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Schmauchspuren #49

Südstaaten, Rednecks, Hillbillies - die interessantesten US-Krimis der Gegenwart handeln in Umgebungen, vor denen politisch korrekten Deutschlesern graust. Und genau das macht sie so interessant, wie unser Genrekenner Peter Hiess findet.    14.12.2015

Peter Hiess

Joe R. Lansdale - Kahlschlag

Suhrkamp Tb. 2012

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Auf einmal haben sie ihn alle entdeckt, die langweiligen Feuilletonisten. Seit Joe R. Lansdales "Edge of Dark Water" in einem etablierten Großverlag als "Dunkle Gewässer" auf deutsch erschienen ist, überschlagen sich die Rezensenten mit Auszügen aus dem Klappentext und den immer gleichen Klischees: "literarische Qualitäten", "erinnert an Tom Sawyer", "ein Roadmovie" und "die Schattenseiten des amerikanischen Traums".

Als Feuilletonist muß man wahrscheinlich so werden - langweilig und berechenbar, ohne eigene Ideen und immer kurz davor, den eigenen Lokalkrimi um einen rotweintrinkenden Landpolizisten zu verbrechen. Aber dafür kann Joe Lansdale nichts, weil er es A. verdient hat, daß ihn jetzt auch der Mainstream entdeckt und er B. immer schon gut war. Das erkennt man auch an seinem von Suhrkamp dankenswerterweise neuveröffentlichten Roman "Kahlschlag", der den Leser in das Kaff Camp Rapture - nicht viel mehr als ein Holzfällerlager - versetzt, wo die schöne Sunset ihren prügelnden Ehemann kurzerhand abknallt, um weitere blaue Flecken zu vermeiden. Dann wird sie gleich seine Nachfolgerin als Constable und verbeißt sich in einen Fall, der im Amerika zur Zeit der Rassentrennung wahres Dynamit ist. Schön und lebendig und menschlich erzählt, mit einem gesunden Maß an Brutalität, und hoffentlich für viele der Anstoß, sich alles von Lansdale zu besorgen.

Links:

Daniel Woodrell - Im Süden

Heyne 2012

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Ähnliches gilt für den Südstaatler Daniel Woodrell, der mit dem genialen und ebenso genial verfilmten "Winters Knochen" verdientermaßen Weltruhm erlangte und dessen frühe Romane nun naturgemäß neu aufgelegt werden. Die zwischen 1986 und 1992 erschienenen drei Romane ("Cajun-Blues", "Der Boß", "John X") um Detective Rene Shade, der in der fiktiven Ortschaft St. Bruno im Süden Louisianas ganz und gar nicht "Südstaaten-typische" - also wesentlich mehr als das, was der unaufgeklärte Leser von den ach-so-rassistischen Rednecks erwartet - Fälle aufklärt, ist nun im Sammelband "Im Süden. Die Bayou-Trilogie" erschienen. Man merkt, daß der Autor seine Heimat und ihre Menschen liebt, und man spürt auch durch die deutschen Fassungen seine poetisch-präzise Erzählweise durch. Aber erst im Original liest sich das so wie bei "Winter´s Bone": zum Niederknien gut.

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Gemischtes Doppel


Michael Slade - Der Ghoul

Festa Pb. 2013

 

Gordon Ferris - Galgenfrist für einen Toten

Festa Pb. 2013

 

Verleger Frank Festa setzt seine bisher durchwegs erfreuliche Reihe "Festa Crime" so rasant wie stilsicher fort: In Michael Slades zweitem "Special X"-Thriller "Der Ghoul" zerrt uns das kanadische Autorenkollektiv wieder einmal tief in die Psychohölle der abartigen Serienkiller hinunter, und das gleich auf mehr als 500 Seiten, in denen sich Experten der Royal Canadian Mounted Police und des britischen Scotland Yard mit einer ausgeklügelten und sehr blutigen Mordserie befassen. Naja, "wieder einmal" ist eigentlich falsch - das Original erschien ja bereits 1987, und bei der heutigen Lektüre merkt man, wieviel man als eifriger Krimileser schon über das Serienmörder-Thema und die forensischen Methoden der Ermittler weiß. Das nimmt dem Roman ein bißchen von seiner damaligen Spannung, macht ihn aber keineswegs schlechter. Kurze Anmerkung an den Übersetzer: Es gab im 19. Jahrhundert garantiert keine "unterirdische Bahnstrecke", auf der Südstaatlersklaven in die Freiheit fliehen konnten. Sowas sollte doch irgendwem auffallen ...

Einer schwierigen Aufgabe mußte sich auch die Übersetzerin des fünften "Crime"-Bandes stellen, als sie Gordon Ferris´ großartigen Roman "Galgenfrist für einen Toten" ins Deutsche übertrug. Warum sie sich allerdings dafür entschied, den Glasgower Dialekt ausgerechnet ins tiefste Berlinerisch zu übertragen, wird wohl ein Rätsel bleiben und vor allem Leuten sauer aufstoßen, denen schon im Kino die "Das kann ich nich"-Synchronfassungen zuwider sind. Trotzdem: Der erste Roman um den Expolizisten Douglas Brodie, der nach Jahren heldenhaften Soldatentums im Zweiten Weltkrieg 1946 in seine Heimat zurückkehrt, um dort einen alten Freund vor dem Galgen zu retten, ist einer der Lesetips der Saison. Denn natürlich sticht Brodie in Glasgow in ein Wespennest aus Gangstern, IRA-Kämpfern, Perversen und korrupten Polizisten, das seine depressive Ermittlung in einen phantastischen Showdown münden läßt.

Gut ausgesucht jedenfalls, alle zwei.

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Ross Macdonald - Der blaue Hammer

Diogenes Pb. 2013

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Lassen Sie sich bitte nicht vom Aufkleber "Ein Lieblingskrimi von Donna Leon" auf dem Cover von Ross Macdonalds "Der blaue Hammer" abschrecken! Das Buch ist nämlich spannend und gehört zu den besten Romanen, die Macdonald um seinen Privatdetektiv Lew Archer gestrickt hat (es war übrigens auch beider letzter Fall). Aus der Suche nach einem gestohlenen Bild wird eine Reise in die Vergangenheit, wo sich wie so oft familiäre und mörderische Abgründe auftun. Früher war wirklich alles schlechter.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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