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Schmauchspuren #61

Ein mehr als brauchbares Krimijahr geht zu Ende, die Lektüre geht dem Krimiprofi einfach nie aus, und ein neues Jahr geht den ersten Thriller-Höhepunkten entgegen: Peter Hiess versucht in dieser Kolumne von Anfang 2015 alles unterzubringen, was Platz hat.    30.04.2018

Peter Hiess

Liza Cody - Lady Bag

Ariadne/Argument 2014

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Eine Obdachlose als Ich-Erzählerin eines Kriminalromans - das allein würde "Lady Bag" lesenswert machen. Wenn die Autorin noch dazu Liza Cody (bekannt unter anderem durch ihre Bücher um Private Eye Anna Lee) heißt, muß man praktisch zu dem Buch greifen. Und versteht auch schon nach Lektüre der ersten Kapitel, warum Codys neues Werk zu den besten Krimis des Jahres 2014 zählt ...

Lady Bag sandelt sich durch die Hauseingänge und Abbruchhäuser Londons, bettelt in Begleitung eines "pensionierten" Rennhundes und ist stets betrunken und/oder auf Tabletten. Eines Tages sieht sie den Teufel - den Mann, der sie ins Gefängnis gebracht, ihre Existenz ruiniert und ihr alles geraubt hat. Sie spürt ihm nach, um ein potentiell neues Opfer vor den Machenschaften des Gauners zu bewahren. Da sie aber meistens halb im Delirium ist, geht in dieser Tragikomödie der Irrungen alles schief, was nur schiefgehen kann: sie wird zusammengeschlagen, ist mordverdächtig, auf der Flucht vor Polizei und brutalen Gossen-Genossen, freundet sich mit einer Transe und anderen Weirdos an. Und das alles ohne Sozialporno und aufgesetzte Betroffenheit ... Codys Stil ist stets witzig, prägnant und lenkt davon ab, daß der "Kriminalfall" nicht besonders durchdacht ist. Der Rotweintaumel reißt den Leser trotzdem mit.

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Jakob Arjouni - Die Kayankaya-Romane

Diogenes 2014

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Erster Kurztip (für Leute, die´s damals verpaßt haben): "Die Kayankaya-Romane" des deutschen Autors Jakob Arjouni, angefangen von "Happy birthday, Türke" (1985) sind nun - edel gebunden und im Schuber - gesammelt bei Diogenes erschienen. Arjounis im trocken-lakonischen Chandler-Stil gehaltene fünf Fälle des türkisch-deutschen Privatdetektivs zeigen beim Neuentdecken wie Noch-einmal-lesen, wie schade es um den frühverstorbenen Autor ist. Muß man haben.

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Michael Crichton (as John Lange) - The Venom Business

Hard Case Crime (Titan Books) 2013

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Zweiter Kurztip (für Pulp-Sammler): Als Michael Crichton noch keine garantierten Bestseller produzierte, schoß er zwischen 1966 und 1972 unter dem Pseudonym John Lange acht Spannungsromane heraus, die bei Hard Case Crime wiederveröffentlicht wurden. "The Venom Business" ist eine der liebenswertesten dieser mondänen, internationalen Gaunergeschichten: Ein Experte für Giftschlangen und Schmuggel soll Leibwächter für einen widerlichen alten Bekannten spielen - und wird (no na) in gefährliche Intrigen verwickelt. Flotte B-Movie-Story, aber in Cinemascope.

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Robert B. Parker - E-Books only

Pendragon 2014

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Dritter Kurztip (für E-Book-Konsumenten): Jeder Krimifreund sollte Robert B. Parkers Spenser-Romane um den Privatdetektiv aus Boston kennen. Wer welche verpaßt hat oder nachlesen will, greift zu den E-Book-only-Ausgaben bei Pendragon: "Spenser und das gestohlene Manuskript", "Wo steckt April Kyle?", "Spenser und der Graue Mann", "Finale im Herbst", "Kevin Bartlett ist verschwunden" und "Schmutzige Affären" führen in alle Phasen des Spenserschen Berufslebens - von der Ära vor Susan Silverman und Hawk über die beste Zeit bis zur eher müden späten Periode. Beste Unterhaltung.

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Kazuaki Takano - Extinction

C. Bertelsmann Pb. 2015

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Nach den kurzweiligen Vergnügungen ist es wieder Zeit für schwerere Kost: "Extinction" von Kazuaki Takano (leider aus dem Amerikanischen übersetzt, nicht direkt aus dem Japanischen) ist ein Science-Thriller, dessen Autor offensichtlich mehr von der Wissenschaft versteht als vom Thriller-Handwerk - aber die Prämisse ist einfach zu gut. Ein amerikanischer Söldner (mit krankem Kind; siehe "human interest") wird mit einer Geheimmission beauftragt: er soll im afrikanischen Dschungel ein Pygmäenvolk ausrotten, das angeblich mit einem global gefährlichen tödlichen Virus infiziert ist. Bald merkt er jedoch, daß es der US-Regierung (angeführt von einer Bush-jun.-Karikatur) in Wahrheit darum geht, einen kleinen Buben zu eliminieren, der eine neue Art höherer Intelligenz besitzt; also rettet er das Kind und wird fortan gejagt. In Japan hingegen versucht ein Pharmakologiestudent (der im Schatten seines verstorbenen Vaters steht; siehe oben) ein Medikament gegen eine unheilbare Krankheit zu entwickeln. Aber auch da mischen sich die bösen Weltmachtverschwörer aus Washington ein ... Packende 550 Seiten. Michael Crichton hätte es anders gemacht, aber auch der hat ja klein angefangen.

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James Lee Burke - Regengötter

Heyne Hardcore Pb. 2014

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Vierter Kurztip (für Lesewütige): Noch einen Riesenwälzer liefert James Lee Burke mit "Regengötter", der auch mit Fug und Recht zu den Krimi-Highlights des verwichenen Jahres gezählt werden darf. Ein über 70jähriger Sheriff in einem texanischen Kaff gräbt hinter einer alten Kirche neun Frauenleichen aus. Damit sticht er natürlich in ein Wespennest, weil weder Behörden noch organisiertes Verbrechen noch ein genial beschriebener Psychopath namens Preacher an der Aufklärung des Verbrechens interessiert sind. Merke: Für echte Männer gibt´s keine Pensionsgrenze. Phantastisch.

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