Musik_Tonträger-Neuheiten

Freudiges Wiederhören

Ein Blick auf die Neuerscheinungslisten lohnt sich - auch wenn die Zahl der tatsächlich interessanten Produktionen immer spärlicher wird. Diesmal können sich Musikfreunde aber tatsächlich freuen, da nach langjähriger Abstinenz eine Neuaufnahme mit Seiji Ozawa erschien.    12.10.2015

"Die Entführung aus dem Serail" von Wolfgang Amadeus Mozart ist bei aller vordergründigen Leichtigkeit eines der schwierigsten Werke der Musikliteratur. Und das gilt nicht nur inhaltlich und musikalisch - das Singspiel stellt an Orchester, Dirigenten und die fünf Solisten höchste technische Anforderungen. Da nützt es nichts, wenn ein hervorragendes Chamber Orchestra of Europe unter dem brillanten Yannick Nézet-Séguin erstklassig musiziert, wenn die Hauptrollen fragwürdig bis falsch besetzt sind. Diana Damrau mag sicher einmal ein hervorragender Koloratursopran fürs lyrische Fach gewesen sein; die Ausflüge ins Mittel- bis ins dramatische Fach haben ihr aber hörbar nicht gut getan. Die wirklich lyrischen Passagen klingen bei ihr gut und interessant, während die schwierigen Koloraturteile (vor allem in der "Martern"-Arie) dem Hörer nur brutale Anstrengung vermitteln. Da ist Rolando Villazon als Belmonte schon besser, obwohl das auch nicht sein Fach ist. Anna Prohaska ist ein braves Blondchen; auf der vorliegenden Aufnahme können jedoch nur Paul Schweinester als Pedrillo und Franz-Josef Selig als Osmin überzeugen. Thomas Quasthoff in der Sprechrolle des Selim Bassa ist eine nette Draufgabe, mehr nicht. Leider gibt es auf CD keine wirklich guten Produktionen der "Entführung" ... und es ist schade, daß diese Neuaufnahme Lichtjahre von der grandiosen Solti-Produktion aus Wien entfernt ist.

Valery Gergiev ist mit seinem Londoner Orchester und dem Mariinski-Orchester sehr umtriebig. Immer wieder erfreut er Musikfreunde mit interessanten Neuerscheinungen. Mit den Londonern setzte er den Rachmaninow-Zyklus fort (Symphonie Nr. 3 und ein Werk von Balakirew), während er mit dem St. Petersburger Orchester drei interessante Werke für Klavier und Orchester für die Nachwelt festhielt.

Denis Matsuev, ein Freund von Masetro Gergiev, führt auf "Russische Klavierwerke für Klavier und Orchester" an drei äußerst schwierigen Werken vor, daß für ihn Technik und Geläufigkeit offenbar das Normalste auf der Welt sind. Bei Rachmaninow und Strawinsky hört man neben dem brillanten Mariinski-Orchester russische Musik auf Weltklasseniveau. Daß Gergiev ein absoluter Schtschedrin-Fan ist, sieht man schon daran, daß der Name regelmäßig bei seinen Konzertprogrammen und auch Aufnahmen vorkommt - also auch auf dieser CD. Ob man die Musik des Komponisten mag, muß jeder selber beurteilen.

Ein langersehntes Wiederhören gibt es mit dem Dirigenten Seiji Ozawa, der am 1. September 2015 seinen 80. Geburtstag feierte - und eine schwierige Krebserkrankung anscheinend (und hoffentlich) überstanden hat. Für Universal hat er mit seinem geliebten Saito-Kinen-Orchester die Ravel-Einakter (mit vielen jazzigen Elementen) "L´Enfant et les Sortilèges", "Shéhérazade" und "Alborada del gracioso" eingespielt. Ravel war schon immer ein Lieblingskomponist Ozawas; besser hätte er seinen Wiedereinstieg in die Musikwelt also gar nicht zelebrieren können. Eine Aufnahme vom Allerfeinsten und hoffentlich die erste von noch vielen.

Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle die Ozawa-25-CD-Box von Warner (vormals EMI), die viele Referenzaufnahmen des berühmten Dirigenten beinhaltet, zum Beispiel Leoš Janáčeks "Sinfonietta", Strawinskys "Feuervogel" usw. Hier kommen die wichtigsten Orchester und Solisten vor, mit denen der japanische Maestro je zusammengearbeitet hat; daher ist die Box für seine Fans eigentlich ein Muß!

John Eliot Gardiner setzt mit dem London Symphony Orchestra seinen Mendelssohn-Zyklus fort. Nach der 3. Symphonie ("Schottische") liegt nun die "Reformationssymphonie" vor, die 5. in D-Dur. Der Rest der CD wurde mit anderen Orchesterwerken wie etwa "Meeresstille und glückliche Fahrt" gefüllt. Damit kann der britische Maestro nahtlos an seinen Erfolg mit dem Vorgänger anknüpfen - und wir erwarten gespannt seine Neuaufnahmen der restlichen drei Symphonien.

Herbert Hiess

Wolfgang Amadeus Mozart - Die Entführung aus dem Serail

ØØØØ

Singspiel in zwei Akten

Leserbewertung: (bewerten)

Solisten: Diana Damrau, Anna Prohaska, Rolando Villazon, Franz-Josef Selig, Paul Schweinester, Thomas Quasthoff (Selim Bassa/Sprechrolle)

 

Chamber Orchestra of Europe/Yannick Nézet-Séguin

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2015)

Links:

Rachmaninow/Balakirew

ØØØØØ

Symphonische Werke

Leserbewertung: (bewerten)

Sergej Rachmaninow: Symphonie Nr. 3 in e-moll

Mili A. Balakirew: Russia

 

London Symphony Orchestra/Valery Gergiev

 

LSO Live (GB 2015)

Links:

Russische Klavierwerke für Klavier und Orchester

ØØØØØ

div. Komponisten

Leserbewertung: (bewerten)

Strawinsky/Schtschedrin/Rachmaninow: Werke für Klavier und Orchester

 

Denis Matsuev, Klavier

Mariinski-Orchester/Valery Gergiev

 

 

Mariinski Label/Rußland 2015

Links:

Maurice Ravel - Einakter etc.

ØØØØØ

div. Werke für Orchester/Gesang etc.

Leserbewertung: (bewerten)

L´Enfant et les sortilèges

Shéhérazade

Alborada del Gracioso

 

div. Solisten

Saito Kinen Orchestra/Seiji Ozawa

 

Decca/Universal (D 2015)

Links:

Seiji Ozawa

ØØØØØ

Sämtliche Warner-Aufnahmen

Leserbewertung: (bewerten)

div. Orchester und Solisten/Seiji Ozawa

 

25-CD-Box

 

Warner (D 2015)

Links:

Felix Mendelssohn Bartholdy: Reformation

ØØØØØ

div. Werke für Orchester

Leserbewertung: (bewerten)

Symphonie Nr. 5 in D-Dur "Reformationssymphonie"

Meeresstille und glückliche Fahrt

Ruy Blas

 

London Symphony Orchestra/John Eliot Gardiner

 

LSO Live (GB 2015)

Links:

Kommentare_

Musik
Weihnachtliche Musiktips im Corona-Jahr

Geschenktips für Klassikfreunde

Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.  

Musik
Orchesterkonzert der Wiener Philharmoniker

Seltsame Zeiten

Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.  

Print
Rudolf Buchbinder im Interview

Reise durch den Beethoven-Kosmos

Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.  

Musik
Wiederaufnahme in der Berliner Staatsoper

Carmen in der Corona-Krise

Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.  

Stories
"Der Vorname" in den Kammerspielen

Makabre Wohnzimmerkomödie

Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.  

Musik
Last-Minute-Ideen für Klassikliebhaber

Weihnachtliche CD-Tips aus Wien

Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.