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Schmauchspuren #58

Nach der jährlichen Kriminummer der BUCHKULTUR darf sich unser Kolumnist stets etwas abseitigeren Themen zuwenden - nur um dabei herauszufinden, daß es sowieso immer und überall um Verbrechen, Schuld und Detektivarbeit geht. Peter Hiess erweitert kurz den Horizont.    23.11.2016

Peter Hiess

Daniel Suarez - DAEMON/DARKNET/Kill Decision/Control

rororo 2011-2014

Leserbewertung: (bewerten)

Bei den vielen Büchern, die man als Profileser so zugeschickt bekommt, bleibt gelegentlich auch etwas liegen. Mit viel Glück landen manche Schätze im "Sollte ich demnächst reinschauen"-Regal und werden Monate später hervorgeholt, weil man gerade keine Neuerscheinungen mehr sehen kann ...

So erging es dem Verfasser dieser Zeilen mit "Kill Decision", das bereits seit April 2013 Buchstaub ansetzte und ihm durch seine ungewöhnliche Ausstattung - wenn Sie das Buch erwerben, werden Sie sehen, was gemeint ist - beim Stöbern auffiel. Eine längere Tour-Retour-Zugfahrt und fast 500 gierig umgeblätterte Seiten später ist klar: Daniel Suarez ist einer der weltbesten derzeit aktiven Cyberthriller-Autoren.

Außer vielleicht Marc Elsberg (lesen Sie unbedingt seinen aktuellen Roman "ZERO - Sie wissen, was du tust"!) schafft es keiner so wie Suarez, unsere voll digitalisierte, vernetzte Welt derart sachkundig und warnend zu beschreiben. In "Kill Decision" nimmt er sich des Themas Drohnen an, das nicht nur deswegen aktuell ist, weil der US-Friedensnobelpreisträger-Präsident Tag für Tag von diesen roboterisierten Mordwerkzeugen Menschen in aller Welt umbringen läßt. Nein, Drohnen befinden sich natürlich mehr und mehr auch in der Hand privater Firmen: Amazon will besonders zahlungskräftigen Kunden Pakete damit zustellen; Google benützt sie zur Erweiterung seiner Landkarten; Söldner- und Waffenkonzerne vermieten sie an jeden Diktator, der sie sich leisten kann. Bei Suarez ist eine Verschwörung der üblichen superreichen Verbrecher auf dem besten Weg, autonome Drohnen in die Welt zu schleusen, also Maschinen, die nach dem Muster der Schwarmintelligenz besonders aggressiver Ameisen funktionieren und selbst entscheiden, wann sie wen ermorden. Dazu inszenieren die konspirativen Kräfte "Terroranschläge" in den USA, beseitigen sämtliche Mitwisser, manipulieren die Medien, die sowieso auch in Wirklichkeit nur mehr das verkünden, was die Herrschenden wünschen (besonders entlarvend ist Suarez´ Abhandlung darüber, daß selbst die angeblich so demokratischen "Social Media" längst dazu benützt werden, Meinung zu machen, Wahlen zu manipulieren und Produkte zu verkaufen). Nur eine auf sich allein gestellte Superspezialtruppe und eine Insektenforscherin können die Machtergreifung der Killermaschinen aufhalten ... und das ist es, was in diesem Buch noch am ehesten an Science Fiction erinnert.

Ebenso verhält es sich in "DAEMON: Die Welt ist nur ein Spiel", dem Debütroman des ehemaligen Software-Entwicklers, und dessen ebenso packender Fortsetzung "DARKNET": Ein Computergenie läßt darin kurz vor seinem Krebstod einen Virus mit seiner Persönlichkeit ins Netz los und beginnt dann, aus dem Jenseits die Diktatur der skrupellosen Manager, Politiker und wahren Mächtigen zu zerschlagen. Und im neuen Roman "Influx" (derzeit nur in englischer Sprache, ab Herbst auch auf deutsch unter dem Titel "Control" erhältlich) behandelt der Autor im Thrillerformat die Frage, was aus der Zukunft geworden ist, die man uns versprochen hat. Warum leben wir denn nicht längst alle in einer Welt des Wohlstands, haben den Krebs besiegt, werden uralt und fliegen im Urlaub zum Mars? Die Antwort: Eine Geheimbehörde unterdrückt mit brutaler Gewalt jeden echten technologischen Fortschritt - und läßt nur Dreck wie Smartphones und Facebook zu.

Kurz und gut: Entdecken Sie Daniel Suarez. Es lohnt sich.

Links:

Gemischtes Doppel


Paula Guran (Hrsg.) - Weird Detectives: Recent Investigations

Prime Books Trade Pb. 2013

 

F. Paul Wilson - Dark City

Tor Books 2013

 

Bei soviel Begeisterung bleibt nur mehr Platz für zwei Kurztips, die Sie erstens an die obskuren Vorlieben des Krimikolumnisten und zweitens daran erinnern sollen, daß man mehr im Original lesen sollte (weil nicht alles so gut übersetzt ist wie die Suarez-Thriller):

Die Anthologie "Weird Detectives: Recent Investigations" versammelt Kurzgeschichten über Ermittler, die auf übernatürliche Fälle, Monster aller Art und magische Morde spezialisiert sind - und sich bei ihrer Arbeit selbst oft parapsychologischer und ähnlicher Methoden bedienen. Die deduktive Vorgehensweise des guten alten Sherlock, der hier naturgemäß auch vorkommt, hatte ohnehin immer etwas Magisches an sich ... Jedenfalls: ein wunderbarer und amüsanter Einblick ins Genre der Urban Fantasy, mit Autoren wie Neil Gaiman, Charlaine Harris und Simon R. Greene.

In "Dark City" führt uns der US-Autor F. Paul Wilson noch einmal zu den Anfängen seines Romanhelden Repairman Jack (dt.: Handyman Jack) zurück, bevor er sich nach Jahrzehnten unermüdlicher Serienschreiberei endgültig von ihm verabschieden will. Nach "Cold City" erfährt der junge Jack im mittleren Band der Prequel-Trilogie - der sich sehr gut solo lesen läßt - mehr über die geheime Geschichte der Welt, die Wurzeln des Bösen, den Untergrund New Yorks und die erfolgversprechendsten Methoden, hart und gnadenlos das (oft auch übernatürlich inspirierte) Verbrechen zu bekämpfen. "Fear City" kann kommen. Und dann schauen wir, ob Wilson wirklich weg von Jack ist.

Links:

"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Links:

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