Print_Hans Koppel - Entführt

Billiger geht’s nicht

Und noch ein Schwede, der glaubt, den Büchermarkt mit einem Thriller beglücken zu müssen. Doch sein Debüt ist nur ein hastig hingeschludertes Machwerk mit effektheischenden Ekelszenen.    21.04.2012

Die junge Ylva verabschiedet sich nach einem anstrengenden Arbeitstag von ihren Kolleginnen und macht sich auf den Heimweg. Sie denkt sich nichts dabei, als ein Auto am Straßenrand hält; schließlich sind die Frau und der Mann, die ihr anbieten, sie die letzten Meter mitzunehmen, alte Bekannte. Doch kaum in deren Auto eingestiegen, wird Ylva von einem Elektroschocker niedergestreckt. Als sie erwacht, befindet sie sich in einer hübsch hergerichteten Wohnung - nur, daß sich die Räume in einem fensterlosen Keller befinden, aus dem es beim besten Willen kein Entrinnen gibt.

Weil es auch nach Tagen noch keinen Hinweis auf ihren Verbleib gibt, gerät Ylvas Ehemann Mike selbst unter Verdacht - natürlich, denn gab es zuletzt nicht einige Spannungen zwischen den beiden? Mike kann nicht glauben, was die Polizei ihm vorwirft. Trost findet er ausgerechnet bei Ylvas Freundin Nour. Was zumindest die Polizei umso argwöhnischer macht.

Der Leser indes weiß längst, woran er bei Mike und Nour ist, blickt er doch dank wechselnder Perspektiven von Anfang an auch in das kranke Hirn der wahren Entführer. Denen kommt in der Zwischenzeit auch der Reporter Calle Collin auf die Spur. Collins Auftragslage war in letzter Zeit eher schlecht; eine schmierige Boulevardreihe über traurige Schicksale soll endlich die finanzielle Wende bringen. Deshalb möchte er auch über den Fall Ylva berichten. Ein Glück, daß er ausgerechnet einen alten Schulfreund der Vermißten kennt, den wiederum schon seit Jahren die Erinnerung an die schlimmen Dinge plagt, deren Ylva sich seit der Schulzeit schuldig gemacht hat ...

 

Was hier wie nach Lehrbuch konstruiert klingt, liest sich auch so. Routinierte Thrillerkenner durchschauen die falschen Fährten, die Hans Koppel legt, von Anfang an - und sie zeigen die Lieblosigkeit, mit der der Autor seinen Roman runtergeschrieben hat. Dabei hat er Schnelligkeit offenbar auch mit Kürze verwechselt, denn an keiner Stelle der knappen Kapitel gönnt er sich die Zeit, seinen Figuren Leben einzuhauchen. Sie bleiben blasse Staffage für die obligatorischen Ekelmomente, ohne die heutzutage kein Skandinavien-Thriller mehr auszukommen scheint und die Koppel deshalb nicht detailliert genug beschreiben kann. Doch selbst die Folter, die Ylva im Keller erleiden muß, ist am Ende nur eine ärgerlich uninspirierte Mixtur aus SM und verkapptem Psychologisieren, allenfalls ein billiges Mittel zum Zweck.

Dabei hätte der Autor mit ein bißchen mehr Mühe tatsächlich einen herausragenden Thriller zustandebringen können. Denn das Perfide an Yvlas Situation ist, daß sich ihr Folterkeller - die Fälle Kampusch und Fritzl lassen grüßen - im Keller ihrer Nachbarn befindet. Und die haben eine Kamera auf Ylvas Haus gerichtet, sodaß die Gefangene Monat um Monat mitverfolgen muß, wie ihr Mann und ihre Tochter ohne sie zu leben lernen.

 

Das hätte ein spannendes Psychogramm verletzter Seelen ergeben können.

Doch so bleibt "Entführt" nur ein hingeschludertes Machwerk, das sich irgendwie liest wie das Konzept zu einem Thriller, den Koppel erst noch schreiben muß.

Marcel Feige

Hans Koppel: Entführt

ØØ

Kommer aldrig mer igen

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Heyne (D 2012)

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