Fortsetzung...

EVOLVER: Was auffällt, ist die bemerkenswerte Kontinuität in eurem Umfeld. Ihr seid ja nicht nur mit The Notwist, sondern auch mit all euren anderen Projekten immer wieder in den Weilheimer Uphon-Studios von Mario Thaler und Olaf Opal tätig.
Micha:
Man versteht sich halt mit Mario, hat das gleiche musikalische Vokabular, kann sich darüber unterhalten und begreift quasi, worum es geht. Allein durch gegenseitiges Anschauen weiß man schon, ob man etwas gut findet oder nicht. Wir haben mit ihm nicht nur die letzten drei Notwist-, sondern auch alle Tied & Tickled-, Lali-Puna- und Console-Alben produziert. Mario hatte schon immer sehr viel Einfluß auf die Platten.

EVOLVER: Kommen wir gleich auf das neue Album "Neon Golden" zu sprechen. Mir erscheint es als weitere Stufe einer stringenten Weiterentwicklung: Es wirkt noch homogener, aber gleichzeitig auch vielschichtiger und ausgefeilter.
Markus:
Es geht definitiv mehr ins Detail, ist aber auf jeden Fall auch minimalistischer. Wir haben darauf geachtet, daß es weniger tragende Elemente gibt. Außerdem versuchten wir, viele Instrumente einzusetzen, die wir zuvor noch nie verwendet hatten. Obwohl es homogener erscheint, sind also auch die Gegensätze, die hier miteinander kombiniert wurden, noch größer.

EVOLVER: Es bekommt also jeder Teil des Spektrums seinen Freiraum - gerade soviel, daß er nicht überhandnimmt?
Markus:
Ja, es war wichtig, daß Sachen nicht als Ornament so Gimmick-mäßig dazugestellt werden, obwohl sie eigentlich nicht wirklich Platz haben. Manchmal wird das heutzutage schon so gemacht, da kommen dann halt Tablas dazu, damit´s ein bißchen orientalisch klingt, oder ein Jazzsaxophon, damit´s sophisticated klingt, oder es wird einfach nur ein gerader Technobeat druntergelegt. Wir wollten bewußt Sachen machen, die uns ganz einfach gefallen, die man sich auch als eigene Spur einzeln anhören kann. Es war uns wichtig, daß wir das auch verstehen und nicht einfach nur dazustellen.

EVOLVER: Wo liegen denn zur Zeit eure Inspirationsquellen?
Markus:
Ganz unterschiedliche Sachen. Bei der Platte hab ich total viel Dub-Zeug gehört, viel Blues, streckenweise auch Beatles, die mich grad sehr beeindruckt haben - wieder einmal.
Micha: Bei mir war das auch die ganze Palette: viel Reggae-Zeug, viel Elektronisches, immer noch auch den ganzen Indie-Pop-Kram.
Markus: Dann gibt es immer wieder so Platten, die einen, während man aufnimmt, in eine bestimmte Richtung schubsen. Wichtige Alben waren da sicher Bonnie Prince Billy, die letzte Johnny-Cash-Platte, die wieder mehr Augenmerk auf Texte, auf Stimme, auf einfache Stücke gelegt haben. Sachen auch wie Radiohead, wo man einfach nicht dran vorbeikommt. Die haben uns immer schon irgendwie beeinflußt, und als das dann rauskam, war es schon sehr beeindruckend.

EVOLVER: Gerade der Vergleich mit Radiohead drängt sich bei euch immer wieder gern auf. Ich stell mir vor, daß es von der Herangehensweise her bei euch relativ ähnlich ablaufen dürfte.
Markus:
Ich denke, daß bei ihnen wie auch bei uns oder bei Bands aus Chicago ähnliche Plattensammlungen zu Hause rumstehen. Wenn Radiohead sagen, sie seien vom Warp-Katalog oder von Charlie-Mingus-Platten beeinflußt, dann ist das sehr ähnlich wie bei uns - Sachen, die jetzt eigentlich mit Pop- und Song-orientierter Musik wenig zu tun, aber doch ganz großen Einfluß auf die Musik gehabt haben. Die beiden letzten Radiohead-Alben waren gerade deswegen so revolutionär in dem Kontext und dem Popularitätsgrad, den sie haben, weil sie wirklich Song-Formeln mit normalen Strukturen von Bands, die gerade in den Charts sind, total aufgelöst und Sachen gemacht haben, von denen man nicht unbedingt denken würde, daß sie so viele Leute kaufen.
Auch unser Ansatz hat sich während der Aufnahmen zu "Neon Golden" gänzlich aufgelöst; anfangs wollten wir viel mehr Krachiges machen. Irgendwann war dann unser Ziel, die Musik eher auf die Stücke zu konzentrieren - damit die auch nur mit Gitarre und Gesang ganz klassisch für sich dastehen können, egal, wie sie entstanden sind. Teilweise sind sie, wie bei "Pick Up the Phone", eben am Computer bei Martin (Gretschmann alias Console, Anm. des Autors) programmiert, klingen aber wie klassische Songwriter-Stücke, obwohl sie ganz anders entstanden sind.

EVOLVER: Du hast vorhin Blues als wichtige Einflußquelle genannt. Am ehesten hört man das beim sehr düsteren Titelstück, wie ich finde.
Markus:
Das war ursprünglich nur so ein Riff, das wir ziemlich lange hatten, das aber nirgends so wirklich hinpassen wollte. Uns erinnert das an ein paar Typen, die mit ihren Bottleneck-Gitarren vollkommen monoton vor sich dahinklampfen, was auch schon wieder eine gewisse Verwandtschaft zu elektronischer Musik zeigt. Das Stück selbst wird ja auch in eine elektronische Komposition, in ein elektronisches Geflecht übergeblendet - das ging super zusammen, ohne daß wir das bewußt gemeinsam komponiert hatten.

EVOLVER: Was bedeutet "Neon Golden" jetzt genau? Dient der Titel als Bild zur Musik oder war das nur so ein Wortspiel?
Markus:
Das war mehr so eine intuitive Wortkombination, die aus dem Singen heraus entstanden ist. Hat dann aber sehr gut gepaßt. Anfangs hatten wir noch gezögert, weil "golden" immer so Assoziationen weckt wie "Jetzt kommt unser Masterpiece" oder so. Es hat aber einfach gut gepaßt, weil es die Gegensätze und Spannungsfelder gut beschreibt, die die Platte auch bestimmen. Im Grunde genommen geht es um verschiedenste Gegensatzpaare, die sich auf alles mögliche übertragen lassen. Natürlich ist "Neon Golden" auch ein zentrales Stück, auf dem der Ansatz der Platte gut repräsentiert wird, akustische "alte" Instrumente mit "neuer" Elektronik, warme Klänge mit ganz kalten zu verbinden.



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labels night
(miss comment, 22.11.2001 22:18)