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Schmauchspuren #16

Genre-Klassiker, Bücher für die Zugfahrt und Anthologien, die keiner wirklich braucht - der boomende Krimimarkt bringt nicht nur Gutes, sondern auch allerlei Absonderlichkeiten hervor. Peter Hiess hat wieder kriminell viel gelesen.    16.04.2014

Peter Hiess

Lee Child - Sniper

Blanvalet 2008

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Jack Reacher ist das, was alle Männer im Grunde ihres Herzens sein wollen: ein Einzelgänger ohne Bindungen und ein richtig harter Hund. Der Ex-Militärpolizist hat sich nie ans zivile Leben angepaßt und zieht durch die USA, von einem Fall zum anderen. Daß der britische Autor Lee Child es geschafft hat, die Figur und ihre Abenteuer so realistisch zu gestalten, spricht für ihn - und dafür, daß Reacher wohl ein Archetyp ist.

In "Sniper", dem neunten Buch der Serie, verschlägt es den Protagonisten in eine Kleinstadt in Indiana, wo ein Scharfschütze ein scheinbar sinnloses Massaker angerichtet hat. Der Verdächtige (der verdächtig viele Spuren hinterlassen hat) verlangt ausgerechnet nach Reacher. Der kommt tatsächlich, hat den Sniper zwar nicht in allzuguter Erinnerung, fällt aber nicht auf die aalglatte "Lösung" des Falls herein. Natürlich steckt hinter den Schüssen eine böse Verschwörung, und natürlich gibt es keinen, der mit sowas besser fertig wird als Jack Reacher. Perfectly hardboiled und sparsam erzählt - das muß man gelesen haben.

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Karin Slaughter (Hrsg.) - Das Armband

rororo Tb 2007

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Child ist auch einer der seltenen Höhepunkte der neuaufgelegten Themen-Anthologie "Das Armband", die "16 tödliche Geschichten" aus der Feder von 15 amerikanisch-britischen Autoren und -innen verspricht. Halten kann der von Karin Slaughter herausgegebene Sammelband das nur teilweise: Die durch ein offenbar verfluchtes goldenes Glücksarmband lose zusammengehaltenen Stories schwanken sehr in ihrer Qualität, sind nicht einmal alle dem Krimi-Genre zuzurechnen, fast durchwegs zu kurz und alles in allem (mit wenigen Ausnahmen) wenig einprägsam. Muß man noch immer nicht gelesen haben.

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Reihenweise


Arthur Conan Doyle - Sherlock Holmes

Insel Tb. 2007

 

Georges Simenon - Sämtliche Maigret-Romane

Diogenes 2008

 

Schließlich gibt es genug Pflichtlektüre, die sich kein Freund des Genres entgehen lassen sollte: Der Insel-Verlag hat die gesammelten Abenteuer des Meisterdetektivs Sherlock Holmes in netten, handlichen Taschenbüchern veröffentlicht; Diogenes wiederum stellt sich der dankenswerten Aufgabe, alle Romane um den legendären Kommissar Maigret in schönen Hardcover-Bändchen herauszubringen - die ersten acht sind lieferbar, und wir freuen uns auf mehr. Machen Sie Platz im Regal!

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div. Hard Case Crime


Russell Hill - Robbie´s Wife

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2007

 

Gil Brewer - The Vengeful Virgin

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2007

 

Auch die US-Reihe Hard Case Crime (übrigens neuerdings auf deutsch bei Rotbuch) darf in keiner einschlägigen Kollektion fehlen; obwohl die beiden vorliegenden Bände einander auf den ersten Blick ziemlich ähnlich sind. Andererseits: In fast allen dieser Pulp/Noir-Thriller geht es ja um eine Femme fatale und den moralisch schwachen Typen, der ihr verfällt - oder auch nicht. In "Robbie´s Wife", einer modernen Variante aus dem Jahre 2007, schickt Russell Hill einen alternden Drehbuchautor aus L A. in die englische Provinz, wo der Mann seine Kreativität wiederfinden will. Stattdessen entdeckt er auf einer Schaf-Farm eine frustrierte Ehefrau, läßt sich mit ihr auf ein Verhältnis ein und tut genau das, womit jeder Leser rechnet. Auch das Ende kommt nicht unerwartet, doch der beklemmende Stil des Romans überzeugt trotzdem.

Ein echtes Highlight ist Gil Brewers "The Vengeful Virgin" (1958), die Geschichte eines Elektrogerätehändlers, der im Haus eines schwerkranken Mannes eine TV-Anlage installieren soll. Kein Problem, wären da nicht die 18jährige Stieftochter des Kunden und sein wohlgefülltes Bankkonto. Lust wie Geldgier schlagen zu, und es kommt, wie es kommen muß - aber mit einem sagenhaft deprimierenden Schluß, der eines Jim Thompson würdig wäre.

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Rasantes Doppel


Jay Bonansinga - Im Angesicht des Todes

rororo Tb. 2008

 

Scott Reiss - Black Monday

Ullstein Tb. 2008

 

Zum Schluß sei noch leichte Lektüre für Pendler erwähnt, die sich nicht mit umständlichen Plots oder sprachlichen Eskapaden aufhalten wollen. Der US-B-List-Autor Jay Bonansinga greift für "Im Angesicht des Todes" auf zwei fast schon unerträgliche Klischees zurück: den Serial-Killer und den FBI-Profiler. Daß der eine vom Geist des Bösen besessen ist, während der andere auf die Voodoo-Fähigkeiten seiner afrikanischen Vorfahren zurückgreifen kann, verleiht dem Roman noch dazu eine übernatürliche Note.

Auch der postapokalyptische Thriller "Black Monday" aus der Textverarbeitung des Ex-Journalisten R. Scott Reiss erinnert an bekannte Szenarien: Eine mittels Genmanipulation hergestellte Mikrobe befällt die Erdölvorräte der Welt und läßt in den USA die Lichter ausgehen. Während die Zivilisation schnell an Boden verliert, arbeitet der mutige Virologe Gregory Gerard fieberhaft daran, die Schuldigen und ein Gegenmittel zu finden.

Alles tausendmal gelesen? Stimmt - doch beide Bücher sind so rasant und gekonnt erzählt, daß man kaum Zeit findet, sich darüber zu ärgern. Nur noch ein Kapitel bis zur Endstation ...

Links:

"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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