Musik_Teufelskreis - Lust Frust

Turn, Motherfucker, Turn!

Ein Teufelskreis ist bekanntlich eine ausweglose Situation, bei der sich Ursache und Wirkung einer Sache gegenseitig verstärken. Bei der gleichnamigen Wiener Metal-Band ist das nicht unähnlich - bloß die Situation ist nicht ganz so aussichtslos. Claudia Jusits präsentiert einen kurzen Abriß der Band-History, nebst Ausblick in die unmittelbare Zukunft.    31.10.2012

"Der Mangel verleiht dem Begehren Dauer - Erfüllung ist der Feind der Sehnsucht." (E. M. Remarque)


"Danke, Satan!" (Bart Simpson)

 


Die 2005 von Gitarrist und Mastermind Friedl "Belze" Schütz ins Leben gerufene Band Teufelskreis brauchte immerhin anstrengende drei Jahre, bis eine tragfähige Gruppenstruktur gefunden war, die 2008 den ersten Longplayer "Spuren der Vergangenheit" möglich machte. Mit seinem langjährigen Mitstreiter und Tieftöner Chris "Dieselchrist", Rawman am Schlagwerk und Ronny "Mephisto", einem der begnadetsten heimischen Shouter, war die Besetzungsliste dann endlich komplett.
"Spuren der Vergangenheit" eröffnet mit einem berührenden Prolog aus dem Film "Der Gejagte", einem Plädoyer für Gewaltprävention per se. Damit gibt es zwar einen thematischen Vorgeschmack, aber danach ist es mit der Nachdenklichkeit - zumindest musikalisch - vorbei. Teufelskreis warten mit einem exzellenten Mix aus zeitgemäßem Heavy Metal und Thrash-Versatzstücken auf. Das handwerkliche Können der Band steht außer Frage, verliert sich aber nie in selbstverliebten Endlosschleifen instrumentaler Soloeskapaden. Der Teufelskreis-Sound bleibt durchgehend kompromißlos hart und liefert damit die Basis für die gelungenen Hooklines, die besonders im Live-Modus die Zuhörerschaft zu spontaner Mitarbeit mehr als motivieren. Friedl Schütz selbst bezeichnet "Spuren der Vergangenheit" als "ein wahres Juwel österreichischer Volksmusik" - eine durchaus kritische Positionierung in einem medialen Umfeld, das leider immer noch Schwellenlandstatus hat, was Produktionen der härteren Gangart betrifft.
Nichtsdestotrotz begibt sich der Teufelskreis auf die Reise und absolviert neben Auftritten im Mulatschag-TV eine ausgedehnte Beisl-Tour durch alle 23 Wiener Bezirke, um sich fortan mit Fug und Recht als "Wiener Band" zu bezeichnen. Einen Einblick in die auf diese Weise gewonnen Erfahrungen gewährt das 2011 veröffentlichte Album "Unplugged".
Das Frühjahr 2012 bringt der heimischen Menschheit dann nicht nur die lange vermißten angenehmeren Temperaturen, sondern beschert dem Teufelskreis auch einen neuen Schlagwerker: Ab sofort gibt Mike, der Mikenator, den Takt vor.

 
Apropos "Mulatschag" - wie man weiß, handelt es es sich hierbei um einen spezifisch ungarischen Festtypus. Weniger bekannt ist, daß eine richtige Mulatschag erst nach einigen Tagen ihren Ausklang findet, nachdem alle Beteiligten einen sagenhaft hohen Alkoholisierungsgrad erreicht haben. Das traditionelle Ende einer Mulatschag besteht in einem gemeinschaftlichen Sprung in eine Baßgeige, was heutzutage mit einem schnöden Modell aus Sperrholz exekutiert wirdDie überbordende Begeisterung, die bei einer solchen Veranstaltung herrscht, läßt sich nach meinen Erfahrungen ohne weiteres mit der grundsätzlichen Ausrichtung der Band assoziieren. Das intellektuelle Äquivalent dazu - und darum dreht sich alles beim Teufelskreis - ist das Erkennen einer Lebensrealität, die von Gewalt geprägt, aber nicht zerstört wurde..
Dem Mut, die eigene Verletzlichkeit aufzuzeigen und sich gleichermaßen dafür einzusetzen, daß gerade dieser Teufelskreis von erlebter und weitergegebener Aggression durchbrochen werden muß, darf man Respekt zollen. Besonders, was den psychischen und physischen Mißbrauch von Kindern betrifft, ist es ein Anliegen der Band, öffentlich für diverse Hilfsorganisationen einzutreten und diese mit Erlösen aus den CD-Verkäufen auch finanziell zu unterstützen.

 
Es wäre zu weit gegriffen, hier das Postulat für ein völlig neues männliches Rollenverständnis herauslesen zu wollen, aber für mich persönlich war es eine schöne Sache, dass gestandene Metal-Musiker ihre Kinder ins Studio mitnehmen, ohne daß die Muttis abholbereit vor der Tür stehen.Der dabei entstandene dritte - beziehungsweise der zweite nicht rein akustische - Streich trägt den Titel "Lust Frust". Die Herstellung erfolgte im Hinterhof Studio Vienna, das sich tatsächlich im Hinterhof eines Altottakringer Wohnhauses befindet, unweit der allseits bekannten Manner-Fabrik, daher auch der beständige süße Geruch in der Luft.
Betreut wurde die Produktion von den ganz hervorragenden Leuten der "Supercrew", die sich nicht gescheut haben, während der Aufnahmen diverse persönliche Grenzen nicht nur auszuloten, sondern auch zu überschreiten. Musikalisch und thematisch schließt "Lust Frust" an die "Spuren der Vergangenheit" an; das heißt, daß ein weiteres lautstarkes Einfordern verschiedener "Heilsversprechen" nebst adäquater musikalischer Vehemenz zu erwarten ist. Als instrumentales Novum spielt Peter Beinhofer einige Ziehharmonika-Licks, die mit dazu beitragen werden, ein weiteres "Juwel österreichischer Volksmusik" erleben zu können.

Präsentiert wurde das gute Stück am 27. Oktober 2012 in den ehrwürdigen Gewölben des Viper Room, wobei die Band von einigen Gastmusikern und -musikerinnen flankiert wurde - die sich allesamt zugute halten können, willentlich und wissentlich in diesen Teufelskreis eingetreten zu sein ...

Claudia Jusits

Im Teufelskreis

ØØØØ

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Kommentare_

Mike Hyde - 02.11.2012 : 15.45
Dieser Artikel über die Band sagt eigentlich so ziemlich viel über die Band u. die Musik aus und sehr treffend formuliert, obwohl für meinen Geschmack eine Spur zu intellektuell geschrieben.
Nur ist mir 1 kleiner Fehler aufgefallen: Der Drummer nennt sich nicht Mikenator sondern Mike Hyde od. nur Mr. Hyde ;–)

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