Fortsetzung...

Horx diskutiert allerdings nur das obere Ende der Skala. Es ist zwar immer wieder von Arbeitern die Rede - meist serviert in wohlschmeckenden Häppchen, wie etwa der Geschichte von den überdurchschnittlich hohen Löhnen, die in Györ seit der Ostöffnung von westlichen Automobilkonzernen bezahl werden; oder der von den 60.000 Arbeitern am Frankfurter Flughafen, ohne die der Rhein-Main-Parade-Airport binnen kürzester Zeit funktionsunfähig wäre. Letzteren stehen täglich 150.000 Reisende gegenüber - und Fakten wie diese sind für Horx verlockend genug, um sich gleich wieder der "Elite", also den Fluggästen, zuzuwenden und eine neue Transitkultur vorauszusagen. Was aus dem klassischen Arbeiter wird, bleibt hinter den Türen der Zukunft verschlossen.

Das ist auch der einzige große Makel von "Smart Capitalism", denn vom "Ende der Ausbeutung", wie der Untertitel verspricht, ist in dem Buch nur entfernt die Rede. Was sollte die global vernetzte Ökonomie am miesen Job einer Branntweinkellnerin ändern? Bestenfalls kann die Zapfanlage online Nachschub beim Schnapshersteller ordern; die Qualität mancher Berufe und Arbeitsumfelder wird vom Internet jedoch kaum betroffen. Im Kapitel "Der War for Talents" widmet sich Horx kurz der untersten Schicht, allerdings nicht ohne ihr eine blumige Zukunft vorauszusagen. Die "neuen Servicejobs sind emotional skill jobs", schreibt Horx. "Ein Großteil von ihnen ist unmittelbar abhängig von kommunikativen Fähigkeiten. (...) Man kann in ihnen, anders als in den industriellen Hierarchien, sowohl viel als auch wenig Geld verdienen. Ein Koch kann im Akkord für acht DM Schwarzgeld pro Stunde arbeiten oder als Star mit eigenem Vermarktungsimperium auftreten."

Da bricht in Horx der optimistische Zukunftsforscher durch. Doch obwohl er nicht unlogisch klingt, trifft er die ernsthaft desillusionierten Teile der Gesellschaft nicht wirklich zwischen die Augen. Ja, ein Umbruch wird kommen, ist notwendig, doch es wird viel, viel länger dauern, als die New Economy überhaupt alt ist. Aus der Pose des Zynikers betrachtet, ist "Smart Capitalism" kein Buch für die Unterschicht, denn die kommt kaum darin vor; die Protagonisten haben ein gehobenes Ausbildungsniveau, sind bereit, sich mit allen Möglichkeiten der Technik und des Kommunikationswesens auseinandersetzen - und vor allem: sie sind tierisch motiviert, reich zu werden. Der Rest fällt durch den Raster.

Horx zieht kein Resümee. Er umreißt seine Vision des "smarten" Kapitalismus und läßt auch keinen Zweifel daran, daß es im Deutschen keine hundertprozentige Entsprechung zum Wort "smart" gibt ("nett", "elegant", "clever" und "intelligent" sind alles nur Schritte auf dem richtigen Weg). Ob die elend gescheiterten dotcom-Bosse, die egogesteuerten Senkrechtstarter der New Economy aus ihren Fehlern gelernt haben? Horx sieht das von der positiven Seite: Er beschreibt Parameter, die für das Funktionieren einer "gerechteren" Wirtschaft notwendig sind. Aber er bleibt Analytiker und schwingt sich nicht zum Reformer auf - wobei er immerhin jede Menge Stoff für eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus im 21. Jahrhundert liefert.

Seine Reise durch den "Smart Capitalism" endet, wo sie begonnen hat: in den Büros des besagten deutschen Startup-Unternehmens. Über ein Jahr ist seit der Gründung vergangen; Realismus hat sich breit gemacht, notwendigerweise und schmerzhaft. Aus der Content-Managerin ist so etwas wie eine Betriebsrätin geworden, die sich um die Belange der Angestellten kümmert, "die inzwischen fast alle zu halbwegs vernünftigen Löhnen arbeiten und überwiegend ihre Aktienoptionen aufgelöst haben", beschreibt Horx die Realität des Jahres 2001.

Ikarus ist mit einem Flügel und angeschlagenem Fahrwerk gerade noch einmal notgelandet. Und wider besseren Wissens sammelt er seine Kräfte schon für einen neuen Versuch, für dann, wenn die Wunden verheilt sind. Da oben, im dotcom-Himmel, wird ihm ein gefallener Engel schon sagen, wer die "New Economy" erfunden hat.



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Über den Autor:
Matthias Horx ist Inhaber des Zukunftsinstituts in der Nähe von Frankfurt. Nach dem Soziologiestudium begann er seine Karriere als Autor für verschiedene Printmedien, darunter die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit". Zu seinen Hauptthemen gehören "Wertewandel, Jugendkultur und die Veränderung der sozialen Realität" (Klappentext); in den 90ern kam die Trendforschung dazu. Ziel seines Zukunftsinstituts ist "die Verfeinerung von prognostischen Techniken, Szenarien und Modellen für die Zukunftsentwicklung unserer Welt".