Print_John Grisham - Das Geständnis

Das System hat funktioniert

Der neue Roman des US-Autors ist weniger ein Justizthriller, sondern vielmehr eine Abrechnung mit dem unmenschlichen System der Todesstrafe.    12.09.2011

In dem texanischen Hinterwäldlerkaff Slone ist die junge Nicole Yarber spurlos verschwunden. Eine anonyme Zeugenaussage bringt die Polizei auf die Spur des 18-jährigen Afroamerikaners Dronté Drumm. Der Junge wird über mehrere Stunden von den Cops vernommen. Schließlich legt er völlig erschöpft und in der Hoffnung, daß der Wahnsinn endlich ein Ende hat und früher oder später die Wahrheit sowieso ans Tageslicht kommt, ein Geständnis ab.

Doch der wahre Täter wird nicht gefunden, ebensowenig wie die Leiche von Nicole Yarber, und es gibt auch keinen Grund mehr, danach zu suchen - schließlich gibt es ja die Zeugenaussage und das Geständnis. Daß beides unter eher zweifelhaften Umständen zustande gekommen ist, und daß der nachfolgende Prozeß vor Widersprüchlichkeiten und Verfehlungen nur so strotzt, interessiert niemanden. Die Geschworenenjury erklärt Dronté für schuldig und verurteilt ihn zum Tode. Recht ist gesprochen worden. Das System hat funktioniert.

 

Ein Satz, der sich wie ein roter Faden durch die nachfolgende Geschichte zieht. Denn neun Jahre sind inzwischen seit dem Schuldspruch vergangen, Dontés Hinrichtung steht kurz bevor. Nach wie vor schenkt keiner seinem verbissen kämpfenden Verteidiger Robbie Flak Gehör, nicht die Cops, nicht die Staatsanwaltschaft, nicht der Gouverneur, der als einziger das Todesurteil aufheben oder wenigstens verschieben könnte. Wozu auch?

Zur gleichen Zeit bekommt in Kansas der lutheranische Reverend Keith Schroeder Besuch von Travis Boyette, einem mehrfach verurteilten Sexualstraftäter, der gerade auf Bewährung draußen ist. Dieser gesteht, er habe nicht nur einen unheilbaren Tumor im Kopf, an dem er bald sterben werde, ihn plage zudem das schlechte Gewissen. Denn er hat vor neun Jahren die junge Nicole Yarber in Slone mißbraucht und umgebracht, ihre Leiche viele hundert Kilometer entfernt in einem Wald verscharrt - und der Gedanke, daß er zudem für den Tod eines Unschuldigen verantwortlich sein soll, wäre ihm nun unerträglich.

Der Reverend war bis dato ein anständiger Mann, der mit Sicherheit eines nicht hatte: Zweifel am System. Doch jetzt, nachdem er Boyettes Geständis gehört hat, stellt sich sein sorgsam gehütetes Weltbild auf den Kopf, mehr noch, er muß entscheiden: Wird er selber straffällig, nur um ein Menschenleben zu retten?

 

Zugegeben, es mutet merkwürdig an, daß ein Schurke wie Boyette keine Träne um ein junges Mädchen vergießt, das er skrupellos getötet hat, aber ins Heulen gerät, weil wegen ihm ein unschuldig verurteilter Junge durch die Giftspritze sterben wird. Aber gut, irgendeinen Aufhänger braucht Erfolgsautor John Grisham, um seine Geschichte in Fahrt zu bringen. Denn über knapp 400 Seiten schildert der Autor fortan das Bemühen von Keith Schroeder einer- und Anwalt Robbie Flak andererseits, das Leben des jungen Donté Drumm zu retten. Doch es ist ein vergeblicher Kampf, denn egal wie und egal bei wem sie Einspruch erheben - es gibt einen Schuldigen, es gibt ein Urteil, es gibt eine Strafe. Das System hat funktioniert.

Davon lassen sich weder Cops, Staatsanwaltschaft, Jury noch der Gouverneuer abbringen, selbst als Rassenunruhen in Slone und im benachbarten Austin (dem texanische Regierungssitz) ausbrechen. Lieber setzen sie die Nationalgarde gegen die eigene Bevölkerung ein, statt einen Fehler öffentlich zuzugeben.

 

Letztlich geht es in "Das Geständnis" genau darum: Um die uramerikanische Unfähigkeit, sich einen Fehler einzugestehen. Und der größte Fehler sei, so Grisham, sowieso die Einführung der Todesstrafe. Insofern liest sich sein Roman auch weniger wie ein Thriller, sondern vielmehr wie eine - zweifellos spannende - Dokumentation, die mit den dem politischen Kalkül und den daraus folgenden, unwürdigen Abläufen rund um eine Hinrichtung abrechnet.

Schade indes, daß seine Protagonisten nur blasse Figuren bleiben, die sich aufteilen lassen in gute und böse Charaktere - dazwischen gibt es für Grisham (und vermutlich auch für einen Großteil der Hinterwäldler im amerikanischen Mittelwesten) nichts.

Damit läßt sich allerdings leben, dienen sie für Grisham sowieso nur einem einzigen Zweck: das System der Todesstrafe anzuprangern.

Denn es mag sein, daß es funktioniert. Daß es gerecht funktioniert, darf man getrost ausschließen.

 

(Nachsatz: Wie nahe sich Grisham an der Realität bewegt, zeigt auch der gerade aktuelle Fall Steven Michael Woods ... )


Marcel Feige

John Grisham: Das Geständnis

ØØØ

The Confession

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Heyne (D 2011)

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