Musik_Richard Strauss/Staatsoper & Joyce DiDonato/Theater an der Wien

Primadonnen im Klangrausch

Erstmals berichtet der EVOLVER-Klassikexperte aus der Wiener Staatsoper - von einer denkwürdigen Strauss-Aufführung im normalen Repertoire, bei der Christian Thielemann den längst vergessen geglaubten Glanz zurückbrachte. Im Theater an der Wien durfte man hingegen wieder die amerikanische Primadonna Joyce DiDonato - diesmal in Händels "Alcina" - hören.    27.10.2014

 

Das Theater an der Wien bewies wieder einmal das richtige Gespür und buchte The English Concert im Rahmen von deren Oktober-Tour, die bis in die New Yorker Carnegie Hall führte. Als das exzellente Ensemble am 17. Oktober in Wien Station machte, brillierte es mit Georg Friedrich Händels "Alcina". Als "Aufputz" hatte es noch dazu die amerikanische Sängerin Joyce DiDonato dabei, die den Abend mit Weltklasse-Flair versah.

Die Oper von geradezu Wagnerschen Ausmaßen (vier Stunden mit zwei Pausen!) ließ trotz ihrer Länge dank der großartigen Musiker die Zeit schnell verfliegen. Händel hat aus der eher banalen und langatmigen Märchen-Story um die Zauberin Alcina, die einen Mann nach dem anderen in ihren Bann zieht, ein musikalisches Gesamtkunstwerk gemacht. Vor allem die Soloinstrumente des englischen Orchesters kamen brillant zur Geltung, allen voran die Violine von Nadja Zwiener und das Violoncello von Joseph Crouch. Harry Bicket dirigierte äußerst einfühlsam vom Cembalo aus.

Die frauendominierte Sängerriege wurde von DiDonato eindeutig überstrahlt. Die extrem charismatische Diva kam in einer spektakulären anthrazitfarbenen Robe auf die Bühne und präsentierte noch dazu einen (eleganten) Irokesenschnitt. Spektakulär war auch ihre sängerische Leistung: Mit ihrer glanzvollen Stimme und einer äußerst sensiblen Phrasierung und Artikulation machte sie aus dem Konzertpodium ihre eigene Bühne. Sogar mit ihrem Gesichtsausdruck interpretierte sie Händels Noten ...

Großartig waren auch die anderen Solisten, wobei Anna Christy als Morgana und Alice Coote als Ruggiero besonders hervorzuheben sind. Es war herrlich, wie Coote die klangzauberhafte Arie "Verdi Prati" zelebrierte.

 

Ein paar Tage später durfte der EVOLVER-Klassikexperte die vorletzte Aufführung von Richard Strauss´ Meisterwerk "Ariadne auf Naxos" besuchen und erfreut feststellen, daß es in Wien oder Salzburg jahrzehntelang keine derartige musikalische Leistung mehr gegeben hat.

Was Christian Thielemann gemeinsam mit den Philharmonikern und dem erlesenen Sängerensemble hier abgeliefert hat, kann man nur als "Jahrhundertereignis" bezeichnen. Strauss´ Meisterwerk für das Kammerorchester, das um die 30 Musiker umfaßt, klang hier stellenweise, als würde ein 100-Mann-Orchester aufspielen. Der Maestro verstand es, jede Nuance und Phrasierung auszukosten; intelligente Rubati rundeten das (Klang-)Bild ab. Ob Konzertmeister Rainer Küchl oder die anderen Instrumentalisten - der Komponist hat jedes Instrument vor enorme Herausforderungen gestellt, die die genialen Musiker jedoch ohne Probleme meisterten. Die Aufführung war ein mehr als zweistündiges Klangbad, das man gar nicht mehr verlassen wollte.

 

Thielemann war den großartigen Sängern ein exzellenter Begleiter und gestaltete mit ihnen die Partitur, ohne sie jemals klanglich zuzudecken. Ob Solie Isokoski als schmerzvolle Primadonna und Ariadne, Daniela Fally als liebliche und perfekte Zerbinetta (der man gern die Schärfen in den Höhen verzeiht!) oder Johan Botha als heldenhafter Bacchus - sämtliche Stimmen waren absolut beeindruckend.

Sven-Eric Bechtolfs Regie überzeugte durch Intelligenz und Pointenreichtum, stets mit einer Prise Sarkasmus gegenüber der Kunst- und Theaterwelt und dem Wiener Habitus versetzt. Die Ideen des Regisseurs wurden hervorragend umgesetzt, unter anderem durch den Schauspieler Peter Matic, der hier als süffisanter und arroganter Haushofmeister in Erscheinung trat.

 Besser als so kann man sich Strauss´ Meisterwerk wirklich nicht wünschen. An diese Aufführung wird man sicher noch lange denken ...

Herbert Hiess

Georg Friedrich Händel - Alcina

ØØØØØ

Oper in drei Akten

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The English Concert/Harry Bicket

 

Solisten: Joyce DiDonato, Alice Coote, Anna Christy u. a.

 

konzertante Aufführung am 17. Oktober 2014 im Theater an der Wien

Links:

Richard Strauss - Ariadne auf Naxos

ØØØØØ

Oper in einem Akt nebst einem Vorspiel

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Orchester der Staatsoper Wien/Christian Thielemann

 

Regie: Sven-Eric Bechtolf

 

Solisten: Solie Isokoski, Daniela Fally, Sophie Koch, Jochen Schmeckenbecher u. a.

 

Aufführung am 21. Oktober 2014 in der Wiener Staatsoper

 

(Photos: Michael Pöhn)

Links:

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