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Schmauchspuren #52

Der klassischste aller klassischen Hardboiled-Autoren: unerreicht. Mord im Altersheim: sehr weit oben. Ein Pilotenveteran auf Abenteuerreise: guter Flug. Der Rest: typischer Fall von "na ja". Findet jedenfalls unser Krimiexperte Peter Hiess.    11.05.2016

Peter Hiess

Raymond Chandler - Die Philip-Marlowe-Romane

Diogenes, 7 Tb. in Kassette 2013

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Fangen wir gleich am Gipfel an und arbeiten uns von dort talwärts: Zum x-ten Mal ist nun eine edle Raymond-Chandler-Buchkassette erschienen - diesmal ohne Kurzgeschichten, Essays und sonstiges, sondern "nur" mit den Philip-Marlowe-Romanen. Und zum x-ten Mal freut man sich auch als altgedienter Krimileser über die schönen und schön übersetzen Diogenes-Ausgaben, die einen dazu bringen, die Fälle des nach wie vor abgeklärtesten, sprachlich sattelfestesten, zynischsten und zugleich moralischsten aller Detektive noch einmal zu lesen. Schon um sich wieder in Erinnerung zu rufen, wie sehr Chandler alle seine Nachfolger beeinflußt hat. Oder daß Hammett zwar ebenfalls genial war, aber nicht so gut gealtert ist. Und vielleicht auch, um wieder einmal die Lieblingsverfilmungen in den DVD-Player zu legen: Robert Altmans großartiges Werk "Der Tod kennt keine Wiederkehr" mit Elliott Gould und Polanskis "Chinatown", zu dem Chandler garantiert das Drehbuch geschrieben hätte, wäre er noch am Leben gewesen.

Überlassen wir also dem Meister das Wort: "Er hielt ein leeres, verschmiertes Glas in der Hand. Es sah aus, als hätte jemand Goldfische darin gehalten."

Genau. I rest my case.

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Lisa Lercher - Mord im besten Alter

Haymon Tb. 2013

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Die österreichische Autorin Lisa Lercher, bekannt für ebenso zeitkritische wie witzige Krimis wie "Ausgedient", legt mit ihrem neuen Roman "Mord im besten Alter" keinen der leider immer so "angesagten" Regional-Nicht-Thriller vor, sondern ein Buch, das ein universales Thema anspricht, ohne dabei - vor allem sprachlich - aufs Lokalkolorit zu vergessen. Maja, die Protagonistin des Werks, ist trotz ihrer erst 68 Jahre (das Alter ist wahrscheinlich kein Zufall; die Hippie-Generation ist mehr als pensionsreif) bereits im Pflegeheim gelandet, wegen eines Unfalls und der bösen Verwandtschaft. Dort spielen sich die üblichen grauslichen Dinge ab, die man aus solchen Anstalten kennt: rücksichtslose Wärter, Ruhigstellen durch Medikamente, sparbuchgeile Intriganten usw. Als sich dann aber auch noch mysteriöse Todesfälle - angefangen vom Fenstersturz einer Behinderten - ereignen, wird Maya selbst ermittlerisch tätig. Und das nicht ohne Verve und schwarzen Humor. Sehr gelungen.

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Gerd Schilddorfer - Heiß

Hoffmann und Campe 2013

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Gelungen ist auch der aktuelle Krimi des Wiener Journalisten Gerd Schilddorfer um den auch längst im Rentenalter befindlichen Piloten und Tausendsassa John Finch, der in "Heiß" wieder auf eine halsbrecherische Reise rund um den Globus geht. Der Autor arbeitet mit den Mitteln des klassischen Abenteuerromans: ein uraltes Geheimnis, ein Mordversuch in der neuen Bibliothek von Alexandria, weitere grausame Morde im Hindukusch und in Berlin, Fremdenlegionäre und moralfreie Geldschweine, die mindestens die Weltherrschaft wollen. Das kann Schilddorfer so gut wie die amerikanischen Kollegen, inklusive spannender Flugeinlagen, guter ermittlerischer Ideen und romantischer Szenen. Liest sich flüssig, macht Lust auf mehr und ist im Detail nach spätestens zwei Wochen auch schon wieder vergessen. Aber immer noch besser als viele "ernste" Literatur, die einem gleich beim Lesen aus dem Kopf fällt ...

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Max Allan Collins - Seduction of the Innocent

Hard Case Crime (Titan Books) 2013

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Einer, der wahnsinnig gern mit dem angibt, was er im Kopf hat, ist Max Allan Collins - der US-Kriminalautor und vor allem Popkulturexperte, der viel zu oft in einer der Lieblingsreihen dieser Kolumne (erraten: Hard Case Crime) auftaucht. Diesmal allerdings nicht mit einem weiteren Buch um seinen Profikiller Quarry, sondern mit "Seduction of the Innocent", einem Schlüsselroman um die amerikanische Comicszene in den 50er Jahren und deren größten Feind. Der hieß Fredric Wertham und sorgte damals mit der Verleumdung der Bilderhefte als moralische Gefährdung für die Jugend für eine Jahrzehnte währende Comic-Zensur im Land der Freiheit. Bei Collins heißt der Mann Dr. Werner Frederick und steht auch hier einer Comics-Firma - geleitet natürlich von einer attraktiven Ex-Stripperin, zwischen coolen Cocktails und rotnasigen TV-Showmastern - im Weg. Und ein Mord passiert. Aber der spielt bei Collins eine viel unbedeutendere Rolle als das dauernde Zitieren und sein "Schaut, was ich alles weiß"-Prahlen. Sowas nervt und lenkt vom Plot ab. Bestenfalls für Tarantino-Fans mit zuviel Zeit geeignet.

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John Grisham - Das Komplott

Heyne 2013

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Warum man sich für die Gerichts- und Anwalts-Thriller des einst richtig lesenswerten John Grisham noch Zeit nehmen sollte, das fragt man sich auch bei seinem zirka 30. Buch "Das Komplott" wieder. Die Story um einen Anwalt, der wegen Geldwäsche selbst im Gefängnis sitzt und in das titelgebende Komplott verwickelt wird, bietet nichts Neues. Gut, Grisham findet das amerikanische Rechtssystem unsäglich, aber das tut ja inzwischen jeder Mensch mit Verstand. Nur lebt er halt indirekt immer noch davon - und das zumindest schreiberisch ziemlich lustlos. Bestseller fallen besonders tief.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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