Schlafender Held

Zum Helden geboren? In M. Night Shyamalans "Unbreakable - Unzerbrechlich" nimmt die haarsträubende Theorie des Comic-Freaks Samuel L. Jackson immer konkretere Formen an und veranlaßt Bruce Willis zu einem Selbstergründungstrip der übernatürlichen Art.

David Dunn (Bruce Willis) ist ein Durchschnittstyp ohne besondere Fähigkeiten oder Merkmale. Er versieht seinen Dienst als Sicherheitskraft im Football-Stadion seiner Heimatstadt Philadelphia. Die erfüllende Wirkung des Jobs hält sich in Grenzen, und die Ehe mit seiner Jugendfreundin Audrey (Robin Wright Penn) steht kurz vor dem Zusammenbruch. Der ehemalige Footballstar verlebt seine Tage seelisch abgekapselt in tiefer Melancholie.

Eines Tages wird David in ein schweres Zugunglück verwickelt. 131 Menschen verlieren ihr Leben. Nur David übersteht die Katastrophe - und dies völlig unverletzt. Ein Wunder? Ein Zeichen? Mit Sicherheit eine physikalische Unmöglichkeit... Immerhin, das unerklärbare Überleben des Glückspilzes bringt ihn seiner Gattin näher und stärkt die zerrüttete Familie. Bevor sich die Wogen glätten und er mit seiner trübsinnigen Alltagsroutine fortfahren kann, erreicht David eine Botschaft: "Wie viele Tage in Ihrem Leben waren Sie krank?"

Irritiert wendet sich der neugierige Adressat an den Verfasser der Nachricht, den Comic-Fan und Galeristen Elijah Price (Samuel L. Jackson). Dieser hat sein Hobby zur Kunstform erhoben und sich voll und ganz der mystischen Welt der Superhelden verschrieben. Elijah leidet seit seiner Geburt an einem seltenen genetischen Defekt: seine Knochen befinden sich in einem Zustand der Instabilität. Unzählige Brüche, ausgelöst durch kleinste Kollisionen, sind die Folge der heimtückischen Krankheit. Elijah vertritt eine "gewagte" Theorie: Jedes Extrem hat seinen natürlichen Gegenpol. Und da sich das Universum einen besonders grausamen Scherz mit ihm, dem "Mr. Glas" erlaubt hat, wieso sollte dann nicht auch ein gegenteilig veranlagtes Individuum, eine Antithese zu Elijah existieren? In David, so scheint es, hat der Außenseiter nach langer Suche den passenden Kontrast zu seiner bemitleidenswerten Existenz gefunden: einen "Unzerbrechlichen", der nichts von seinen Kräften zu ahnen scheint...

Das obskure Grundkonzept dient als primäres Antriebsaggregat des Films. Shyamalan, der wiederum auch als Drehbuchautor fungiert, bewegt sich auf dünnem Eis. Anders als in "The Sixth Sense" verfügt er dieses Mal nicht über ein stabil konstruiertes Storygerüst und verläßt sich ausschließlich auf seine Fertigkeiten als Regisseur - ein risikoreiches Unterfangen, wenn man die hohe Erwartungshaltung der Öffentlichkeit berücksichtigt.

Zusätzlich fehlt es dem Drehbuch an Substanz. Dies spiegelt sich vor allem in der teils mangelhaften Charakterisierung der Hauptfiguren wieder. Umso erstaunlicher ist es, daß Shyamalan trotz der offensichtlichen Schwächen seines Scripts niemals die Balance verliert und einen stilvollen, atmosphärischen Mystery-Thriller aus dem Hut zaubert. Dabei überdeckt er einfach die fehlende inhaltliche Tiefe mit der mystischen Eleganz seiner Bilder und hangelt sich somit von einer Szene zur nächsten, um sich dann wieder auf die entscheidenden Handlungspunkte seiner Geschichte zu konzentrieren.

Immerhin bemüht sich die Darstellerriege redlich. Bruce Willis depressiver Hauptcharakter zwingt den Action-Star zur wahrscheinlich zurückhaltendsten Performance in seiner gesamten Karriere, und Samuel L. Jackson vereint in seiner Darstellung die bedauernswerte körperliche Fragilität und das damit kontrastierende unerschütterliche Selbstvertrauen des geheimnisvollen Elijah Price.

Shyamalan und seine Crew verstehen ihr Handwerk: originelle Kameraführung, raffinierte Zeitlupeneinstellungen, effizient eingesetzte Licht-Schatten-Wechsel - realisiert mit einer kunstvoll-geschmeidigen Langsamkeit. Aber in erster Linie bietet "Unbreakable" eine weitere Variation des fundamentalen Kampfes zwischen Gut und Böse und dem ständigen Gleichgewicht der Kräfte.

M. Night Shyamalan gehört zusammen mit David Fincher und Darren Aronofsky zu den jungen Hoffnungsträgern Hollywoods. Wie sein großes Vorbild Steven Spielberg gelingt es auch ihm, den Zuschauer gekonnt mit der Intensität seiner Bilder zu verführen und zu manipulieren. Außerdem versteht es der 31jährige wie kaum ein anderer, praktisch aus dem Nichts einer Szene ein subtiles, elektrisierendes Spannungsfeld zu erzeugen. Daß der indischstämmige Regisseur darüber hinaus das Privileg genießt, seine eigenen Geschichten verfilmen zu können und damit nicht auf die Phantasien anderer Drehbuchautoren zurückgreifen muß, kommt ihm zusätzlich zugute.

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