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Schmauchspuren #37

Stop Press: Aktueller Krimi-Star schreibt Prequel für verstorbenen Krimi-Star, amerikanische Thriller-Poeten kommen endlich - auch posthum - zu ihrem Recht, in Salzburg rollt ein Kopf durch die Gegend, und ein neuer US-Verlag fängt vielversprechend an. Die Krimi-Revue mit Peter Hiess.    15.10.2014

Peter Hiess

Jim Nisbet - Tödliche Injektion

Pulp Master Tb. 2011

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Ein Arzt, der im texanischen Gefängnis Huntsville Verurteilten die Todesspritze verabreicht. Alkoholiker, unglückliche Ehe, Karriere verpatzt. Als er einen jungen Schwarzen ins Jenseits befördert, kommen ihm angesichts dessen letzter Worte Zweifel. Also läßt er alles sausen und fährt nach Dallas, um herauszufinden, was wirklich los war. Er findet die frühere Geliebte des Hingerichteten (eine echt fatale Femme) und dessen Gangster-Kollegen - und von da an geht´s bergab. Die beiden sind Junkies, der Herr Doktor mit seiner gutgefüllten Medizintasche wird bald auch einer, und dann gibt´s nur noch Sex, Rausch, Verbrechen und weitere Injektionen. Unausweichlich wie in einem tiefschwarzen Bühnendrama, grausame Poesie von einem der unbekannten Großen der USA, erschienen in einem der besten deutschen Noir-Verlage, von dem man alles lesen kann. Wichtigster Krimitip dieser Ausgabe.

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Gemischtes Doppel


Daniel Woodrell - The Bayou Trilogy

Mulholland Books Pb. 2011

 

Marcia Clark - Guilt By Association

Mulholland Books 2011

 

Nicht alles, aber vieles wird man vom neuen amerikanischen Krimifachverlag Mulholland Books (wir berichteten über seine großartige Website) lesen müssen. Das fängt gleich mit den ersten Publikationen an: Daniel Woodrell hat, wie viele deutschsprachige Leser jetzt erst erkennen, nicht nur "Winters Knochen", sondern auch andere hervorragende Bücher geschrieben. "The Bayou Trilogy" versammelt seine drei Krimis um Detective Rene Shade, ehemals Boxer und jetzt Polizist, der im Bayou von Louisiana einige brutal gute Fälle zu klären hat: "Under the Bright Lights", "Muscle for the Wing" und "The Ones You Do" sollte man unbedingt im Original lesen. Woodrells Stil ist besser, als es der des überschätzten James Ellroy je sein wird.

Weiters im Premierenprogramm: "Guilt By Association", ein Thriller der Ex-OJ-Simpson-Staatsanwältin Marcia Clark - überraschend lesbar; und "A Drop of the Hard Stuff" von Lawrence Block, den man nur haben muß, wenn man Matthew Scudder liebt und die ewigen AA-12-Steps-Belehrungen aushält. Übrigens: Warren Ellis schreibt auch schon für Mulholland. Sehr vielversprechend.

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Franz Zeller - Blutsbande

Pendragon Tb. 2011

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Ein Salzburger Kriminalpolizist und alleinerziehender Vater, ein Kollege auf Diät, ein samt Stieftochter verschwundener Ehemann, das übliche Migrantendrama, eine nette neue Nachbarin: Wieso hat man nur immer das Gefühl, daß in Österreich immer alles viel enger ist als in den USA? Egal - in Franz Zellers neuem Krimi "Blutsbande" findet die Polizei irgendwann auch den abgetrennten Kopf, der in Kapitel eins in ein Plastiksackerl gestopft wurde. Und daraus entwickelt sich ein spannender und elegant erzählter Psychokrimi, der den Krautsuppengeruch der Provinz hinter sich läßt. Wenigstens über weite Strecken ...

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Don Winslow - Satori

Heyne 2011

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Es ist immer verdächtig, wenn ein Verlag einen Schriftsteller "wiederentdeckt" - selbst wenn es sich dabei um einen so ausgezeichneten Agentenkrimi-Autoren handelt wie den 2005 verstorbenen Trevanian alias Rod Whitaker, der in den Siebzigern das damals schon müde Genre wiederbelebte (u. a. mit "Im Auftrag des Drachen", verfilmt mit Clint Eastwood). Noch verdächtiger ist es, wenn einer der absoluten Genrestars der Gegenwart das Prequel zu einem Bestseller von damals schreibt; das erinnert etwas zu sehr an "Star Wars". Nun heißt der betreffende Star aber Don Winslow und kann spätestens seit dem gigantischen "Tage der Toten" nichts mehr falsch machen. So erzählt er auch die Vorgeschichte zum spannenden Trevanian-Thriller "Shibumi" (der praktischerweise von Heyne auch neu aufgelegt wurde) gekonnt und packend, im Stil des modernen Abenteuerromans. Wie wurde Anfang der 50er Jahre aus Nikolai Hel der exotische Superagent, den wir (vielleicht noch) kennen? Ja, genau da liegt das Problem: Wir wissen, daß der Held nie wirklich in Gefahr ist, weil ja bekannt ist, wie es weitergeht. Aber so ist das halt mit Prequels.

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Donald E. Westlake - Memory

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2010

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Donald E. Westlake alias Richard Stark (einer seiner letzten Parker-Krimis wurde in der vorigen Ausgabe behandelt) schrieb Anfang der Sixties den Roman "Memory", der vom Verleger als "zu literarisch" abgelehnt wurde. Die Reihe Hard Case Crime hat sich dieses Werks dankenswerterweise angenommen und es als Pulp-Taschenbuch veröffentlicht. Das alte Noir-Thema vom Mann, der sein Gedächtnis verloren hat, wird hier bis zur letzten Konsequenz abgehandelt: Der Broadway-Schauspieler Paul Cole wird beim One-Night-Stand von einem wütenden Ehemann erwischt, kriegt einen Schlag auf den Kopf und kann sich fortan nichts mehr für längere Zeit merken. Wie er versucht, in sein Leben und nach New York zurückzufinden, das ist zutiefst tragisch und deprimierend, also purer Noir, auch wenn es hier gar nicht um ein Verbrechen geht. Und man fragt sich, ob Christopher Nolan dieses "verschollene" Buch nicht vielleicht doch gekannt hat, als er das Drehbuch zu "Memento" schrieb.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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