Wahnsinn mit Methode

In Japan wurde vor kurzem eine DVD veröffentlicht, die das Herz jedes wahren Filmliebhabers ein paar Takte schneller schlagen läßt. Der Regisseur von "Gemini", heißt Tsukamoto "Tetsuo" Shinya. Machen Sie sich bereit für einen der wohl seltsamsten Alpträume des Jahres.

Der japanische Filmemacher Tsukamoto Shinya zählt zu den wohl außergewöhnlichsten Vertretern seiner Zunft. Lange bevor Kitano Takeshi im Westen einen Festival-Erfolg nach dem anderen verzeichnen konnte (seine Filme werden ja inzwischen schon blind gebucht), galt Tsukamoto bereits als Geheimtip. Selbst heute, wo die meisten seiner Werke sogar bei uns problemlos auf Video erhältlich sind, hat der "Cyberpunk unter den Regisseuren" sein Underground-Flair noch immer nicht verloren. Leider war jedoch der letzte seiner Filme, den man in Österreich auf der Leinwand bewundern konnte "Tokyo Fist" - und das ist nun auch schon eine Weile her.

Seit damals hat Tsukamoto zwei weitere Filme gedreht: "Bullet Ballet" und "Gemini". Da sich die Viennale scheinbar für keinen der beiden so richtig begeistern konnte, mußten die Fans hierzulande weiterhin auf Entzug leben. Für Besitzer eines DVD-Players hat das Warten auf "Gemini" nun aber endlich ein Ende. Und was uns beim ersten Big-Budget-Projekt Tsukamotos - einem Film, für den sich sämtliche Akteure die Augenbrauen abrasieren lassen mußten - erwartet, ist alles andere als gewöhnlich.

Obwohl die Handlung bei Tsukamotos Filmen stets durch dessen visuelle Brillanz und den dazugehörigen infernalischen Score von Ichikawa Chu beinahe in den Hintergrund gedrängt wird, soll sie hier kurz zusammengefaßt werden, stammt sie doch quasi aus der Feder von Rampo Edogawa, dem "Edgar Allan Poe Japans": Daitokuji Yukio ist ein beliebter Arzt, der neben einer an Amnesie leidenden Frau eine recht erfolgreiche Praxis hat. Sein ansonsten so friedliches Leben wird eines Tages durch seltsame Vorkomnisse aus der Bahn gebracht. Zuerst fühlen er und seine Famile sich beobachtet, danach macht sich ein ekelhafter Geruch im Haus breit, und zu übler Letzt sterben noch seine Eltern. Auch im Berufsleben kommt es zu Komplikationen, als sich Yukio eines Abends zwischen zwei Notfallpatienten entscheiden muß. Behandelt er eine verseuchte Frau, die offensichtlich aus den ihm verhaßten Slums kommt, oder lieber den Bürgermeister? Natürlich letzteren - doch von dieser Entscheidung ist seine Frau gar nicht angetan. Und ehe Yukio sich´s versieht, wird er von seinem Doppelgänger bewußtlos geschlagen und in den Brunnen geworfen. Das klingt zwar recht seltsam, ist aber erst der Anfang.

Hat man sich erst an die farbenfrohen Sets und Kostüme - Marke "Incredibly Strange" - gewöhnt, darf man sich auf gut eineinhalb Stunden diabolisches Vergnügen freuen. Mysteriöse Story, beklemmende Atmosphäre, gute Darsteller (vor allem Fräulein Ryo) sowie allerlei Absurditäten lassen keinerlei Langweile aufkommen, obwohl ein wenig mehr Spannung hier und da sicher nicht geschadet hätte. Kritiker und Fans der ersten Stunde werfen Tsukamoto immer wieder Ausverkauf sowie den Verlust seiner Innovationsfreude vor. Mag sein, daß keiner seiner Filme mehr die Radikaliät des offiziellen Erstlingwerkes "Tetsuo - The Iron Man" in sich trägt - doch wenn das Ergebnis so wie bei "Gemini" ausfällt, soll uns das recht sein.

Die DVD präsentiert sich als Silberling in Topform, mit gestochen scharfem Bild, fast schmerzvoll intensiven Farben und einem Sound, der sich dank Ichikawas Industrial-Klängen in bestem Dolby Digital direkt ins Gehirn hämmert. Auch beim Zusatzmaterial wurde nicht gespart; einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, daß dabei gänzlich auf eine zusätzliche Untertitelung verzichtet wurde. Alles in allem ist "Gemini" für Fans ohnehin ein Muß, aber auch der Rest der Menschheit sollte sich dieses wunderschöne Alptraumszenario gönnen.

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