Timotei-Ästhetik

Der rätselhafte Selbstmord der schönen Lisbon-Schwestern beschäftigt die Nachbarjungs noch 25 Jahre danach. Im Versuch, eine Erklärung für das Unfaßbare zu finden, rollen sie die Ereignisse und eigene Verwirrungen der Pubertät noch einmal auf.

Ätherisch schön und wie lichte Wesen aus einer anderen Welt scheinen die fünf blonden Lisbon-Schwestern den heftig pubertierenden Nachbar-Kids, als sie eines Tages in deren Michiganer Vorort ziehen. Die amerikanischen Suburbs sind seit jeher, spätestens jedoch seit David Lynch, der wahre Ort des Grauens und der menschlichen Abgründe. Und so läßt sich auch trotz ständiger Beobachtung durch die Jungs nicht ahnen, daß sich hinter der biederen Reihenhaus-Fassade für die zwischen 13 und 17 Jahre alten Girls schleichend eine folgenschwere Katastrophe anbahnt. Von ihrer Umwelt und den Mitschülern total isoliert, sind sie dem herzlosen Regiment ihrer überstrengen, bigotten Mutter (Kathleen Turner) hilflos ausgeliefert, dem der schwache Vater (James Woods) nichts außer zunehmende Resignation entgegensetzt. Gerade diese Unerreichbarkeit macht die Stilisierung zu geheimnisvollen Phantasien ihrer erwachenden Sexualität für die Jungs jedoch erst perfekt.

Der Selbstmordversuch der 13jährigen Cecilia läßt die scheinbare Idylle vor den Augen der Außenstehenden schließlich bröckeln. Endgültig zerbricht sie dann, als sich das Mädchen auf grauenhafte Weise tötet. Die vorübergehende Lockerung mit steifen Teenie-Parties im Lisbon-Haus weicht wieder der rigorosen mütterlichen Autorität. Die Prom-Night an der örtlichen Highschool leitet die endgültige Eskalation ein. Die älteste und schönste der Schwestern, Lux (Kirsten Dunst) verliebt sich dort nämlich in den begehrtesten Schwarm der Schule, den oberlässigen Trip Fontaine (Josh Hartnett) - und verliert zuerst ihre Unschuld und nach dem darauffolgenden Desinteresse seinerseits ihren Glauben an die Menschheit, insbesondere deren männlichen Teil. Die Mutter reagiert auf ihre gefallene Tochter nur mit Hysterie. Rituelle Kiss-Platten-Verbrennungen, verschärfte Kasernierung und Lux´ Selbsterniedrigungen bahnen der Tragödie ihren Weg…

Die außergewöhnliche, mit schwarzem Humor angereicherte Story basiert auf einem umstrittenen Roman des Autors Jeffrey Eugenides (auf deutsch: "Die Selbstmord-Schwestern"), im Film erzählt aus der Perspektive der Jungs, 25 Jahre später. Ein kollektiver Erzähler kommentiert die zurückliegenden Ereignisse, für die es letzlich keine Erklärung gibt. Auch wenn bei den Männern immer wieder vage Schuldgefühle auftauchen, verzichtet der Streifen auf simple Schuldzuweisungen und populärpsychologische Holzhammer-Erklärungsmodelle. Das ist für ein US-Produkt fast schon spektakulär und die bemerkenswerteste Stärke an Coppolas Debüt. Eine weitere liegt darin, daß sich die 28jährige Regisseurin dafür lieber auf die Gefühlsverwirrungen und sexuellen Befindlichkeiten von Teenies verläßt. Die Darstellung der Verklemmtheiten, Peinlichkeiten, Erwartungen und Sehnsüchte ragt über durchschnittlichen Teenager-Schmus hinaus, ebenso wie die in Hollywood nicht gerne gesehene Schilderung der Familie als Hort von Neurosen und Zwängen.

Aber hier verläßt Coppala offenbar auch schon die Courage: Bloß nicht zu viel Tiefe! Also rettet sie sich an die Oberfläche und schwelgt in bonbonfarbener Pop-Nostalgie der Seventies, ergeht sich in zuckersüßen optischen Verklärungen der Lisbon-Sisters und macht ein paar schicke Einschübe. Schließlich hat man hippe Freunde (Beastie Boys, Zoe Cassavates etc.), einen hippen Mann (Spike "Being John Malkovich" Jonze) und schon mal coole Videos und TV-Shows gemacht - also muß man die ganze Chose irgendwie trendig aufpeppen und mit Musik einer tollen europäischen Band unterlegen, sonst ist man bei denen unten durch. Und dann muß man sich auch noch von Paps abgrenzen, der mit seltsamen Psychogrammen in Schwarzweiß begann (horror-trashig: "Dementia 13", poetisch: "Rain People"). So gibt es dann eben ein bißchen Zuviel an undifferenzierter Jugendzimmer-Romantik, 70er-Kitsch und Timotei-Werbebild-Ästhetik zu - zugegeben - schönem Pop von Air. Und leider zu wenig Aktionsfläche für Kathleen Turner und James Woods, die mit zunehmendem Alter immer grandioser werden...

"The Virgin Suicides" ist sehenswert, aber nur halbgar. Sofia Coppola scheitert nicht etwa an überzogenen Erwartungshaltungen oder einem belastenden Erbe als "Tochter des Paten" ("Skip"), sondern am eigenen und überholten ewigen Girlie-Bekenntnis und -Getue: Okay, rosarote Homepages kann man noch verschmerzen, aber als Regie-Haltung ist das irgendwie mega-out-of-date.

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