Print_Jeffery Deaver - Todeszimmer

Im wahrsten Sinne des Wortes

Eine Wendung jagt die nächste im neuen Thriller des US-Erfolgsautors. Leider bleiben dabei die Figuren auf der Strecke.    24.09.2014

»Komm schon, Roberto. Wieso hackst du auf dem einen Land dieser Erde herum, in dem du all diese Dinge sagen kannst, ohne dafür in irgendeiner Gasse erschossen oder mitten in der Nacht in ein Geheimgefängnis verschleppt zu werden? Beruhige dich.«

 

Ganz so einzigartig, freiheitlich und beruhigend, wie Jeffery Deaver es in seinem neuen Thriller "Todeszimmer" gerne hätte, sind die Vereinigten Staaten von Amerika natürlich nicht, denn daß die Geheimdienste und Heimatschutzbehörden nahezu entfesselt agieren, ist seit Edward Snowden nichts Neues mehr. Und daß Kritik an dieser unkontrollierten Arbeit unerwünscht ist, hat sich mittlerweile auch herumgesprochen. Wer trotzdem Zweifel äußert, wird aus dem Weg geräumt.

So einfach funktioniert das, glaubt Staatsanwältin Nance Laurel. Sie ist überzeugt: Shreve Metzger, Direktor des National Intelligence and Operation Service, hat den regierungskritischen US-Bürger Roberto Moreno auf den Bahamas kaltblütig umbringen lassen.

Woher Laurel ihr Wissen nimmt, erklärt sie nicht. Sie weiß es einfach. Punkt. Weshalb sie eine Klage gegen Metzger und - aufgepaßt! - den amerikanischen Präsidenten anstrengen möchte. Für die notwendigen Beweise sollen der querschnittgelähmte Ex-Cop Lincoln Rhyme und seine Partnerin Amelia Sachs sorgen. Weil allerdings hier wie dort die Behörden mauern, muß Rhyme erstmals seine heiligen vier Wände in New York verlassen und an einen Tatort reisen.

Auf den Bahamas zeigt sich schon bald auf dramatische Weise: Alles ist ganz anders, als es ursprünglich ausschaute. Und von da an hetzt Deaver den Leser von einer neuen Überraschung zur nächsten, bis er kurz vor Schluß abermals alle Erkenntnisse durcheinanderwirbelt.

Keine Frage, das ist Deaver, wie er leibt und lebt: Eine Wendung jagt die nächste, und selbst das Finale ist nicht wirklich das Ende, denn zu guter Letzt - im Finale nach dem Finale - stellt Deaver noch ein weiteres Mal alles auf den Kopf. Schade, daß er dabei allerdings sämtliche vorangegangenen, berechtigten Zweifel an den US-Behörden über den Haufen wirft und dann doch noch in den üblichen Hurra-Patriotismus verfällt.

Darüber könnte man glatt hinwegsehen, hätte Deaver in seinem Bemühen um immer neue abenteuerliche Wendungen nicht seine Charaktere aus den Augen verloren: Die sind nur blasse Pappfiguren, die wie aus einem Schreibratgeber für angehende Thriller-Autoren entsprungen scheinen. Die Guten sind die Guten, die Bösen die Bösen, dazwischen gibt es nichts. Obendrein hat jeder dieser Bösewichter noch eine ganz besondere Macke, als würde die ihn irgendwie noch böser machen. Gefährlicher. Diabolischer. Oder was auch immer. Interessieren tut´s kaum. Keine der Figuren berührt den Leser.

Was im übrigen auch daran liegt, daß Deavers Hang zu ausführlichen Umschreibungen nahezu jede Gefühlsregung beim Leser erstickt (von der Langeweile abgesehen). Da wird dann nämlich nicht einfach Angst empfunden, sondern:

 

»Sachs lief im wahrsten Sinne des Wortes ein Schauder über den Rücken.«

 

Ach was? Im wahrsten Sinne des Wortes?

 

Marcel Feige

Jeffery Deaver - Todeszimmer

ØØ

(The Kill Room)

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Blanvalet (D 2014)

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