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Schmauchspuren #53

Unser halbberuflicher Krimileser Peter Hiess besucht diesmal alte Bekannte: Autorinnen und Autoren, die er mittlerweile auch privat kennt. Seinen liebsten Heftroman-FBI-Agenten. Und einen amerikanischen Querulanten, der früher in Pulp machte.    30.05.2016

Peter Hiess

Ilona Mayer-Zach - Schmutzwäsche

echomedia Tb. 2013

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Regionalkrimis laufen immer Gefahr, zu viel Fremdenverkehrswerbung zu betreiben. Das ist auch bei Ilona Mayer-Zachs neuem Paula-Ender-Roman "Schmutzwäsche" stellenweise der Fall, wenn die Heldin recht blond von den "Naherholungsgebieten" (niemand denkt in solchen Begriffen) ihrer Wienerstadt schwärmt oder das sogenannte MQ nicht für ein architektonisches Verbrechen, sondern für ein echtes Kulturzentrum hält. Aber auch das kann man Paula und ihrer Autorin gleich wieder verzeihen, wenn sie im selben Buch witzig-charmant über die Verkommenheit des aktuellen Journalismus oder die Korruption in der Beamtenschaft erzählen. Nebenbei klärt die Protagonistin noch das Verschwinden ihres Freundes und einen tödlichen Umweltskandal rund um Putzereigifte auf - doch ohne allzuviel Brutalität und bitteren Ernst, sondern immer liebens- und lesenswert. Somit fällt "Schmutzwäsche" wahrscheinlich ins Genre des Cozy-Krimis, aber dort hat sich ja auch Miss Marple sehr wohl gefühlt.

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Martin Krist - Drecksspiel

Ullstein Tb. 2013

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Martin Krist gibt in "Drecksspiel" ebenfalls der Versuchung nach, jede Berliner Straße, durch die seine Protagonisten rasen oder stolpern, zu benennen - was Lesern, die die deutsche Hauptstadt nicht auswendig kennen, ziemlich egal sein dürfte. Aber das ist auch schon der einzige Fehler, den der Autor hier macht. Ansonsten liest sich sein Thriller wie eine blutige, zugekokst schnelle und schwarzhumorige Version eines der großartigen Robert-Altman-Mosaikfilme à la "Short Cuts", vermischt mit der surrealen Gewalt aus den besseren "Saw"-Teilen. 100 kleine Geschichten, die nicht nur von den Ermittlungen des Expolizisten David Gross (eines Mannes mit dunkler Vergangenheit, über die wir hoffentlich noch mehr erfahren werden) handeln, sondern auch von einem "Bad Lieutenant"-Bullen mit sagenhaftem Pech, Dealern, Huren, Geheimdienstlern, arroganten Werbern, Politikern und Verbrecherbossen. Das alles wirkt nie aufgesetzt, sondern eher wie die "Anti-Cozy"-Version eines Regionalkrimis, der die Grenzen seiner Region immer wieder sprengt und so internationale Qualität erreicht.

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Monika Geier - Die Hex ist tot

Ariadne/Argument 2013

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Apropos Qualität - Stammleser dieser Kolumne werden mitbekommen haben, daß in ihr jeder Roman der deutschen Autorin Monika Geier gelobt, gepriesen und geehrt wird. Nicht umsonst: Geier läßt auch mit ihrem neuen Krimi "Die Hex ist tot" mühelos alle Genre-, Landes- oder Frauenromanlimitierungen hinter sich und malt mit ihrer Heldin, Kriminalkommissarin Bettina Boll (endlich wieder voll da!), Bilder der menschlichen Befindlichkeit, die im deutschen Sprachraum unerreicht sind. Der Story um offene Kanaldeckel und vielleicht auch einen Serienmörder traut man anfangs nicht wirklich viel zu, aber die tritt anhand des Romanpersonals - das denkt, fühlt und handelt, wie man das von richtigen Menschen und somit auch von sich selbst kennt und erwartet - sowieso bald in den Hintergrund. Daß der Plot dann aber doch noch ungeahnte Höhen erreicht und nebenbei eine längst pensionsreife, verlogene Generation aufs Korn nimmt, macht "Die Hex ..." zum Gesamtkunstwerk. Und daß die Boll nicht in die Romantikfalle tappt, ist ein ganz besonderes Zuckerl für ihre treuen Fans. Danke, Monika Geier - das Krimijahr ist gerettet!

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div. Autoren - Cotton Reloaded

Bastei E-Books 2012–2013

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Jerry Cotton muß man nicht retten; der hat mittlerweile in unzähligen Heftromanen, Neuauflagen, Taschenbüchern und sogar ein paar Filmen bewiesen, daß er praktisch unsterblich ist. Dennoch hatte sein Stammverlag Bastei vor etwas mehr als einem Jahr eine brauchbare Idee, wie man den G-Man einer neuen, jüngeren Leserschaft näherbringen kann. "Cotton Reloaded" heißt die für E-Reader konzipierte Reihe, die den mittlerweile in der Hauptserie doch sehr brav gewordenen Helden (umweltbewußt, abstinent und noch dazu Nichtraucher!) mit Gewalt, dem einen oder anderen Fluch und viel Tempo ins 21. Jahrhundert reißt. Genreprofis wie Mario Giordano, Jürgen Benvenuti und Alfred Bekker bringen den jungen New Yorker Cop Jeremiah (!) Cotton ins FBI, mit der neuen Kollegin Philippa Decker (!!) und ohne roten Jaguar (!!!), dafür zeitgemäßer und trotzdem mit dem bewährten Heftl-Charme. Feine Sache.

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Harlan Ellison - Web of the City

Hard Case Crime (Titan Books) 2013

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Freunde der hier lückenlos präsentierten US-Pulp-Reihe Hard Case Crime haben schon bemerkt, daß dort nicht mehr nur klassische und neue Feinheiten erscheinen, sondern auch postmoderner Unfug und manchmal auch bloße Kuriositäten. "Web of the City" fällt in letztere Kategorie. Verfasser des Romans ist nämlich ein gewisser Harlan Ellison, bekannt und berüchtigt als A. einmal ganz guter Science-Fiction-Autor, aber B. vor allem streitsüchtiger Prozeßhansl. Dabei war er (huch!) in den 50ern Mitglied einer Jugendbande und hat darüber am Beginn seiner schriftstellerischen Karriere diesen Pulp-Krimi geschrieben. Der ist jetzt neu erschienen (mit Vorwort und drei Short-Stories), wirkt aber dennoch sehr klischeehaft und altbacken. Muß nur der Vollständigkeit halber ins Regal.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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