Print_Lisa Lercher - Mord im besten Alter

Waldesruh

Daß Seniorenheime einen Vorhof zur Hölle darstellen, fürchtet jeder, der einmal ein gewisses Alter erreicht. Daß es dort allerdings so zugeht wie in Lisa Lerchers neuem Krimi, wollen wir doch nicht hoffen. Schließlich ist auch der Rezensent nicht mehr der Jüngste ...
   30.09.2013

Die Autorin Lisa Lercher muß man im EVOLVER wohl kaum mehr vorstellen. Mit ihrer wunderbaren Mumiengeschichte "Heimkehr" hat sie sich in unsere Herzen eingeschrieben und nicht nur den diesbezüglichen EVOLVER-Story-Wettbewerb zu ihren Gunsten entschieden. Doch Horror ist gar nicht ihre Hauptausrichtung. Vielmehr hat sie schon vor Jahren den Krimi als ihr Lieblingsgenre auserkoren und ihrer Veröffentlichungsliste jetzt eine weitere Neuerscheinung hinzugefügt: Mord im besten Alter.

 

Nach einem schweren Unfall, an den sie sich gar nicht so recht erinnern kann, liegt die 68jährige, bis dahin recht unternehmungslustige Künstlerin Maja fast bewegungsunfähig in einem Zimmer des Seniorenheims Waldesruh. Ihr eigenes Haus, in dem sie auch die Kunstwerke ihres verstorbenen Lebensgefährten aufbewahrt hat, besitzt - so erfährt sie zu ihrem Entsetzen -  inzwischen ihr liederlicher Neffe. Direktor Schönwies, der Leiter des Heims, stimmt sie auf einen lebenslangen Aufenthalt im Haus Waldesruh ein, da sie sowohl körperlich als auch psychisch angeblich nicht mehr in der Lage sei, ein selbständiges Leben ohne andauernde ärztliche Hilfe und Pflege zu führen. Doch trotz der zum Teil ziemlich schweren Psychopharmaka, die man ihr - "nur zu ihrem Besten", versteht sich - einflößt, versucht sich Maja der Überwachung zu entziehen.

Eine zwangsläufig von ihr selbst entwickelte Bewegungstherapie und heimliche "Pulverl"-Verweigerung verhelfen ihr dazu, wieder auf die Beine zu kommen. Ihre Ausflüge durch das Wohnheim und in die nähere Umgebung bringen sie nicht nur in Kontakt mit einigen - an Schrulligkeiten nicht gerade armen - Insassen, sondern auch zur Erkenntnis, daß in der iyllisch gelegenen Seniorenresidenz offenbar einiges ganz und gar nicht stimmt. Die Todesfälle, die dort in schöner Regelmäßigkeit geschehen und von Heimleitung wie Personal als Unfall oder Suizid abgetan werden, lassen sie ein mörderisches Muster erkennen - ein Muster, das sich für Maja bald wie ein Strick anfühlt, der ihr um den Hals gelegt und langsam zugezogen wird. Daß man sie aufgrund ihrer Unnachgiebigkeit am liebsten in einen geschlossenen Trakt überweisen würde, stellt dabei noch ihren geringsten Kummer dar. Einzig der verschlossene, einem guten Joint nicht abgeneigte Mitbewohner Moser scheint Maja in ihrer Überzeugung, im Haus Waldesruh gehe ein skrupelloser Killer um, Glauben zu schenken.

 

Wer sich von einem Krimi ein halsbrecherisches Erzähltempo erwartet, braucht hier gar nicht mit dem Lesen anzufangen. Alle anderen dürfen sich über einen dem Ambiente angemessenen, ruhigen, die Story bestimmenden Stil freuen - das alles handwerklich, wie immer bei Lercher, souverän umgesetzt. Präzise Charakterzeichnungen der Protagonisten, ob es sich nun um Maja und Moser, die ebenfalls im Heim lebende "Hofrätin", den als Pfleger und Gfrast der Sonderklasse agierenden Zivildiener Otto oder den bei seiner Mutter lebenden "Herrn Direktor" handelt, sorgen für anhaltendes Lesevergnügen. Einzig das Whodunit-Element ist leider ein wenig vorhersehbar - doch warten genügend Überraschungsmomente in den liebevoll gestrickten Details, die in Summe dann doch einen gepflegt-klassischen Pageturner ergeben.

Und daß Lercher trotz des Einbettens der Story in ostösterreichische Gefilde nicht mit dem ach-so-pittoresken, derzeit allerorts herrschenden Lokalkrimi-Kolorit-Schmäh hausieren geht, macht das Ganze gleich noch einmal so sympathisch. 

Thomas Fröhlich

Lisa Lercher - Mord im besten Alter

ØØØ 1/2

Haymon-Verlag (2013)

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