Print_Zoran Feric - Der Tod des Mädchens mit den Schwefelhölzchen

Der Schnitt mit der Motorsäge

Der jugoslawische Bürgerkrieg als Fußballmatch auf einem Minenfeld - das zerrt an den Lachmuskeln.    20.02.2004

"Ich bin ungeplanterweise auf die Insel gekommen, um einen unerwarteten Tod zu beweinen und einem Kinderbegräbnis beizuwohnen." So beginnt Zoran Ferics Roman "Tod des Mädchens mit den Schwefelhölzchen". Ein Pathologe kehrt zurück in jenes kroatische Inseldorf, in dem er aufgewachsen ist. Aus einem zunächst nur für kurze Zeit geplanten Aufenthalt wird ein Ausflug in die Vergangenheit ohne Wiederkehr.

Die Figuren, denen der Pathologe begegnet, sind lauter begnadete Geschichtenerzähler - und sie lügen wie gedruckt. Wie sich im Fortgang einer Handlung, die wie ein Strudel nach und nach die letzten Reste an Vernunft schlucken wird, zeigt, sind es aber gerade die unwahrscheinlichsten und unglaublichsten Geschichten, die der Wahrheit am nächsten kommen. Tote kehren zurück, die Lebenden sind so gut wie tot, zwischen Exorzismen und Geistererscheinungen geht das gewohnte Bild der Welt verloren.

Feric hat einen angenehmen Schreibstil, der auch MTV-Geschädigten mit verkürzter Aufmerksamkeitsspanne entgegenkommt. Er erzählt anhand kurzer Sketches, die an Skurrilität nicht zu überbieten sind. Garniert sind diese von Lebensweisheiten, die garantiert hängenbleiben. Etwa diese: "Ein mit einer Motorsäge durchgeschnittenes Mädchen ist in erster Linie ungewöhnlich kurz."

Menschen werden buchstäblich zerstückelt und auf ihre Bestandteile zurückgeführt "auf dieser Insel, die nicht einmal genau weiß, wann auf ihr Mittag ist". Das ist nicht Splatter, sondern eher absurdes Theater in epischer Form. Wobei die Greuel des jugoslawischen Bürgerkriegs, dessen Bilder über die Bildschirme flimmern, die dunkle Folie dazu liefern.

Als Rezensent wäre es angesichts dieser düsteren Grundierung vielleicht opportun, einzugestehen, daß einem das Lachen im Hals stecken bliebe. Das ist aber nicht der Fall: Ferics "Tod des Mädchens mit den Schwefelhölzchen" ist rasend komisch und zugleich eine intelligente, jedoch niemals bittere Kritik daran, was Menschen einander antun. Die Comédie humaine ist halt doch eine Komödie, so tragödisch sie sich mitunter auch gebärden mag. Darüber hinaus findet sich in dem Buch die bislang treffendste Metapher für den Bürgerkrieg: ein verbissenes Fußballmatch auf einem Minenfeld, in dessen Verlauf die Spieler durch Explosionen und Detonationen dezimiert werden.

 

Reinhard Ebner

Zoran Feric - Der Tod des Mädchens mit den Schwefelhölzchen

ØØØØØ

(Smrt Djevojcice sa zigicama)


Folio (Wien/Bozen 2003)

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