Wer "Kino Killer" (ed. belleville), das Buch von EVOLVER-Autor Christian Fuchs, noch nicht kennt, sollte es sich schleunigst besorgen. Demnächst wird im englischen Verlag Creation Books eine überarbeitete und aktualisierte Fassung dieses Standardwerks erscheinen. Zu diesem Anlaß hat der Autor exklusiv für den EVOLVER ein einschlägiges Lexikon der Serienkillerfilme von A-Z zusammengestellt - in mehreren Fortsetzungen. Wir wünschen viel Gänsehaut beim Lesen!

Teil 3: I-M


IN DREAMS
(Jenseits der Träume)

USA 1999

Regie:
Neil Jordan
Buch:
Bruce Robinson & Neil Jordan (nach einem Buch von Bari Wood)
Kamera:
Darius Khondji
Musik:
Elliot Goldenthal
Darsteller:
Annette Benning
Aidan Quinn
Stephen Rea
Robert Downey Jr.

Wertung:
øøøøø

Neil Jordan zeichnet neben zwiespältigen Auftragsproduktionen wie "Interview with the Vampire" auch für höchst persönliche Werke wie "The Crying Game" (1992) oder den umwerfenden "The Butcher Boy" (1997) verantwortlich. In diesen Filmen transformiert der Regisseur Außenseiterthemen, die andere in sozialen Realismus verpacken, in bewußt artifizielle, überhöhte Bilder - was den Freaks, Transsexuellen und psychisch Defekten in diesen Streifen eine Schönheit verleiht, die das "Normale" weit überstrahlt. "In Dreams" ist so ein Werk und nähert sich dem Serienkiller-Thema entschieden abgründiger als vieles, was nach dem scheinbaren Endpunkt "Se7en" noch in die Lichtspielhäuser schwappte. Der Film entführt uns in die Träume der Schriftstellerin Claire (Annette Benning), die an Grimms Märchen und psychoanalytische Rätselspiele erinnern. Erst als ihre heißgeliebte kleine Tochter verschwindet, dämmert Claire etwas: Da ist ein geheimnisvoller Mann, ein Serienmörder, der sich in die Träume seiner Lieblingsautorin einklinkt - und mit ihr Katz und Maus spielt.
Die Story von Jordans Film ist keineswegs neu oder makellos, aber wie sie erzählt wird, das steht im Late-Nineties-Mystery-Kino einzigartig da. "In Dreams" hypnotisiert und verstört bis zum letzten Bild, was nicht zuletzt auch der atemberaubenden Photographie des "Se7en"-Kameramanns Khondji zu verdanken ist.


KALIFORNIA
USA 1993

Regie:
Dominic Sena
Buch:
Tim Metcalfe
Kamera:
Bojan Bazelli
Darsteller:
Brad Pitt
Juliette Lewis
David Duchovny
Michelle Forbes

Wertung:
ø

Ein junger Yuppie-Autor (der Agent Mulder zum Verwechseln ähnlich sieht) hat sich vorgenommen, ein Buch über Amerikas beliebtestes Medienthema, Serienkiller und Massenmörder, zu schreiben. Dazu will er mit seiner gestylten Yuppie-Freundin kreuz und quer durch die Staaten fahren, um die Schauplätze berühmt-berüchtigter Fälle aufzusuchen und Recherchen durchzuführen. Unterwegs treffen die beiden auf ein anderes Paar, den verfilzten Redneck Brad Pitt und seine naive, blutjunge Freundin Juliette Lewis. Man gibt dem dubiosen Duo eine Mitfahrgelegenheit und ahnt nicht, daß man einen gesuchten Serienkiller im Wagen hat. Eine Konfrontation zwischen Gut (trägt Markenkleidung, genießt höhere Bildung, praktiziert lustlosen Sex, kokettiert gern mit dem Dunklen) und Böse (schmutzige Second-Hand-Fetzen, proletarische Herkunft, ungehobelter Macho-Sex, innerlich verdorben) entbrennt. Pitt und Lewis spulen ihre White-Trash-Manierismen routiniert-unterhaltsam ab; ansonsten ist "Kalifornia" klischeeverseuchte Kinoware für genau jene Klientel, der auch das schicke Autorenpaar im Film angehört. Die Devise lautet: kurz einmal reinschnuppern ins Blutrünstige, Dreckige, Geile der Straße - dann wieder zurück ins schützende Designerloft. Scully, bitte kommen!


KILLER: A JOURNAL OF MURDER
(Killer - Tagebuch eines Serienmörders)

USA 1996

Regie:
Tim Metcalfe
Buch:
Thomas E. Gaddis, James O. Long, Tim Metcalfe
Kamera:
Ken Kelsch
Musik:
Graeme Revell
Darsteller:
James Woods
Harold Gould
Robert Sean Leonard
Jeffrey DeMunn
Richard Council
Cara Buono
Robert John Burke

Wertung:
øø

Der Titel täuscht. Regisseur Tim Metcalfe versucht keineswegs, die berüchtigte Autobiographie von Carl Panzram auf die Leinwand zu bringen, sondern vielmehr die Umstände, die zu diesen Memoiren führten. Ausgerechnet Panzram, einer der kaltblütigsten Serienkiller aller Zeiten, schenkt im Gefängnis einem Wärter sein Vertrauen. Menschenhaß kollidiert mit Nächstenliebe.
Die historischen Fakten: Als der junge Wachposten Henry Lesser im August 1928 im Washington District Jail seine Runden zieht, hört er vom mißglückten Ausbruchsversuch eines neuen Gefangenen. Lesser erfährt auch, daß dieser Mann deswegen von seinen Kollegen sadistisch mißhandelt wurde, auf Anordung des Direktors. Das Ausmaß der Folter erschüttert ihn - und als er hört, daß der Häftling, ein gewisser Carl Panzram, völlig mittellos ist, läßt er ihm einen Dollar zukommen. Die symbolische Gabe bricht für einen Moment den emotionalen Panzer des Straftäters auf, und Henry Lesser hat einen neuen Vertrauten. "We became very friendly, and a spirit of 'entente cordiale' prevailed between us", notiert er später.
Was ihm Panzram erzählt, zieht dem Jungliberalen aber schnell den Boden unter den Füßen weg. Es ist die Überlebensgeschichte eines Geschundenen, der - von weißglühendem Haß getrieben - der Welt jeden Schlag doppelt und dreifach zurückzahlte. Mit Schreibutensilien, die ihm Lesser in die Zelle schmuggelt, verewigt Panzram sein Leben in aggressiven Wortströmen. Als er nach einem aufsehenerregenden Prozeß, bei dem er seine 21 Morde gesteht, nach Leavenworth, Kansas verlegt wird, bleiben der Wachposten und der Killer bis zu dessen Hinrichtung in Briefkontakt. Natürlich gelingt es Lesser nicht, die Mördermaschine Panzram von christlich-sozialer Ethik zu überzeugen; aber immerhin ringen die beiden bis zuletzt im Diskurs miteinander.
Dieser Konflikt geht in "Killer: A Journal of Murder" jedoch kaum unter die Haut. Metcalfe (der Drehbuchautor von "Kalifornia") reiht lange Dialogsequenzen und bemüht authentische Gefängnisbilder aneinander, ohne eindringliche Stimmungen zu erzeugen oder gar tiefere Emotionen zu wecken. Orientierungslos zwischen einer Anklage des US-Justizsystems und einer konventionellen Charakterstudie pendelnd, plätschert der Film dahin. Wobei es schon schlimm genug ist, daß die Wortwechsel zwischen dem Wohltäter Lesser (farblos: Leonard) und Mr. Panzram (ambitioniert, aber fehlbesetzt: Woods) nicht selten an engagierte und zugleich langweilige TV-Diskussionen erinnern. Daß Metcalfe aber in schwarzweißen Flashbacks Momente aus den schier unverfilmbaren Memoiren des Killers auf fernsehgerechtes R-Rated-Niveau glättet, ist ein echtes Verbrechen. Der Fall des Carl Panzram - eines Mannes, dessen Bösartigkeit ihn zu einer Art Naturereignis machte - läßt einen dadurch völlig kalt.



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