Print_Michael Connelly - Der Widersacher

Glaubwürdig geht anders

"Nichts ist Zufall", findet Cold-Case-Cop Harry Bosch. Dummerweise hängt bei der Aufklärung seiner beiden neuen Fälle aber so gut wie alles von eigentümlichen Zufällen ab - und von alten Mordsachen, in denen er vor Jahren mal ermittelt hat.    28.03.2014

Wohlwollend könnte man einwenden, Bosch arbeite nicht umsonst bei der "Cold Case Unit" des LAPD. Aber es ist dann eben immer ein verdammt großer Zufall, daß die Aufarbeitung ungelöster Mordfälle über kurz oder lang immer wieder seine alten Fälle tangiert. Als gäbe es sonst keine anderen Verbrechen und anderen Ermittler in einer Stadt, die eine der höchsten Verbrechensquoten Amerikas aufweist ...

Aber nun gut, darüber könnte man hinwegsehen, wäre die Mördersuche Boschs eine runde, flotte, spannende Angelegenheit. Und hier kann Connelly tatsächlich punkten und als ehemaliger Polizeireporter eine Menge Hintergrundwissen einbringen. Doch das alleine macht seine Geschichten nicht rund, flott und spannend. Im Gegenteil: Connelly macht sie geschwätziger (um nicht zu sagen: langweiliger), wenn er Bosch und seinen Partner Chu sich wiederholt über Taco-Buden in East Hollywood, Downtown Los Angeles oder weiß Gott wo austauschen läßt, über Salsa-Flaschen und Taco-Soßen, die bei den LAPD-Cops angeblich so beliebt sind.

 

Weil keine anderen Gäste da waren, nahm Bosch die Salsa-Flasche zum Auto mit. Er wußte, daß es bei Imbiß-Tacos vor allem auf die Soße ankam. Um sich nicht mit Saft oder Soße zu bekleckern, aßen sie über die Motorhaube gebeugt.

"Nicht übel, Harry." Chu nickte, während er kaute.

Bosch nickte mit vollem Mund zurück. Schließlich schluckte er und drückte mehr Salsa auf seinen zweiten Taco. Dann reichte er seinem Partner die Flasche über die Motorhaube.

"Klasse Salsa", bemerkte er dazu. "Warst du mal bei dem El-Matador-Stand in East Hollywood?"

"Nein, wo steht der?"

"An der Ecke Western und Lex. Das Essen hier kann sich zwar durchaus sehen lassen, aber an den Matador kommt es nicht ran. Er ist aber nur abends da, und abends schmeckt sowieso alles besser."

"Wie kommt es eigentlich, daß die Western Avenue in East Hollywood ist?"

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann mampfen sie noch viele Seiten weiter.

Zu diesen für die Geschichte völlig irrelevanten Ausführungen gesellt sich eine lieblose Sprache. Okay, inzwischen ist bekannt, daß Connelly nicht das Zeug zum großen Literaten hat. Ein bißchen mehr Liebe zum Detail (oder ein gescheites Lektorat!) würde man sich dann aber doch bei einem Erfolgsautor seines Formats wünschen - und nicht Passagen wie diese:

 

Er ging rasch den Flur hinunter, räumte kurz im Bad und im Schlafzimmer auf, nahm frische Laken aus dem Schrank und bezog das Bett neu. Dann ging er in die Küche, um den Wein aufzumachen. Er ging mit der Flasche und zwei Gläsern auf die Terrasse zurück.

 

Ja, auch das geht noch seitenweise so weiter. Und als wäre dieser stilistische Murks nicht schon schlimm genug, durchzieht die komplette Geschichte die fragwürdige Moral Boschs - oder gar Connellys? Boschs Tochter Maddie hat nämlich mittlerweile beschlossen, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie möchte Polizistin werden. Dabei zählt für sie aber zu keiner Zeit die Verbrechungsbekämpfung oder -verhütung - oder gar der Wunsch, die Menschheit ein Stück besser machen zu wollen. Nein, für Harry Bosch ist klar:

 

Die meisten Eltern zogen künftige Bürger groß, Ärzte, Lehrer, Mütter, Erben von Familienunternehmen.

Bosch zog eine Kriegerin auf.

 

Weshalb er seiner Tochter fortan alles beibringt ...

 

... was man über Gebrauch, Pflege und Lagerung von Schußwaffen wissen mußte. Zu einer Grundsatzdiskussion kam es darüber nicht. Bosch war Polizist und hatte Waffen im Haus. Das war einfach so, und er sah nichts Verfängliches darin, seiner Tochter den Umgang mit Waffen beizubringen.

 

Bosch und seine Tochter wünschen einander am Abend keine gute Nacht, sondern unterhalten sich so:

 

"Alles klar. Mach dir ein Sandwich, wenn du Hunger hast, bevor ich heimkomme. Und sieh zu, daß die Haustür abgeschlossen ist."

"Ich weiß, Dad."

"Und du weißt, wo die Glock ist."

"Ja, ich weiß, wo sie ist, und ich weiß, wie man damit schießt."

"Braves Mädchen."

 

Wohlgemerkt: Das Mädchen ist 15 Jahre alt. Na dann, gute Nacht!

Marcel Feige

Michael Connelly - Der Widersacher

ØØ

(The Drop)

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Knaur (D 2014)

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Kommentare_

tinti - 28.03.2014 : 09.33
was spricht dagegen, wenn eine fünfzehnjährige in amerika weiß, wie man schiesst?
Martin Compart - 29.04.2014 : 09.31
Ich habe die ersten drei bis fünf Harry Bosch-Romane sehr gemocht. Aber dann wurde er immer geschwätziger und seine Plots manchmal geradezu idiotisch (insbesondere sein Serienkiller-Mist). Trotz gelegentlich überzeugenden Stil, verspielte er für mich jede street credibility. Heute mache ich einen großen Bogen um Connelly (und einen noch größeren um den furchtbaren Langweiler Dennis Lehane).

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