theresa Kronthaler, Franco Vassallo u. a.

 

Premiere: 14. Jänner 2015

Reprisen: 16., 18., 22., 24., 26 und 28. Jänner 2015

 

Theater an der Wien

 

(Photo: Monika Rittershaus)

Links:

Cinq-Mars

ØØØØ 1/2

Drama Lyrique in vier Akten von Charles Gounod

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Chor des Bayerischen Rundfunks

Münchner Rundfunkorchester/Ulf Schirmer

 

Solisten: Véronique Gens, Charles Castronovo, Tassis Christoyannis u. a.

 

Konzert am 27. Jänner 2015 im Theater an der Wien

Links:

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