Musik_Hank Williams

The Hillbilly Drifter

Er wurde keine 30 Jahre alt, doch seine Musik revolutionierte das Country-Genre und beeinflußte Künstler aller Stilrichtungen bis Rock und Punk. Nun ist eine Box mit 15 CDs plus einer DVD mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen erschienen.
Emmerich Thürmer über einen Mann, der selten nüchtern war, und stilgerecht auf dem Rücksitz seines weißen Cadillac starb.    12.02.2011

I love to have that gal around

Her biscuits are so nice and brown

Her pies and cakes beat all the rest

'Cause she bakes 'em all with Mother's Best ...

(Hank Williams' MB Radiojingle)

 

Hiram "Hank" King Williams Sr., geboren 1923 in Mount Olive West, Alabama, gestorben in der Silversternacht 1952/53 unterwegs zu einem Live-Gig: Neben Johnny Cash ist er die Ikone der Countrymusik schlechthin.

Während seines kurzen Lebens erschienen zwar nur zwei vollständige Alben ("Hank Williams sings ..." und "Moaning the Blues"), aber seine Singles, z.B. "Lovesick Blues" oder "Jambalaya", dominierten das Musikbusineß der späten Vierziger in den USA.

Der "Hillbilly-Shakespeare" verkaufte Millionen von Tonträgern, brillierte dank seines Charismas auf der Bühne und wurde zum Vorbild für Musiker aller Genres, von Cash über Bob Dylan und Bruce Springsteen bis zu den Electrotüftlern The Residents oder den Punkrockern von Social Distortion; 2010 wurde ihm postum der Pulitzer-Preis verleihen.

Sein Enkel Hank III - selbst erfolgreicher Musiker - kämpft bis heute darum, Williams wieder in die "Grand-Ole-Opry-Gemeinde" aufzunehmen: 1949 mußte er bei der Show sagenhafte sechs Zugaben spielen, wurde später aber wegen seiner Alkoholexzesse verstoßen.

Im Herbst 2010 veröffentlichen Time Life und Bear Family einen musikhistorischen Fund: Auf 15 CDs präsentieren die beiden Labels nun die kompletten "Mother's Best"-Radioaufnahmen von 1951.

 

Januar 1951, 7:15 in Nashville oder sonstwo im Mittleren Süden der Vereinigten Staaten. Der Lokalsender WSM beginnt auf Frequenz 650 seine Morgenshow zu senden, eine willkommene Abwechslung für die arbeitende Bevölkerung Amerikas, für Plantagenarbeiter oder Baumwollpflücker vor dem Autoradio, für Farmarbeiter im Stall oder bei der Stärkung in der Familienküche, für die Trucker auf ihrem rollenden Thron, aber auch für Angestellte und Shopbesitzer, die mit dem morgendlichen Programm vielleicht die Kundschaft zum Vertragsabschluß oder zum Kauf überreden wollen.

An einem Januarmorgen im Jahre 1951 startetet der unumstrittene Star der Grand Ole Opry seine erste Mother's Best-Morning-Show.

 

Damals galt für die Helden der Opry die vertragliche Regelung, daß sie Samstag Abend pünktlich und ohne Ausnahme ihre Shows auf der Opry-Stage zu spielen hatten, egal, wo sie die Woche über in den Staaten getourt hatten. Unter der Woche waren die Terminpläne der Countrymusiker zwar ebenso vollgepackt - Livegigs waren lukrativ -, aber es fanden sich schon auch noch andere Gelegenheiten, um sich etwas dazuzuverdienen.

Und für Hank Williams, der wie viele der damaligen Musiker noch ein Kind der "Great Depression" war, bedeutetet die Möglichkeit, für einen Sponsor Radioaufnahmen zu machen, einen wichtigen Nebenverdienst.

So unterschrieb er gerne bei "Mother's Best" und nahm 1951 - als inzwischen arrivierter Countrystar - für die Getreidefirma aus Alabama gezählte 72 Radio-Shows auf. Insgesamt entstand so Material von knapp 18 Stunden voller Musik, das zum Großteil bis heute unveröffentlicht blieb. Die Shows, die jeweils - wie damals üblich - eine Länge von 15 Minuten hatten, spielte er mit seiner eigenen Studioband ein.

 

Joseph Le Blanc, Erfinder des reichlich alkoholgetränkten Wundermittels "Hadacol" (neben Coca-Cola damals am erfolgreichsten), der 1948 sogar Senator in Louisiana wurde, verkündete als seine Erfolgsformel die Ingredienzien "Offenheit, Einfachheit, massive Werbung und schaustellerische Fähigkeit". Folgerichtig investierte er 1950 über eine Million Dollar pro Monat in Produktwerbung, wie etwa das Hank Williams-Sponsoring und die damit verbundenen "Caravan-Touren", bestehend aus einer Flotte von 15 Wagen, die durch 18 Staaten tingelte und seine Medizin per Musik unters Volk brachte.

Firmen aus dem Getreidegürtel und weiter unten im Süden Amerikas taten es ihm gleich. Der "King of Western Swing", Bob Willis, wurde beispielsweise von "Burrus Mill's Light Crust Doughboys" gesponsort, die Hillbilly-Größen Flatt And Scruggs von "Martha White Flour"; in Memphis rührte Slim Rhodes mit seinen "Mother's Best Mountaineers" die Werbetrommel - und "Mother's Best Brand" von der Alabama Flour Mill aus Decatur, Alabama köderte dann auch Hank Williams.

Für 100 verheißungsvolle Dollar für eine Woche mit fünf Shows (umgerechnet wären das heute etwas mehr als 600,- Euro) betraten Williams und seine Band gegen 9:30 Uhr das Studio B von WSM - das reguläre Radioprogramm war gerade beendet -, um dort die Show bis gegen Mittag vorzuproduzieren.

Mother's Best unterschrieb die Schecks, WSM stellte das Studio, den Techniker und den Radiosprecher, und Hank lieferte mit seiner Band Sound und gute Stimmung, den Mother's Best-Jingle inklusive. Diese Aufnahmen wurden auf 16-Inch-Acetat-Discs "geritzt" und später wie eine Live-Show ausgestrahlt; danach waren die Scheiben, die aus nur einer dünnen Lackoberfläche um einen Aluminiumkern bestanden, auch meist unbrauchbar.

 

Folglich landeten diese "Dünnlack-Auftritte" später im Müll oder verschwanden als Acetat-Schätze im Archiv, wo sie bald in Vergessenheit gerieten. Die Mother´s Best-Recordings tauchten aber glücklicherweise wieder auf. In den 70er-Jahren wurden sie von Les Leverett, einem WSM-Opry-Photographen und Hank-Williams-Verehrer vor der finalen Entsorgung gerettet.

Dieser moderne Indiana Jones der Countrymusik war es, der die Aufnahmen dann Hanks Tochter Jett Williams übergab. Allein dafür sollte jenem Mitarbeiter der Verdienstorden der "Country Music Hall Of Fame" verliehen werden. Leider folgten zunächst juristische Querelen: Jett mußte 2006, gemeinsam mit ihrem Bruder Hank Jr., erst einmal die Besitzrechte an den väterlichen Aufnahmen erstreiten. Es dauerte noch einige Zeit, aber schließlich bekam sie seites des Supreme Court die Genehmigung, jene Werke zu veröffentlichen.

 

Auf den 15 CDs finden sich viele bekannte Songs von Williams und anderen Countrygrößen, aber auch etliche Titel, die er sonst nie kommerziell aufgenommen hat. Bei den "Mother's Best"-Shows sind zudem alle Studiogespräche zu hören, mit Gästen, und Blödeleien zwischen den Bandmitgliedern.

Die DVD zeigt Jett Williams, wie sie Don Helms und Big Bill Lister (zwei der Mitglieder von Hanks damaliger Band "The Drifting Cowboys") interviewt; in einem 120seitiges Büchlein werden ausführlichen Informationen zu jeder einzelnen Show, unveröffentlichte Photos und eine Karte vom Tournee-Verlauf präsentiert. Gag am Rande: Das "Radio" hat einen funktionsfähigen Senderknopf, mit dem man sich bei WSM zu einem Hank Williams-Programm "zuschalten" kann.

Fazit: Ein Schatz - nicht nur für eingeschworene Fans der Country-Legende.

Emmerich Thürmer

Hank Williams: The Complete Mother’s Best Collection... plus!

ØØØØ

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Bear Family Records (2010)

 

15 CDs + eine DVD

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