Das Ideal vom Internet als Enzyklopädie des gesamten Wissens der Menschheit scheint mit der Open-Source-Software GNU und zwei neuen, "freien" Web-Lexika einen Schritt näher gerückt. Stefan Becht berichtet.

Die drei Buchstaben GNU stehen einfach für "GNU´s Not Unix". Erfunden hat diese Buchstabenkombination Richard Stallman 1984. In diesem Jahr hängte er, nach 13 Jahren als Software-Programmierer und -Entwickler, seinen Job am Bostoner MIT AI Lab (Massachusetts Institute of Technology, Artificial Intelligence Lab) an den Nagel. Es war die Zeit, in der sich in der Computerindustrie ein gravierender Umbruch anbahnte: weg von der kostenlosen, unter den Entwicklern und "Hackern" an Unis und staatlichen Institutionen getauschten Software, die verändert und umgeschrieben werden durfte - Hauptsache, das Programm funktionierte.

Ja, es gab Zeiten, da war Software frei - auch wenn wir´s heute kaum glauben mögen. Wobei man das richtig verstehen muß: Wer arbeitete denn 1984 bereits mit einem Personal Computer? Der größte Teil der damaligen Software lief unter dem Betriebsystem "Unix" - daher auch die Wortspielerei "GNU´s not Unix" - auf Großrechnern, wie z. B. einer VAX. Zugang zu Computern hatten zu dieser Zeit hauptsächlich Programmierer, Ingenieure und Wissenschaftler. "Microsoft", sagt Stallman in einem Interview, "war diesbezüglich vollkommen irrelevant. Sie arbeiteten an einem Betriebssystem für winzige Spielzeugcomputer, an dem keiner von uns auch nur das leiseste Interesse hatte, weil sie im Vergleich mit den Computern, mit denen wir arbeiteten, viel zu schwach waren."

Doch nun stand der PC vor der Tür. Jedermann sollte plötzlich Umgang mit einem Gerät haben, das jahrelang nur einer kleinen, teilweise verschworenen Gemeinschaft zugänglich gewesen war. Damit das Geschäft auf lange Sicht lukrativ sein konnte, mußte die PC-Industrie die Quellcodes ihrer Software geheimhalten und sie einem harten Copyright-Reglement unterwerfen. Stallman sah sich also 1984, nach jahrzehntelanger Arbeit mit Gratis-Software, nicht nur mit einer ganz neuen Grundlage seiner Arbeit konfrontiert, sondern verlor auch einen Großteil seiner ehemaligen Kollegen und Mitstreiter, die in die langsam boomende PC-Industrie abwanderten oder selbst versuchten, mit ihrer Software den "proprietären Weg" zu gehen. Das eine gefiel ihm ebensowenig wie das andere.

Obwohl er selbst kein bißchen religiös ist, bezeichnet Stallman seinen Karriereschritt als eine "Gewissenentscheidung", denn: "Ich suchte als Programmierer nach einem Weg, die Lage zum Guten zu wenden." Wie hochpolitisch diese Entscheidung gleichzeitig war, wurde erst im Lauf der folgenden Jahre deutlich. Stallman begann daher - ohne zu wissen, ob dies überhaupt möglich sein würde - ein neues, kostenloses Betriebssystem für Computer zu programmieren: GNU.

Ein funktionierendes Betriebssystem ist das Herz jedes Rechners. Alle Codes für Stallmans Unix-kompatibles System lagen und liegen offen und werden von einer nun weltweit vernetzten Community ständig benutzt, verändert und verbessert. GNU ist heute nicht nur ein freies Betriebssystem, sondern umfaßt eine ganze Reihe von "Free Software", die meist durch die Open-Source (= frei verfügbare Quellcodes)-Methode zustande gekommen ist. Die wohl bekannteste Open-Source-Software dürfte heute "Linux" von Linus Torvald sein, die es ohne GNU wahrscheinlich nicht gegeben hätte, die aber GNU auch immer fehlte.

Die im Web populärste GNU-"Free Software"-Anwendung ist wiederum "Gnutella", die nach dem "Peer-to-peer" (gleich-zu-gleich, oft auch "P2P" abgekürzt, was auch zur alternativen Übersetzung "person-to-person" führte)-Prinzip organisierte Musiktauschbörse. Im Gegensatz zu dem bekannteren und mittlerweile von der Industrie vereinnahmten "Napster" ist "Gnutella" auf keinen zentralen Server/Rechner angewiesen, der die (Musik-)Dateien bereit stellt. Im "Gnutella"-Netzwerk ist jeder eingeloggte Rechner Teil des Netzwerkes, Geber und Nehmer in einem, und damit nicht mehr zentral, wie beim proprietären "Napster", zu kontrollieren - oder abzuschalten.

Dieser Tage hat Richard Stallman nun etwas angekündigt, was so manchem Verleger das Herz in die Hose rutschen lassen wird: "GNUPedia - The Free Universal Encyclopedia and Learning Resource". Mit anderen Worten: "GNUPedia" ist nichts Geringeres als eine kostenlose, Internet-basierte "Enzyklopädie des gesamten Wissens unserer Welt". Zur Teilnahme eingeladen sind - laut Presseaussendung - alle, die einen Beitrag dazu leisten möchten, besonders Akademiker, Lehrer, Studenten und Schüler; wobei sämtliche Artikel über die gegenseitige Begutachtung durch Kollegen oder ausgewiesene Zertifizierungsstellen "beglaubigt" werden sollen. Auch unterschiedliche Beiträge oder Meinungen zu ein und demselben Thema sollen unzensiert nebeneinander stehen dürfen. Weiters soll die Enzyklopädie keinerlei Zugangsbeschränkungen und auch keiner zentralen Verwaltung ("Gnutella" läßt grüßen!) unterliegen. Die Artikel der Enzyklopädie sollen - nach und nach - übersetzt und jederzeit frei zitierbar sein sowie ohne Einschränkung gespiegelt werden dürfen, jedoch immer mit einem entsprechenden Herkunftsnachweis versehen sein. Und natürlich "soll die freie Enzyklopädie eine Alternative zu den eingeschränkten ('restricted') Werken anbieten, die von Medienunternehmen geschrieben bzw. herausgebracht werden".



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